«Wir wären gerne noch weiter aufgestiegen»
Am 24. Mai 1956 standen die Schweizer Hansruedi von Gunten und Dölf Reist als erst dritte Seilschaft auf dem Mount Everest.
Von ihrer ausgezeichneten Verfassung am Gipfel können heutige Himalaja-Bergsteiger nur träumen.
«Wir haben uns auf dem Gipfel sehr gut gefühlt, so dass wir gerne noch ein Stück weiter aufgestiegen wären,» erinnert sich von Hansruedi von Gunten gegenüber swissinfo. Es schwingt kein Hauch von Everest-Latein mit, wenn er diesen Satz sagt. Ein Satz, wohl einmalig in der Geschichte des Everest-Bergsteigens.
«Erhabener Augenblick»
Auf dem Dach der Welt zu stehen, empfand von Gunten als «erhabenen Augenblick». Es habe Windstille geherrscht, sei aber sehr kalt gewesen. Trotzdem seien sie zwei Stunden am Gipfel geblieben und hätten die freie Sicht auf Tibet und Nepal genossen. «Während einer Stunde zogen wir sogar unsere Sauerstoff-Masken ab», so der Pionier.
Dabei begann der Weg auf den mit 8850 Meter höchsten Punkt der Erde für die Schweizer Expedition von 1956 ganz unten. Von Gunten und seine Kollegen machten sich damals nämlich vom indischen Jainagar aus auf den Weg ins Basislager. Die Stadt in der Ganges-Ebene liegt nur wenige Meter über Meer.
«Nach dem langen Anmarsch von vier Wochen waren wir am Berg sehr gut akklimatisiert», so von Gunten weiter. Dies im Gegensatz zu vielen heutigen Everest-Anwärtern, die in einer knappen Stunde von der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu nach Lukla fliegen, wo der 9-tägige Marsch ins Basislager beginnt.
Karawane mit 10 Tonnen Material
Die rund 10 Tonnen Material der Schweizer Expedition an den Berg zu bringen, war ein Riesenunterfangen. Zeitweise reihten sich an die 500 Träger in die Kolonne ein, zu deren Bild auch Ochsenkarren gehörten.
Auf dem Anmarsch hatte es ihm dann ganz besonders die nähere Umgebung des Everest angetan. «Wir gehörten im Solu Khumbu zu den ersten Touristen überhaupt, und das war sehr schön.» Trotzdem wurde von Gunten nicht vom «8000er Virus» befallen, er kehrte auch später nicht mehr dorthin zurück.
Einerseits weil er eine Familie gründete, andererseits, weil die Himalaja-Saison für ihn als Hochschullehrer immer ungünstig mitten im Uni-Semester lag. Aber auch aus Furcht, die Sherpas und ihr Land vom zunehmenden Touristenstrom verändert anzutreffen.
«Eine sehr schöne Bergtour»
Am Berg selber sei ihnen das ewige Auf und Ab zwischen den Lagern mit der Zeit ein wenig verleidet. «Vom Südsattel auf den Gipfel war es aber eine sehr schöne Bergtour», resümiert von Gunten.
Die heute schier unglaublich anmutende Verfassung von Guntens und Reists am Berg wird auch durch ihren Abstieg unterstrichen. Den Südostgrat vom Gipfel zurück auf den Südsattel schafften sie in nur zwei Stunden. Die meisten heutigen Everest-Bezwinger dagegen erreichen die rettenden Zelte auf dem Südsattel nach vielen Stunden am Ende ihrer Kräfte. Falls sie es überhaupt bis ins Lager 4 schaffen.
Weniger gern denkt der Pionier an den dreiwöchigen Rückmarsch nach Kathmandu. Weil der Monsun eingesetzt hatte, waren die Wege verschlammt, und weil die Essensvorräte langsam zur Neige gingen, machte sich auch Erschöpfung breit.
Von Gunten hebt hervor, dass der Erfolg ihrer Expedition nur dank der Sherpas möglich war. Diese seien zwar damals noch keine Alpinisten und Bergführer gewesen wie heute, hätten aber sämtliches Material für die Lager 1 bis 6 ohne zusätzlichen Sauerstoff auf den Südsattel getragen.
Zu den Sherpas, so von Gunten, hätten sie ein «ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis» gehabt und seien auch sehr oft zu deren Familien eingeladen worden. Die Mitglieder der Expedition revanchierten sich, indem sie den Sherpa Dawa Tenzing in die Schweiz einluden, wo er auch einige Zeit bei von Guntens wohnte.
Sérac-Sprengungen im Khumbu-Eisabbruch
Zu seinen Abenteuer am Everest gehörte neben dem karawanenhaften Anmarsch und dem fast einsam-mythischen Gipfelerlebnis auch der Einsatz eines besonderen Mittels fürs Grobe. «Im Khumbu-Eisabbruch haben wir die gefährlichsten Séracs mit Sprengstoff beseitigt», sagt von Gunten. Dazu hätten sie 300 Kilogramm Plastit mitgeführt, was ihnen bei der Einfuhr in Indien einige Schwierigkeiten bereitet habe. Ein Handel mit einem indischen Beamten habe diese beendet, erzählt von Gunten mit einem Lächeln. Die Schweizer Bergsteiger konnten ihren Weg fortsetzen, mit noch 299 Kilogramm des gefährlichen Stoffes im Gepäck.
swissinfo, Renat Künzi
Von Gunten und Reist waren die Bezwinger 5 und 6 des Everest.
Einen Tag vor ihnen hatten Ernst Schmied und Jürg Marmet den Gipfel erreicht (23. Mai 1956).
Die Bergsteiger benützten zusätzlichen Sauerstoff ab 8000 Meter.
Die Expedition kostete damals 300’000 Franken.
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