Von Zürich zur Revolution nach Berlin
Neun Jahre lang, von 1889 bis 1898, lebte Rosa Luxemburg in Zürich, bevor sie in Berlin zur Anführerin der deutschen Arbeiterbewegung wurde. Die Bindungen aus den Schweizer Jahren blieben prägend für sie. Vor 100 Jahren wurde sie von rechten Freischärlern ermordet.
Die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Händlers war erst 17 Jahre alt, als sie im Oktober 1889 von Warschau nach Zürich kam.
Rosa hatte als Klassenbeste ihr Abitur gemacht, sie war hochintelligent und wissbegierig, sie wollte unbedingt studieren: In Deutschland und Österreich waren Frauen damals an den Universitäten noch nicht zugelassen, doch Zürich hatte ihnen bereits 1840 die Türen zu einer akademischen Ausbildung geöffnet.
Also schrieb sich die junge Polin in die Philosophische Fakultät der dortigen Universität ein. Zunächst entschied sie sich für Philosophie, Mathematik, Botanik und Zoologie, dann wechselte sie zur Volkswirtschaftslehre und zum Völkerrecht.
Sie musste ihren Weg nicht suchen
Ein «durch und durch politischer Mensch» sei sie gewesen, schreibt der Historiker Ernst Piper in seiner jüngst erschienenen Biographie über Rosa Luxemburg. Bereits als Schülerin hatte sich die junge Rosa in Warschau einer marxistischen Untergrundgruppe angeschlossen und musste daher nach dem Abitur fliehen.
In Zürich fand sie ein freies Klima, intellektuelle Anerkennung und die Chance, ihr Talent in Schrift und Tat zum Ausdruck zu bringen.
«Das erste gesicherte Datum für Rosa Luxemburgs Aufenthalt in Zürich ist der 18. Februar 1889», so Piper. An diesem Tag meldete sie sich bei der damals noch selbstständigen Gemeinde Oberstrass an.
«Die Anmeldung verlangten die kantonalen Behörden, ansonsten hatten Ausländer in der Schweiz nichts zu befürchten, solange sie nicht die öffentliche Ruhe und Ordnung störten», schreibt der Autor. Ein paradiesischer Zustand für die vielen politisch verfolgten Emigranten aus Osteuropa, die sich damals in Zürich trafen.
Netzwerkerin gegen Kriegshetze
Rasch tauchte Rosa Luxemburg in deren Kreise ein und wurde erneut politisch aktiv. Sie lernte den jüdischen Studenten Leo Jogiches aus Wilna kennen, 1891 wurden die beiden ein Paar. Hand in Hand arbeiteten sie von der Schweiz aus an Schriften gegen Imperialismus und Militarismus und gaben gemeinsam die polnische marxistische Arbeiterzeitschrift » Sprawa Robotnicza» («Sache der Arbeiter») heraus.
Die Zürcher Jahre von Rosa Luxemburg waren am 15. Januar 2019 auch Thema einer Sendung am Schweizer Radio SRF:
Rosa litt unter Jogiches nüchterner Art und dennoch blieb sie ihm bis 1906 in einer leidenschaftlichen Achterbahnfahrt verbunden.
Paradies für politisch Verfolgte
Neun Jahre verbrachte Rosa Luxemburg in der Schweiz. Hier konnte sie ohne Furcht vor Repressionen ihre politischen Ansichten diskutieren und verbreiten. Die überzeugte Gegnerin engstirnigen Nationalismus erlebte ein viersprachiges Land, in dem unterschiedliche Kulturen und Ethnien friedlich miteinander existierten und sich vor anderen Meinungen und Fremden nicht fürchteten.
Diese Liberalität zeigte auch ihr Doktorvater, der Nationalökonom Julius Wolf, in seinem Urteil über sie: Luxemburg sei «fertig als Marxistin aus Polen und Russland» zu ihm gekommen, sagte er. Doch sie sei der begabteste Schüler seiner Zürcher Jahre gewesen.
Sie liebte ihr Schweizer Leben
In der Schweiz machte die angehende Revolutionärin zugleich ihre ersten Schritte ins Rampenlicht: Im August 1893 sprach sie auf dem III. Internationalen Arbeiterkongress in Zürich vor einem grossen Publikum und begeisterte die Massen mit ihrem Redetalent. Zeitlebens rühmten Zuhörer die mitreissende Rhetorik der nur 1,49 Meter kleinen Frau.
