Als die Stimme der Schweiz im Internet auftauchte
swissinfo.ch wird heute 20 Jahre alt. Die Mission ist dieselbe wie beim früheren Schweizer Radio International. Umgesetzt wird sie aber mit anderen Mitteln, die es vor 20 Jahren noch kaum gab.
Stellen Sie sich eine Zeit vor, in der es weder Smartphones noch Tablets gibt. Und in der PCs für viele Haushalte noch unerschwinglich sind. Eine Zeit, in der weder Facebook noch Twitter noch Instagram existieren. Nur die Kühnsten «chatten» in Foren von Yahoo, einem Portal, um das man nicht herumkommt, in einer Zeit, in der Google gerade das Licht der Welt erblickt.
Unmöglich, der Versuchung zu widerstehen, den letztes Jahr verstorbenen französischen Sänger Charles Aznavour zu zitieren: «Je vous parle d’un temps que les moins de vingt ans ne peuvent pas connaître.» («Ich spreche von einer Zeit, welche die unter Zwanzigjährigen nicht kennen können»).
Die Internetverbindung ist noch sehr langsam, und sehr teuer. Man zahlt pro Minute, sobald das Modem einem mit dem Netz verbunden hat – oft erst nach mehreren Versuchen –, begleitet vom elektronischen GurgelnExterner Link von zwei Computern, die miteinander Kontakt aufnehmen.
Es ist keine Seltenheit, dass man mehrere Dutzend Sekunden warten muss, bis ein simples Foto auf dem Bildschirm erscheint. Videos? Findet man zwar auch schon, aber es braucht Geduld, viel, viel Geduld. Breitband setzt sich erst ab dem Jahr 2000 allgemein durch, und Youtube wird erst fünf weitere Jahre später auftauchen.
Anfang 1999 sind 34% der Schweizerinnen und Schweizer (aber nur 4% der Weltbevölkerung insgesamt) mit dem Internet verbunden. Das ist schon zehn Mal mehr als 1995. Trotz seinen Mängeln und Kinderkrankheiten startet das Netz durch. Und nichts wird es mehr stoppen.
Ruhmreiche Zeiten des Radios
Zur gleichen Zeit sucht Schweizer Radio International (SRI) einen Weg in die Zukunft. Die Stimme der Schweiz in der Welt kann bereits auf eine lange und ruhmreiche Geschichte zurückblicken. Ab 1935 strahlt der Schweizer Kurzwellendienst Programme der nationalen Radios für die über die ganze Welt verstreuten Schweizer und Schweizerinnen aus.
Dann beschleunigt der Zweite Weltkrieg die Dinge. Der Kurzwellendienst beginnt, auch Sendungen in Englisch, Spanisch und Portugiesisch auszustrahlen. Die Nachrichten aus der Schweiz werden wegen ihrer Neutralität geschätzt.
1954 anerkennt die Schweizer Regierung den Beitrag des Kurzwellendienstes zur Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen dem Land und den Auslandschweizern und -schweizerinnen sowie zur «Ausstrahlung der Schweiz in der Welt». Aber es wird nochmals zehn Jahre dauern, bevor die Regierung einer Subventionierung des internationalen Radios zustimmt. 1964 wird auch der arabischsprachige Dienst ins Leben gerufen.
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Ein Radio mausert sich zur Website
1978 wird der Kurzwellendienst offiziell umbenannt in Schweizer Radio International (SRI). Das Radioangebot ist umfassend – 70 kumulierte Programmstunden pro Tag in sieben Sprachen – und macht SRI zu einer der international am meisten gehörten Radiostationen, nach den amerikanischen, britischen, französischen und deutschen.
Aus der ganzen Welt treffen jeden Monat gegen 1000 Briefe von begeisterten, kritischen, neugierigen oder einfach zustimmenden Hörerinnen und Hörern am SRI-Hauptsitz an der Giacomettistrasse in Bern ein – damals erfolgten die Reaktionen des Publikums noch nicht in den sozialen Medien.
Seiner Zeit voraus
Zwei Jahrzehnte später ist der Erfolg noch immer da, aber die politische Landschaft hat sich stark verändert. Mit dem Sturz der kommunistischen Regimes haben die internationalen Radios ihre Mission als «Stimme der freien Welt» für die Menschen, die unter einer Diktatur leben, verloren.
Die riesigen Kurzwellensender machen Satelliten Platz, die viel billiger sind. Aber die Eidgenossenschaft, die damals die Hälfte des Budgets von SRI finanziert, will noch mehr sparen. Genau wie die SRG SSRExterner Link, die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, die Muttergesellschaft von SRI.
SRI überlegt sich, ins Fernsehen einzusteigen, lässt die Idee aber angesichts der voraussehbaren hohen Kosten rasch wieder fallen. Und entscheidet, stattdessen in das Medium zu investieren, das auf dem Vormarsch ist: Internet.
Nicolas Lombard, der nach einer Zeit des Interregnums an der Spitze der SRI-Geschäftsleitung steht, treibt diese strategische Wende mit Überzeugung voran. Dafür bringt er Peter Hufschmid als Stellvertreter an Bord.
