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«Diese Studie dient als Modell für die folgenden»

Keystone

Professor Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, erklärt gegenüber swissinfo, was in der neusten Umfrage über den Antisemitismus exemplarisch ist.

Die angewandte Methode berichtet seines Erachtens besser über die wahren Gefühle der Schweizer gegenüber den Juden. Und sie werfe ein Schlaglicht auf andere, beunruhigende Rassismusformen.

Im März 2000, befindet sich die Schweiz mitten in der Diskussion über die nachrichtenlosen jüdischen Vermögen. Damals beschreibt eine Umfrage des Instituts gfs.bern 16% der Schweizerischen Bevölkerung als «durch und durch antisemitisch». Weiter werden 60% der Bevölkerung mit «antisemitischen Tendenzen» in Verbindung gebracht.

30. März 2007: Dasselbe Institut präsentiert seine neue Studie zum Thema Antisemitismus. Sie zeigt auf, dass einer von zehn Schweizern eine «systematisch antisemitische Einstellung» hat. Zudem teilen rund 28% der Bevölkerung anti-jüdische Klischees.

swissinfo: Zeigen diese spektakulären Abweichungen in den Zahlen eine echte Änderung der Einstellung oder liegt das Ihrer Ansicht nach an der Methode, die für Umfrage geändert wurde?

Georg Kreis: Ich bin der Ansicht, dass dies von der Methode abhängt. Ich glaube, das sehen die Autoren der neuen Studie, die auch an der früheren beteiligt waren, auch so. Je nachdem wie die Umfrage inszeniert ist, sehen auch die Antworten entsprechend aus.

Zum ersten Mal sind signifikante und differenzierte Aussagen möglich. Speziell spannend – auch wissenschaftlich-methodologisch – finde ich die Differenzierung und gleichzeitige Verknüpfung der drei Kategorien kognitiv, konativ, und emotional.

Es ist zu hoffen, dass man die Qualität der jetzigen Umfrage für so gut erachtet, dass man sie als Modell für die nächsten Jahre einsetzt. Aber auch als Modell für die Frage nach der Diskriminierung anderer Minderheiten, wie die Fahrenden oder Muslime.

swissinfo: Man sieht, die Schweizer Bevölkerung ist deutlich kritischer gegenüber der israelisch-palästinensischen Politik als die in der Schweiz lebenden Juden.

G. K.: Es ist wichtig, dass man das grundsätzlich unterscheidet und dass man die gegenwärtige, seit einigen Jahren andauernde Politik der Regierung von Israel nicht gleichsetzt mit der jüdischen Minderheit hier in der Schweiz.

Und es ist auch verständlich, dass man dann in diesem Fall auch kritischer ist gegenüber dieser Politik. Aber das heisst natürlich nicht, dass hier nicht auch ein gewisses Potential von Antijudaismus oder Antisemitismus drin steckt. Von der Methode her halte ich es für wünschenswert, dass man es unterscheidet.

swissinfo: 1994 haben sich 55% der Schweizer für die Einführung der Antirassismus-Strafnorm ausgesprochen. Im Jahr 2000 betrug die Zustimmung laut einer Studie 69% und nun ist sie auf aktuell 66% zurückgegangen. Dieses Gesetz verursacht ja auch Justizminister Christoph Blocher «Bauchweh». Halten Sie die leichte Abschwächung der Zustimmung für wesentlich?

G. K.: Das ist überhaupt nicht signifikant. Denn es gibt nach oben und nach unten einen Ungenauigkeitsgrad von ein bis zwei Prozent.

Ich bin eher sogar überrascht und erfreut über die hohe Zustimmung zu dieser Strafnorm. Denn ich habe bemerkt, dass in den letzten Monaten, mindestens in der Öffentlichkeit, die grundsätzliche Kritik an diese Strafnorm zugenommen hat.

Leider wurde sie vom Justizminister selber angeführt. Und so habe ich eigentlich mit schlechteren Resultaten gerechnet.

swissinfo: Die Umfrage zeigt, dass die Schweizer ein bisschen weniger antisemitisch geworden sind. Dagegen, wie schon im Jahr 2000, drücken sie mehr feindselige Gefühle gegenüber anderen Minderheiten aus, wie gegen Menschen aus dem Balkan oder Muslime. Beunruhigt Sie das?

G. K.: Wir haben eine paradoxe Situation, denn der Antisemitismus ist grundsätzlich hartnäckiger, und er ist auch polyvalenter.

Dagegen führen bei anderen Rassismen nur ganz spezifische Qualitäten zu Anti-Gefühlen. Und trotzdem glaube ich, hat sich einfach auch aus historischen Gründen festgesetzt, dass man nicht antisemitisch sein soll.

Und es wäre wünschbar, dass die gleiche Sensibilität und Empathie auch anderen Minderheiten gegenüber aufgebracht wird. Es müssen ja nicht Pogrome stattfinden, bevor man anerkennt, dass zum Beispiel die Muslime als Minderheit auch von der Religionsfreiheit Gebrauch machen dürfen.

swissinfo-Interview: Marc-André Miserez

Am 9. März 1993 billigt das Schweizer Parlament das internationale Übereinkommen zur Eliminierung aller Formen von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965.

Um diesen Text ratifizieren zu können musste sich die Schweiz mit einer antirassistischen Strafnorm ausstatten. Sie wurde 1994 in einer Volksabstimmung mit einem Ja-Anteil von 55% gebilligt.

Das Land stattete sich ebenfalls mit einer Kommission gegen den Rassismus aus.

Ihre Aufgaben: Förderung eines besseren Auskommens zwischen den Personen unterschiedlicher Rasse, Farbe, ethnischer oder religiöser Herkunft, Bekämpfung jeder Art direkter oder indirekter Rassendiskriminierung.

Zudem solle die Kommission sich besonders in der Rassismus-Prävention engagieren.

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