Die emigrierte Polin liebte ihr Leben in der Schweiz, so klingt es in Piepers Biographie deutlich an. «In diesem heiteren, gottbegnadeten Zürich», wie sie die Stadt in einem Brief beschreibt, fühlte sie sich wohl und fand jene Geborgenheit, die sie später in ihren rastlosen Jahren in Berlin vermisste.
Ausführlich zitiert Piper aus Luxemburgs Briefen, die sie während des ersten Weltkriegs aus deutschen Gefängnissen schrieb und in denen sie die Schönheit des Genfers Sees preist.
Zugfahrt am Genfersee
«Und dann die herrliche Strecke von Lausanne nach Clarens, mit den winzigen Statiönchen alle 20 Minuten, tief unten am Wasser ein Häuflein kleiner Häuser um ein weisses Kirchlein gruppiert, der ruhig-singende Ausruf des Kondukteurs, dann fängt die Stationsglocke ihr Gebimmel an […], der Zug setzt sich langsam in Bewegung, aber die Glocke bimmelt immer noch so hell und heiter. […] Und das jenseitige Ufer – die weisse, schroffe Bergwand unten meist in blauem Dunst verhüllt, so dass nur die oberen Schneepartien so unwirklich im Himmel schweben. Und über allem der blendende, mächtige Dent du Midi. Herrgott, wann werde ich wieder den April dort verleben! Wie Balsam giesst sich dort die Luft und Ruhe und Heiterkeit jedesmal in meine Seele»
Rosa Luxemburg im März 1917 aus dem Gefängnis an ihren Freund Hans Diefenbach.
Aus: Ernst Piper. Rosa Luxemburg, Ein Leben. Karl Blessing Verlag, München 2018.
Rosa Luxemburg war nicht nur eine grosse Denkerin, sondern mit Leib und Seele auch viel zu sehr Aktivistin, um sich dem Sog der grossen Politik widersetzen zu können. Sie wollte und musste für die Sache der Arbeiterschaft aktiv werden, und zwar in Deutschland, wo die sozialdemokratische Bewegung am stärksten war.
Selbst für die Übersiedlung nach Berlin brachte ihr die Schweiz noch Glück. Der jüngste Sohn ihrer Vermieterin, Gustav Lübeck, stellte sich auf Drängen der Mutter für eine Scheinehe zur Verfügung: Er besass einen preussischen Pass. Durch die Heirat mit ihm konnte Luxemburg legal in Preussen leben und arbeiten.
1897 schloss sie ihre Promotion ab, im April 1898 ehelichte sie Gustav Lübeck, nur einen Monat später reiste sie allein nach München und von dort einige Tage später nach Berlin weiter. Das sichere Leben in der Schweiz war vorüber.
Vermächtnis: «Die Freiheit des anders Denkenden»
«Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden.» Kein Satz Rosa Luxemburgs wird so häufig zitiert wie dieser. Er entsprang ihrer Erfahrung mit den totalitären Strukturen des russischen Bolschewismus, der Andersdenkenden den Garaus machte. Aber er ist heute so aktuell wie damals.
Dabei war auch Luxemburg eine Revolutionärin, sie kämpfte für eine Machtübernahme des Proletariats, zugleich warnte sie immer wieder vor einem drohenden Krieg und war überzeugte Pazifistin.
Immer wieder wurde sie für ihre Überzeugungen und Reden ins Gefängnis gesteckt, beinahe den kompletten Ersten Weltkrieg verbrachte sie hinter Gittern.
Aufschwung zur Anführerin und Ermordung
In Deutschland wurde sie Anfang des 20. Jahrhunderts rasch zur Wortführerin des linken Flügels des SPD, die ihrer Meinung nach die Umsetzung der sozialen Revolution zu zaghaft vorantrieb.
Als die SPD als grösste Fraktion im Reichstag dann 1914 Kriegskredite bewilligte, wandte sie sich von der Partei ab und gründete zur Jahreswende 1918/19 gemeinsam mit ihrem Mitstreiter Karl Liebknecht die Kommunistische Partei Deutschlands.
Am 15. Januar 1919 wurden die beiden von rechten Freischärlern in Berlin ermordet.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch