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«Die Schweiz hat in der UNO einen guten Ruf»

Micheline Calmy-Rey
Micheline Calmy-Rey (*1945) war von 2003 bis 2011 als Bundesrätin der Sozialdemokratischen Partei (SP) Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). 2007 und 2011 amtete sie auch als Bundespräsidentin. Seit 2012 ist sie Professorin am Global Studies Institute der Universität Genf. Keystone / Salvatore Di Nolfi

Im Juni 2022 entscheidet die UNO-Generalversammlung über die Schweizer Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Was sagt die frühere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, die das Vorhaben initiiert hat?

SWI swissinfo.ch: Warum haben Sie sich für die Kandidatur der Schweiz eingesetzt?

Micheline Calmy-Rey: Ich bin überzeugt, dass sie nützlich ist, um unsere Netzwerke und damit unseren Einfluss auf internationaler Ebene auszubauen. Die Schweiz hat in der Uno einen guten Ruf. Sie vertritt unabhängige, sachliche und konsensfähige Positionen und ihre Stimme wird geschätzt und ernst genommen.

Darum habe ich [als Aussenministerin und Bundespräsidentin] die Kandidatur der Schweiz 2011 lanciert. 

Die Schweiz profitiert also von einem nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat?

Ja. Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ist zwar eine Herausforderung, zugleich aber auch eine Chance – mit einer gesunden Portion Realismus, aber auch dem nötigen Selbstbewusstsein –, unseren Beitrag zu Frieden, Gerechtigkeit und Stabilität in der Welt zu leisten. 

Was bedeutet ein Sitz im Sicherheitsrat für die Rolle der Schweiz als Mediatorin?

Der Sitz hat eine grosse Bedeutung. Das ist für uns die Chance, mit unserem Know-how auf der internationalen Bühne die Rolle einer Brückenbauerin auszuüben. Im Sicherheitsrat werden wir diese Gelegenheit haben.

Was sagen Sie zur Kritik, dass der Sitz die Rolle der Schweiz als Mediatorin auch schwächen könnte, weil sie nicht mehr als neutrale Vermittlerin wahrgenommen würde? 

Nein, nein, das Gegenteil ist der Fall! Manche sagen auch, es sei nicht kompatibel mit der Neutralität, weil der Sicherheitsrat über Krieg und Frieden entscheidet. Er tut das, aber sehr selten: Bis 2019 hat der Uno-Sicherheitsrat rund 2500 Resolutionen verabschiedet. In nur vier Fällen hat er den Einsatz von Waffengewalt autorisiert, was zu grösseren militärischen Operationen führte. Das ist 0,002 Prozent aller Sicherheitsresolutionen. In der überwiegenden Mehrzahl der Situationen handelt der Rat nicht militärisch, sondern politisch. Ich meine, da haben wir unsere Rolle zu spielen. Wir haben den Ruf, ein ‹honest broker› zu sein. 

Noch ein Wort zur Neutralität: Wenn der Sicherheitsrat in Ausnahmefällen dennoch eine militärische Intervention autorisiert, handelt er unisono und im Namen der internationalen Gemeinschaft. Und genau das ist der wesentliche Unterschied zum klassischen zwischenstaatlichen Konflikt, für den die Neutralität gilt. Die Neutralität steht nicht im Widerspruch zu einer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat.

Sicherheitsrat
Im April 2012 verabschiedete der Sicherheitsrat in New York eine Resolution, mit der die Entsendung von bis zu 30 Beobachter:innen zur Überwachung des Waffenstillstands in Syrien genehmigt wurde. Keystone / Un Photo/paulo Filgueiras

Was bedeutet der Sitz für das Internationale Genf?

Das Internationale Genf ist ein Ort des Multilateralismus, so wie die Uno. In Genf sitzen alle technischen Organisationen der Uno, in Genf gestalten wir die Regeln der Globalisierung. Die Schweiz hat ein Interesse, den Multilateralismus zu stärken. Es ist jetzt die Zeit, dass wir uns dafür engagieren, denn wir sehen eine Erosion des Multilateralismus zurzeit. Im Sicherheitsrat können wir unsere Stimme erheben für den Multilateralismus und für die Regeln, die für alle gelten, also das Völkerrecht. Es liegt in unserem Interesse.

Welche Erfahrungen haben andere neutrale und eher kleine Länder wie Finnland, Schweden und Österreich gemacht?

Ich glaube, sie haben gute Erfahrungen gemacht. Schweden hat in New York eine Vermittlerrolle gespielt. In Schweden gab es die gleichen Diskussionen wie in der Schweiz, als es für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat kandidierte.

Ich finde: Wir sind Mitglied der Uno, wir sind sehr engagiert in der Uno, und wir bezahlen auch etwas an die Uno, da ist es normal, dass wir unser Engagement auf ganzer Linie durchziehen.

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