«Ohne öffentlichen Druck geht es manchmal einfacher»
Der Menschenrechtsdialog mit Vietnam gehört zu den Schwerpunkten der Schweizer Menschenrechtspolitik 2009. Botschafter Rudolf Knoblauch hat jüngst die siebte Gesprächsrunde in Vietnam geleitet. Er berichtet von Fortschritten.
Die schweizerische Delegation setzte sich bei der letzten Gesprächsrunde dafür ein, dass Vietnam ein Hinrichtungs-Moratorium erlässt und Statistiken über die Anwendung der Todesstrafe veröffentlicht.
Bereits im Vorfeld hatte die Schweiz um Informationen zu inhaftierten Personen gebeten.
Die vietnamesische Seite erkundigte sich über das schweizerische Ausländer- und Asylgesetz.
swissinfo: Warum führt die Schweiz mit Vietnam einen Menschenrechtsdialog?
Rudolf Knoblauch: Zwei Drittel aller Staaten haben Defizite bei der Beachtung der Menschenrechte. Doch nicht jedes Land ist gleichermassen bereit, daran zu arbeiten.
Die Schweiz führt mit rund einem halben Dutzend Staaten Menschenrechtsdialoge. In Vietnam ist die Bereitschaft für Veränderungen gross.
swissinfo: Welche Defizite hat Vietnam bei den Menschenrechten? Worüber sprechen Sie bei den Treffen?
R.K.: Defizite gibt es bei der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Auch die Zustände in den Gefängnissen sind zum Teil problematisch.
Wir sprechen mit Vietnam über alles – über das Strafrecht und den Strafvollzug, aber auch über Religionsfreiheit, die Rechte von Minderheiten und die Gleichstellung.
swissinfo: Nützt es denn etwas, über diese Themen zu sprechen?
R.K.: Ja, mit Gesprächen kann viel erreicht werden. Der Menschenrechtsdialog beinhaltet zudem nicht nur Gespräche, sondern auch konkrete Projekte, die von der Schweiz finanziert werden.
Experten aus der Schweiz bilden beispielsweise vietnamesische Gefängnisdirektoren und -wärter aus. Sie vermitteln ihnen die Umsetzung von internationalen Konventionen, die Vietnam unterzeichnet hat.
swissinfo: Was hat der Dialog bisher konkret gebracht?
R.K.: Die Resultate zu messen, ist nicht immer einfach. Noch dieses Jahr soll der Dialog aber von unabhängiger Seite evaluiert werden.
Fest steht, dass sich die Menschenrechtslage in Vietnam in den vergangenen Jahren stark verbessert hat. Todesurteile werden nicht mehr vollstreckt, in den Gefängnissen wird weniger gefoltert, und die Religionsfreiheit wird offiziell anerkannt.
swissinfo: Menschenrechts-Organisationen berichten aber von zahlreichen Verstössen gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung.
R.K.: Natürlich gibt es nach wie vor Defizite, sonst müssten wir uns ja nicht mehr zu Gesprächen über Menschenrechte treffen. Doch aus unserer Sicht verläuft der Dialog mustergültig.
swissinfo: Warum funktioniert der Dialog mit Vietnam denn besser als die Dialoge mit anderen Staaten, beispielsweise mit China?
R.K.: Zum einen, weil Vietnam mit der Schweiz einigermassen vergleichbar ist, auch von der Grösse her. Der Dialog zwischen Ländern, die Gemeinsamkeiten haben, gestaltet sich immer einfacher.
Zum andern aber auch, weil im Fall von Vietnam der politische und mediale Druck nicht so gross ist wie im Fall von China. Der öffentliche Druck kann den Dialog erschweren und sogar Abwehrreflexe hervorrufen.
swissinfo: Vietnam ist ein Schwerpunktland des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Ist der Ausbau der Handelsbeziehungen mit einem Land, das die Menschenrechte missachtet, nicht problematisch?
R.K.: Es ist sinnvoll, die wirtschaftliche Entwicklung und die Verbesserung der Menschenrechtslage gleichzeitig voranzutreiben.
Die Vietnamesen haben gemerkt, dass ihnen die Einhaltung der Menschenrechte nützt. Deshalb sind sie mit Enthusiasmus dabei.
swissinfo: Die Bezeichnung ‹Dialog› suggeriert, dass beide Parteien gleichberechtigt sind. Ist es faktisch nicht eine einseitige Angelegenheit?
R.K.: Nein, der Dialog verläuft symmetrisch. Bei manchen Themen hat die Schweiz die Themenführerschaft, bei anderen Vietnam. Wer für ein Thema verantwortlich ist, hat das Erstspracherecht.
Auch in der Schweiz gibt es Defizite. Die vietnamesische Delegation ist stets gut informiert und spricht uns auf heikle Themen an, zum Beispiel auf die Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten. Über Religionsfreiheit müssen auch wir diskutieren.
swissinfo und Charlotte Walser, InfoSüd
Der Vietnamese Truong Quoc Huy sitzt in seiner Heimat eine sechsjährige Haftstrafe wegen «Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam» ab.
Laut Amnesty International (AI) hatte er in einem Internetforum an einer Diskussion über Menschenrechte teilgenommen.
Die Menschenrechts-Organisation stellt Vietnam im letzten Bericht, der sich auf 2007 bezieht, ein eher schlechtes Zeugnis aus: Zahlreiche Dissidenten seien inhaftiert worden.
Nach dem Abschluss von Handelsabkommen am Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforum seien die Behörden besonders scharf gegen friedliche Proteste vorgegangen.
Laut AI gibt es auch weiterhin Schikanen gegenüber der ethnischen Minderheit der Bergvölker.
Dem Instrument «Menschenrechtsdialog» steht die Organisation eher skeptisch gegenüber. Es gelte, klare Ziele zu setzen und regelmässig zu überprüfen, ob diese erreicht worden seien.
Auf keinen Fall dürfe ein Dialog die Kritik unterbinden oder dazu führen, dass andere Instrumente wie Demarchen oder Resolutionen in UNO-Gremien nicht mehr angewandt würden.
Das Instrument des bilateralen Menschenrechtsdialoges wurde zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelt.
Die Schweiz nahm bereits damals den Dialog mit Vietnam auf. Es gab allerdings einen mehrjährigen Unterbruch. Seit 2003 finden regelmässige Treffen statt.
Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen die Menschenrechtsdialoge mit China und Iran.
Menschenrechtsdialoge beinhalten Treffen zwischen hochrangigen Delegationen zu vereinbarten Themen. Hinzu kommen Projekte, zum Beispiel im Strafvollzug.
Vertreterinnen und Vertreter des Partnerlandes werden zu Weiterbildungszwecken in die Schweiz eingeladen, Schweizer Experten besuchen Gefängnisse im Partnerland.
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