Jugendprostitution in der Schweiz: Noch kein Verbot
Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi muss sich in einem Eilverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Begünstigung von Prostitution minderjähriger Frauen vor Gericht verantworten. Wo steht die Schweiz in Sachen Jugendprostitution? Die Meinung einer Expertin.
Eine Ermittlungsrichterin in Mailand liess am Dienstag die Anklage gegen Berlusconi wegen der Prostitution Minderjähriger und des Amtsmissbrauchs zu. Die Mailänder Staatsanwälte hatten vor einer Woche ein Schnellverfahren gegen Berlusconi beantragt. Der Prozess soll nun am 6. April beginnen.
Konkret geht es in dem Fall um Berlusconis Beziehung zu einer Marokkanerin mit dem Spitznamen «Ruby». Italienische Medien veröffentlichten in den vergangenen Wochen zahlreiche pikante Details über wilde Sexpartys in verschiedenen Villen des Regierungschefs.
Die Staatsanwaltschaft wirft Berlusconi vor, auf einer der Partys die 17-jährige «Ruby» für Sex bezahlt zu haben. Als diese später unter dem Verdacht eines Diebstahls festgenommen wurde, soll er seinen Einfluss genutzt haben, sie aus Polizeigewahrsam zu holen.
Amtsmissbrauch wird in Italien mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis bestraft, für Prostitution mit Minderjährigen gilt eine Höchststrafe von drei Jahren.
Schweiz im Hintertreffen
Im Gegensatz zu Italien ist es in der Schweiz – ausser im Kanton Genf – bis jetzt nicht verboten, sich ab 16 Jahren (Volljährigkeitsalter ist 18) zu prostituieren; ebenso wenig, die Dienste einer mindestens 16-jährigen Prostituierten zu benützen.
Für die Sozialarbeiterin Martha Wigger, Leiterin der Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe XENIA, gibt es für die Frage, warum die Schweiz im Verhältnis zu anderen Ländern so lasch ist, eine mögliche Erklärung. «Sexarbeit ist in der Schweiz seit 1942 ein legales Gewerbe, im Unterschied zum Beispiel zu Deutschland, wo dies erst seit 2001 der Fall ist. Deshalb kann ich davon ausgehen, dass es auch weniger kontrolliert wurde», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.
Hinweis auf Zuständigkeit des Bundes faule Ausrede
Während der Kanton Genf und jetzt dann auch die Zürcher Stadtregierung via Gewerbebewilligung die Prostitution Minderjähriger verbietet, verweisen andere Städte oder Kantone immer wieder auf die Zuständigkeit des Bundes, der ja daran sei, Schritte zur Heraufsetzung des Schutzalters zu unternehmen.
Für die XENIA-Leiterin ist dies eine faule Ausrede für eigene Untätigkeit. Natürlich wäre es wichtig, dies auf nationaler Ebene zu klären. «Aber wir sind uns ja gewohnt, dass solche Dinge sehr oft zuerst auf kantonaler Ebene geregelt werden müssen.»
Der falsche Weg?
Gemäss einer Konvention des Europarates, die der Bundesrat 2010 unterzeichnet hat, ist der Bund daran, die Beanspruchung sexueller Dienstleistungen Minderjähriger zu bestrafen und somit die Freier in die Pflicht zu nehmen.
Für Expertin Martha Wigger ist das eindeutig der falsche Weg. «Und zwar nicht, weil wir finden, der Freier müsse keine Verantwortung übernehmen. Aber mit Bestrafung kann das Problem nicht gelöst werden.»
Man müsse sich das sehr praktisch und realitätsnahe anschauen: «Wenn ein Freier, ein Kunde in einen Salon geht, es hat wenig Licht , und er soll dann den Ausweis der Sexarbeiterin kontrollieren, ist das echt nicht machbar.» Und er wisse dann auch nicht, ob es wirklich der Ausweis dieser Sexarbeiterin sei oder jener der Kollegin von ihr.
«Wir sind aber sehr wohl der Meinung, dass 18-Jährige oder unter 18-Jährige geschützt werden müssen. Sexarbeit ist eine anspruchsvolle Arbeit, und es braucht Lebenserfahrung sowie die Fähigkeit, sich abzugrenzen, wie in einigen anderen Arbeitsgebieten auch. Da macht es Sinn, eine Altersgrenze festzulegen. Um die Minderjährigen zu schützen, braucht es aber Präventionsarbeit, also basisnahe Arbeit von Nichtregierungs-Organisationen.»
Nur wenige Minderjährige in der Sexarbeit
Martha Wigger findet es nicht skandalös, dass es in der Schweiz so lange gedauert hat, bis sich in Sachen Jugendprostitution etwas bewegte. «Nach unseren Erfahrungen haben wir immer wieder festgestellt, dass es nur ganz wenige Minderjährige in der Sexarbeit gibt.»
Und sie rede nicht einfach von Frauen, «die uns im XENIA-Büro besuchen, sondern wir machen aufsuchende Sozialarbeit, wir sind immer wieder in diesen Etablissements unterwegs und in Kontakt mit den Frauen und wissen somit genau, dass es selten vorkommt.»
Eine Einschätzung, die auch vom Stadtzürcher Polizeidepartement und von Milieukennern wie dem Rechtsanwalt Valentin Landmann geteilt wird, der laut der Neuen Zürcher Zeitung NZZ im Übrigen jedem Bordellbesitzer dringend davon abrät, Minderjährige zuzulassen.
Praktikables Gesetz und Kontrollen
Aber es brauche trotzdem etwas, betont Martha Wigger. «Wie im Prostitutionsgesetz, das jetzt im Kanton Bern in Erarbeitung ist. Danach werden die Inhaber der Etablissements gezwungen, darauf zu achten, dass keine Minderjährigen in der Sexarbeit tätig sind.» Und das gelte auch für Salons und Escortservices oder Grossbetriebe, Saunabetriebe, die Sexarbeiterinnen bei sich oder in ihren Räumlichkeiten arbeiten lassen.
Die XENIA-Leiterin hofft, dass das Gesetz auch praktikabel ist. «Die Kontrollen müssen dann auch durchgeführt werden, sonst hat das gar keinen Sinn.»
Phänomen Drogenkonsumierende
In ihrer 15-jährigen Arbeit für XENIA hat Martha Wigger keine steigende Zahl von Minderjährigen feststellen können, die in der Sexarbeit tätig sind – also keine Zunahme der Jugendprostitution. «Realität ist aber, dass es eher unter 18-jährige Drogenkonsumierende sind, die sich prostituieren, um damit ihren Stoff zu finanzieren.»
Ausgeschlossen hingegen seien minderjährige Frauen aus den Ex-Ostblockstaaten. «Denn wenn diese Frauen hier arbeiten wollen, dann brauchen sie eine Arbeits-, eine Aufenthaltsbewilligung. Und die erhalten sie nie im Leben, wenn sie noch nicht 18-jährig sind», so Wigger.
Justizministerin Simonetta Sommaruga hat jüngst verlauten lassen, das Verbot der Prostitution Minderjähriger habe Priorität. Der Bundesrat hat vergangenen Sommer eine Konvention des Europarats unterzeichnet, die von den Unterzeichnerstaaten ein solches Verbot verlangt; in der gleichen Sache sind zudem eine ganze Reihe von Vorstössen eingereicht worden.
Noch liegen die Vorschläge des Bundes nicht vor. Es ist damit zu rechnen, dass am Alter der sexuellen Mündigkeit nichts geändert wird, jedoch die Beanspruchung von sexuellen Dienstleistungen Minderjähriger bestraft und damit der Freier in die Pflicht genommen wird.
Die am 1. Juli in Kraft getretene Konvention des Europarates will die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen umfassend schützen. Der Beitritt der Schweiz wird verschiedene Anpassungen des Strafgesetzbuches erfordern.
Der Kanton Genf verlangt seit Jahren für jede Form von Prostitution eine Bewilligung und stellt diese nur an Volljährige aus; die Praxis wurde im neuen Genfer Prostitutionsgesetz festgeschrieben.
Die Stadt Zürich löst die Problematik damit, dass sie auf Verwaltungsrecht (und nicht auf Strafrecht) zurückgreift und über eine Bewilligungspflicht die Prostitution von Minderjährigen verbieten will.
Im Kanton St. Gallen hingegen hat der Regierungsrat eine entsprechende Motion abgelehnt, mit Hinweis auf die Zuständigkeit des Bundes.
Und im Kanton Bern, wo die Vernehmlassung für ein neues Prostitutionsgesetz am Montag zu Ende ging, wird ebenfalls auf den Bund verwiesen.
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