Während die Techniker bereits das Skelett der neuen Website gebaut haben (die am Anfang den Namen swissinfo.org trägt), holen die beiden Direktoren Beat Witschi zurück, einen ehemaligen SRI-Journalisten, der seit 1995 beim US-Nachrichtensender CNN für dessen Website arbeitet. Witschi wird zu einem der Hauptarchitekten beim Start von swissinfo.
«Finanziell standen sie unter enormem Druck, vor allem von Armin Walpen, dem damaligen SRG-Generaldirektor, aber auch von der Politik», erinnert sich Beat Witschi. «Ich denke, ob bewusst oder unbewusst, Nicolas Lombard war seiner Zeit voraus. Er wusste, dass das Radio sterben würde.»
Er wusste es vielleicht, sagte es aber nicht. 1999 wird swissinfo als Erweiterung von SRI präsentiert. Und das Radio verstummt danach tatsächlich allmählich, die letzte Sendung geht im Oktober 2004 über den Äther.
In der Tat hatte SRI nicht bis 1999 gewartet, um sich auf andere Technologien einzulassen. 1995, als das Web noch in den Kinderschuhen steckt, hat der Sender bereits eine Website, auf der allerdings nur Programme und Sendefrequenzen zu finden sind. Doch drei Jahre später kann man mit einer guten Verbindung die Sendungen bereits online hören, zunächst in Englisch und Portugiesisch.
Und es gibt auch Videos. Ab 1987 erstellen Journalistinnen und Journalisten von SRI kurze Beiträge von wenigen Minuten in Englisch zu Schweizer Themen für die Sendung «CNN World Reports». Und ab 1991 sind Reportagen mit dem Logo «Swiss World» weltweit auf rund 30 Fernsehstationen zu sehen.
Erste Welle der Web-Nachrichtenseiten
Was jedoch am 12. März 1999 beginnt, als swissinfo aufgeschaltet wird, hat eine völlig andere Dimension. Auf der neuen Website findet man Text, Bild und Ton und bald einmal auch Videos. Sie muss ein echtes Portal zur Schweiz sein, mit nützlichen Links, mit einem kostenlosen E-Mail-Dienst, Chat, Foren und natürlich der einen Information, auf die niemand verzichten will: Wetter.
«Die Leute fragten mich, ob das Internet wirklich von Dauer sein würde, und nicht nur eine Modeerscheinung», erinnert sich Beat Witschi. «Ich fand diese Frage einerseits idiotisch, konnte aber auch verstehen, dass sie gestellt wurde. Was wir taten, war in einem gewissem Sinn ziemlich ausserirdisch. Nach meiner Rückkehr aus den USA hatte ich etwas ein Gefühl von ‹Jetlag›, denn dort war alles viel schneller gegangen.»
swissinfo gehört in der Schweiz zur ersten Welle der Nachrichten-Websites. Einige Monate vor dem Jahr 2000 sind der Blick, der Tages-Anzeiger, Le Matin, 24heures und die meisten Schweizer Pressetitel im Netz, wenn auch mit eher rudimentären Sites, auf denen sich vor allem Kurznachrichten und einige Artikel aus den Papierausgaben finden. Auch Radio und Fernsehen sind im Netz präsent, aber vor allem mit Kundenservice nach (oder vor) Ausstrahlung ihrer im Äther oder über Kabel übertragenen Programme.
Was ist ein CMS?
Multimedial und vielsprachig kann sich swissinfo nicht mit den technischen Instrumenten der damaligen Zeit zufrieden geben, mit denen nur Textblöcke platziert werden können, ohne die Möglichkeit, irgendetwas zu formatieren.
Es braucht ein wirkliches CMS (Content Management System), und das zwei Jahre, bevor die ersten dieser Online-Softwareprodukte auf den Markt kommen. Es wird «Xobix» sein, ein System, das von swissinfo-Spezialisten von Grund auf konzipiert und entwickelt wird.
Bei CNN sah Beat Witschi ein Instrument im Einsatz, das sehr viel leistungsfähiger war, als alles, was zu der Zeit in Europa zu finden war. «Ich habe es dem Team von swissinfo gezeigt und ihnen gesagt, ‹entwickelt mir etwas Gleiches›. Und sie haben es geschafft.» Besser sogar, denn Xobix funktioniert in mehreren Sprachen, einschliesslich Arabisch, das von rechts nach links geschrieben wird – keine einfache Sache für einen Programmierer.»
«Unsere Entwickler waren immer sehr gut. Das Instrument, dass sie damals entwickelten, hatte sonst niemand», erinnert sich Beat Witschi. «Es war völlig avantgardistisch.» So sehr, dass swissinfo während mehreren Jahren das Web-Kompetenzzentrum der SRG wird, das in seinen Kellern die Server aller Websites des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens beherbergt.
Und die Geschichte dauert an…
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Blicken Sie uns über die Schulter
(Dieser Artikel wurde am 13.3. mit Informationen zur Entstehungsgeschichte von swissinfo.org und Xobix ergänzt)
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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