Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

«Künstliche Intelligenz ist die entscheidende Technologie unserer Zeit»

Catrin Hinkel auf einem Stuhl in einem Aufenthaltsraum
Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz. Microsoft

Künstliche Intelligenz werde unser Copilot, sagt Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz. Dass sie die menschliche Intelligenz ablösen werde, glaubt sie aber nicht.

swissinfo.ch: Im Jahr 2021 kamen Sie aus Ihrer Heimat Deutschland nach Zürich, um die Schweizer Niederlassung von Microsoft zu leiten. Was hat Sie damals am meisten überrascht?

Catrin Hinkel: Ich war sehr beeindruckt von der Innovation und Kreativität in der Schweiz und bei Microsoft und über den Grad der Zusammenarbeit mit Partner:innen.

Catrin Hinkel wurde 1969 geboren und ist deutsche Staatsbürgerin. 1992 schloss sie ihr zweisprachiges Wirtschaftsstudium an der Universität Reutlingen ab. Danach arbeitete sie bei Accenture, einem globalen Beratungsunternehmen, wo sie eine Reihe von Führungspositionen innehatte, unter anderem als Senior Managing Director, verantwortlich für «Cloud First Strategy & Consulting» in Europa. Seit Mai 2021 ist sie Geschäftsführerin von Microsoft Schweiz.

Microsoft beschäftigt in der Schweiz über 1000 Personen. Was sind die Hauptaufgaben am Schweizer Standort?

Als CEO von Microsoft Schweiz bin ich für das 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählende «Schweizer Team» verantwortlich, das für das Marketing und den Verkauf in der Schweiz zuständig ist. Daneben beschäftigt Microsoft in der Schweiz weitere 400 Personen, die Teil des «internationalen Teams» sind.

Was macht dieses internationale Team?

Die Mitarbeiter:innen dieses Teams beteiligen sich an der Entwicklung neuer Produkte auf internationaler Ebene, das Schweizer Team und die hiesige Kundschaft profitieren von den Kompetenzen, etwa in den Bereichen Mixed und Augmented Reality.

Der Microsoft-Konzern ist dafür bekannt, seine Produkte über externe Partner zu vermarkten. Was bedeutet das konkret in der Schweiz?

Unsere hiesige Geschäftsaktivitäten in der Schweiz sind mit 4600 Firmen verbunden, die rund 100 000 Menschen beschäftigen. Dazu gehören einige globale Unternehmen wie Accenture, Tata Consulting Services oder KPMG. Aber die Mehrheit sind KMUs oder kleine lokale Unternehmen. Diese Partner:innen erhalten keine Exklusivrechte für ein bestimmtes Produkt, aber wir bieten ihnen Schulungen an.

Weltweit haben Unternehmen wie Google, Amazon, Twitter und Microsoft in letzter Zeit Stellen abgebaut. Wie sieht es mit Microsoft in der Schweiz aus?

Wir können keine Zahlen nennen. Wie dem auch sei, wir sind wir als Unternehmen, das in kompetitiven Märkten tätig ist, gezwungen, uns ständig anzupassen, um den Ansprüchen unserer Kund:innen gerecht zu werden. Diese Flexibilität ist in unserer Branche die Norm. In Bereichen, in denen wir wachsen und eine Zukunft sehen, stellen wir daher neue Mitarbeitende ein, während wir uns in Bereichen, in denen wir nicht so stark wachsen, so positionieren, dass wir die Agilität behalten.

Investiert Microsoft Schweiz in Start-ups?

In der Schweiz arbeiten wir mit rund 400 Start-ups zusammen, aber auf verschiedene Weise. In einigen Fällen investieren wir indirekt, indem wir bis zu 100.000 US-Dollar an Krediten für unsere Cloud-Dienste anbieten. In anderen bringen wir sie mit unseren Kunden in Kontakt.

Welche Beziehungen haben Sie zu den Hochschulen?

Wir arbeiten eng mit den Eidgenössischen Technischen Hochschulen zusammen. So finanzieren wir beispielsweise Lehrstühle und investieren in Forschungszentren. Darüber hinaus fördern wir den Wissenstransfer und unterstützen den wissenschaftlichen Austausch, der von Microsoft Research  durchgeführt wird.

Wie stark berifft Sie der akute Fachkräftemangel in der Schweiz?

Das ist in der Schweiz wie im Ausland ein ernsthaftes Problem, nicht nur für Microsoft, sondern auch für unsere Kunden und Partner. Um zur Lösung beizutragen, haben wir 2020 die Initiative «Skills for Switzerland» ins Leben gerufen. Organisationen wie Adecco in Zürich und das CyberPeace Institute Genf beteiligen sich an dieser Initiative. Wir arbeiten an weiteren Projekten mit digitalswitzerland und Migros.

Der Cloud-Markt boomt und wird laut Schätzungen in der Schweiz bis 2026 ein Volumen von über 11 Milliarden US-Dollar erreichen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Die Cloud-Dienste machen es möglich, die IT auszulagern und von Grössen- und Kompetenzvorteilen zu profitieren. Konkret bedeutet dies, dass dank der Cloud sehr viele Schweizer Unternehmen aller Grössen zu wettbewerbsfähigen Kosten Zugang zu neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz haben. Dies ermöglicht es den Unternehmen, Innovationen nach eigenem Ermessen voranzutreiben. Letztlich kann man sagen, dass die Cloud Innovation fördert.

Die Cloud bringt auch mit sich, dass die Daten Ihrer Unternehmenskund:innen manchmal im Ausland gespeichert werden, ein Grund zur Sorge?

Microsoft ist ein globales Unternehmen, das sowohl lokale als auch internationale Kunden bedient, und wir sind bestrebt, bestmögliche Dienstleistungen zu erbringen. In der Schweiz sind wir mit unseren vier Rechenzentren in der Lage, solide lokale Lösungen anzubieten. Das hat uns viel Vertrauen von Unternehmen eingeracht, die lokalen Auflagen unterworfen sind. Dazu gehören Banken aller Grössenordnungen, die reguliert und von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) beaufsichtigt werden.

Einige Schweizer Parlamentarier:nnen befürchten, dass Microsoft selbst Zugang zu sensiblen Daten Ihrer Kund:innen haben könnten. Was sagen Sie dazu?

Mit den Cloud-Diensten stellen Technologieplattformen zur Verfügung. Wir sind an den Daten auf diesen Plattformen überhaupt nicht interessiert. Es ist völlig ausgeschlossen, dass wir diese Daten auswerten oder sie an andere Unternehmen weitergeben. Ausserdem sind die Daten unserer Kunden auf unseren Plattformen verschlüsselt. Letztendlich geht es uns um die Demokratisierung neuer Technologien.

Wie beurteilen Sie neue technologische Entwicklungen wie die Blockchain, das Metavers oder KI?

Richtig eingesetzt kann die Technologie das Leben der Menschen einfacher, effizienter und angenehmer machen, insbesondere bei der Erledigung von Routineaufgaben. Dennoch wird die Technologie immer eine Hilfe bleiben, eine Art Copilot, und sie wird niemals Menschen ersetzen.

«Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, viele Arbeitsplätze zu revolutionieren.»

Was die künstliche Intelligenz betrifft, so ist sie die bestimmende Technologie unserer Zeit. Diese Intelligenz ist auch der nächste grosse Schritt in der Entwicklung unserer Interaktion mit Computern. In einer wirtschaftlich immer komplexer werdenden Welt hat die künstliche Intelligenz das Potenzial, viele Arten von Arbeitsplätzen zu revolutionieren.

Wo sehen Sie für KI die wichtigsten Anwendungsfelder?

Unsere Investitionen in künstliche Intelligenz erstrecken sich über unser gesamtes Unternehmen, von Teams und Outlook bis hin zu Bing und Xbox. Wir stellen bereits ein beträchtliches Interesse unserer Kund:innen in der Schweiz fest und arbeiten aktiv an «value cases», also Anwendungen mit hohem Mehrwert. Unsere Copilot-Anwendung beispielsweise ermöglicht es, schnell wichtige Daten aus einem 300-seitigen Jahresbericht zu extrahieren.

KI wirft auch ethische Fragen auf. Mehrere Staaten sind bereits dabei, entsprechende Gesetze zu erlassen.

Genau aus diesem Grund hat Microsoft 2018 eine Reihe von ethischen Grundsätzen festgelegt, die für alle unsere Anwendungen von künstlicher Intelligenz gelten. Beispielsweise schliessen wir Voreingenommenheit aufgrund der Rasse aus. Ausserdem verzichten wir auf Anwendungen, die noch nicht zuverlässig sind und bei deren Ausfall Menschen zu Schaden kommen könnten, etwa die Gesichtserkennung.

>> Erfahren Sie mehr darüber, wie künstliche Intelligenz und ihre Vorzeigeanwendung ChatGPT funktionieren:

Mehr

Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft