Verena Schlepütz – einmal nach Deutschland, nie mehr zurück
«Nie nach Deutschland!» Dies die Bedingung, als die junge Schweizerin ihrem deutschen Auserwählten in Zürich das Jawort gibt. Kurz danach findet sie sich in Deutschland wieder, wo sie mit ihm dessen Familienunternehmen leitet. Doch das ist nur der Start in das turbulente Familienleben von Verena Schlepütz.
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Verena SchlepützExterner Link kann davon ein Lied singen. 1973 verliebt sich die junge Sekretärin aus Zürich in einen deutschen Bankangestellten, der in der Schweizer Finanzmetropole Berufspraxis sammelt.
Vor der Heirat im Jahr darauf macht sie unmissverständlich klar, dass ihre Zukunft als Ehefrau nicht in Deutschland liegt.
Von Zürich nach Düren
Die Realität wirft ihren Plan über den Haufen: Der Schwiegervater, der in Düren bei Aachen eine Firma zum Bedrucken von Glas und Keramik betreibt, erkrankt schwer. Kurz darauf stirbt er. Verenas Gatte übernimmt den väterlichen Betrieb Ende 1978.
Es ist auch hier in Düren, wo uns die vife 73-Jährige in ihrem Heim empfängt. Wir besuchen sie im Rahmen von #SWIontourExterner Link, dem Reportage-Projekt von swissinfo.ch. Dabei besuchen kleine Journalisten-Teams Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in sechs Ländern in Europa, Nord- und Südamerika (siehe Box am Schluss).
«Zwei Jahre Deutschland im Maximum!», sagt die Schweizerin, als sie ihrem Mann nach Düren folgt. Was folgt, ist kein Traumstart. «Das erste Jahr war ganz schlimm», erinnert sich Schlepütz. «Alle Kontakte zu Familie, Freunden und Bekannten in Zürich waren abgebrochen. Und hier kannte ich niemanden.»
Sie macht mir ihrem Ehemann ab, dass er sie alle zwei Monate nach Zürich fährt. Zurück in heimischen Gefilden, verbringt sie jeweils eine Woche bei ihrer Mutter.
Integration über Schule und Sport
Die Integration kommt für sie erst, als die beiden Buben, geboren 1976 und 1978, in den Kindergarten und danach in die Schule kommen. Und im Fussball-Club Gürzenich mitkicken.
Verena Schlepütz hat jetzt zwar Kontakt zu anderen Müttern. Aber ein Problem bleibt: Sie fühlt sich durch die unmittelbare Nähe zu Schwiegermutter und Schwester ihres Mannes eingeengt. Zur «Flucht», wie sie sagt, kaufen sie einen Wohnwagen, mit dem die Familie an den Wochenenden an die Rur fährt, den örtlichen Fluss.
Wie in einem Familienbetrieb üblich, zieht die Ehefrau auch in der Firma am Karren. Auch als zweifache Mutter. «Von 1983 bis 2000 war ich Co-Chefin, später hatte ich die Prokura und war für den Verkauf zuständig.» Schlepütz weiss, was sie damals geleistet hat.
Schweizer Söhne, deutsche Meister
Der Wohnwagen bringt den Ausbruch. Und vom Ufer verlagert sich das Leben der vierköpfigen Familie rasch aufs Wasser – sie befahren die Rur in Kanus.
Im Kanu Club Düren zeigt sich schnell das Talent der Söhne im Wildwasser-Kanufahren. Sie trainieren und bestreiten erste Rennen. Und sie feiern Erfolge. «Guido, der ältere, war deutscher Jugend- und Juniorenmeister und zusammen mit Bruder Reto Vizemeister im Zweierkanadier», erzählt Schlepütz stolz.
20’000 Kilometer pro Jahr on the Road
Möglich ist dies nur dank intensivem Familien-Teamwork. Gefragt sind insbesondere Fahrdienste, um die jungen Sportler an die wilden Wasser in ganz Deutschland zu bringen. «Ich fuhr damals 20’000 Kilometer pro Jahr», blickt sie zurück. Bestritten die Söhne nicht denselben Wettkampf, mussten sich die Eltern in ihren Betreuerdiensten aufteilen.
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Mit 22 Jahren beendet Guido seine Karriere. Heute ist er Geschäftsführer des Familienbetriebs in dritter Generation. Und ist dabei ähnlich erfolgreich wie im Kanufahren.
Weihnachten – das ganze Jahr
Ob Frühlingserwachen, Sommerhitze oder Herbstgold: Für die Mohaba, so der Firmenname, ist nach dem Christkindlemarkt vor dem Christkindlemarkt. Im nächsten Dezember werden auf Weihnachtsmärkten in ganz Deutschland fast eine Million Menschen Glühwein aus Gläsern und Tassen geniessen, die im kleinen Betrieb in Düren bedruckt wurden.
Reto, der jüngere der Söhne, führt im bayerischen Prien am Chiemsee ein Physiotherapie-Studio.
Der Bruch
2008 dann die Zäsur: Ihr Mann verlässt sie. 2011 lässt er sich von ihr scheiden. Es ist kein Rosenkrieg. Vielmehr anerkennt und honoriert er die grossen Verdienste, die Verena Schlepütz für die Firma geleistet hatte.
Jetzt, mit 73: Sie ist immer noch voller Energie, lässt es aber ein bisschen ruhiger angehen. Sie arbeitet das Archiv des regionalen Karnevalsmuseums auf – Aachen ist eine Hochburg des mittelalterlichen Volksfestes. Zweimal die Woche geht sie in die «Muckibude». Yoga, Sauna und Gartenarbeiten sind ebenfalls Teil ihres Fitnessprogramms.
Zudem ist sie an einem Projekt zur Nachbarschaftshilfe beteiligt: Einmal pro Monat organisiert sie mit anderen einen Treffpunkt für ältere Menschen mit Kaffee und Kuchen. Auch die drei Enkelkinder betreut sie ab und zu in Düren und in Prien.
Sie unternimmt weiter Reisen und verbringt Ferien im Zelt. «Dieses ist heute etwas luxuriöser geworden, mit gutem Bett und Heizung», sagt Schlepütz.
Im letzten Jahr lud sie die Mitglieder des Schweizer-Clubs Aachen zu einem Kurs für Schweizer Mundart ein. «Kursunterlage» für die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer war unter anderem eine Schallplatte von Emil, dem bekannten Schweizer Kabarettisten, der auch in Deutschland erfolgreich war.
Der heisse Draht in die Schweiz
Statt des einstigen «Nie nach Deutschland» heisst es heute für sie «Nie mehr die Schweiz». Ausschlaggebend sind finanzielle Gründe. «Ich habe hier eine gute Rente. Aber selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht mehr zurückkehren, denn die Lebenskosten in die Schweiz wären für mich viel zu hoch.» So ist die Heimat für sie primär «nur noch ein Ferienland».
Einen heissen Draht zur Heimat gibt es aber noch: Die «Schweizer Revue»Externer Link, das Magazin für die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. Verena Schlepütz liest sie «mit Genuss».
Was die Mutter abgeschrieben hat, ist für den jüngeren Sohn verlockende Perspektive: Reto möchte mit seiner Familie in die Schweiz übersiedeln. «Ihn nerven in Bayern die zahlreichen Vorschriften und Auflagen sehr. Auch möchte er, dass seine Tochter bessere Schulen besuchen kann.»
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