Dada: Die Kunstbewegung, die alles in Frage stellte
Zürich feiert dieses Jahr 100 Jahre Dada. Es ist die einzige kulturelle Bewegung, die von der Schweiz aus die Welt eroberte. Im Zentrum stand damals das Zürcher Cabaret Voltaire. Dieses und viele andere Institutionen haben eine grosse Veranstaltungsreihe geplant. Doch ist Dada nicht längst tot?
Das meistverkaufte Dada-Kunstwerk? Die 50-Franken-Note! Sie zeigt ein Werk der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp.
Dada ist viel mehr als «Gadji Beri Bimba», das berühmte Lautgedicht von Gründervater Hugo Ball (ganz unten). Dada war nicht nur Nonsense, sondern auch Zufall, Happening, Collage, Typografie, und so weiter. Hauptsache unkonventionell.
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Künstler-Bewegung als Antwort auf I. Weltkrieg
Alles begann an der Spiegelgasse 1, im Zürcher Niederdorf. Dort befindet sich heute, nach langem Dornröschenschlaf, wieder das Cabaret VoltaireExterner Link.
Der Hauptraum scheint sich seit 100 Jahren kaum verändert zu haben, als das Dada-Haus erstmals unter diesem Namen entstanden ist.
Überall hängen Bilder und Collagen an den Wänden, die Lebensläufe berühmter Dadaisten, irgendwo steht ein Klavier, daneben Teile von ausrangierten Schaufensterpuppen.
Hier gründeten Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916, vor genau 100 Jahren, mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs, ihr kunterbuntes Cabaret. Es war der Startschuss zur Dada-Bewegung. Der Begriff Dada allerdings tauchte erst gut zwei Monate später auf.
«Sie machten einige Monate lang Programm, bis wahrscheinlich am 23. Juni, als Hugo Ball im Bischofskostüm auftrat und wie ein Priester mit den ersten Lautgedichten lamentierte», erzählt Adrian Notz, Direktor des Cabaret Voltaire.
Die Dada-Künstlerinnen und -Künstler, die meisten waren Emigranten, zogen danach weiter. Die Spiegelgasse 1 wurde wieder zum Weinlokal Meierei.
Nach dem Krieg kehrten die meisten Dadaistinnen und Dadaisten in ihre Heimatländer zurück. Seit den 1990er-Jahren stand das Haus weitgehend leer, erzählt Notz.
Die Dada-Bewegung rechnete mit dem Wahnsinn des Ersten Weltkriegs ab, wie das Landesmuseum schreibt. Die Absurdität des Krieges war ein grosser Motor für die meist aus dem Ausland stammenden Künstlerinnen und Künstler.
Bekannte Namen der Dada-Gründergeneration sind neben den deutschen Gründern Hugo Ball und Emmy Hennings der Deutsch-Franzose Hans Arp und seine Schweizer Frau Sophie Taeuber-Arp, die Rumänen Tristan Tzara und Marcel Janco sowie der Deutsche Richard Huelsenbeck.
In New York, Paris und den deutschen Städten Berlin, Hannover und Köln entstanden in der Folge eigene Dada-Bewegungen, die viele Künstler inspirierten. Dazu gehörten in New York der US-Franzose Marcel Duchamp, der Franzose Francis Picabia und der Amerikaner Man Ray, in Paris der Franzose André Breton, in Deutschland die Deutschen Kurt Schwitters, Johannes Baader, Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld.
Kunsthistoriker sind sich einig, dass verschiedene heutige Kunstformen ohne Dada nicht existieren würden. So etwa die moderne Performance und die Ready-Mades, deren bekanntestes Beispiel das Pissoir «Fountain» von Marcel Duchamp ist.
Fruchtbare Hausbesetzung
Davon hörte der Konzeptkünstler Mark DivoExterner Link. Am 2. Februar 2002 besetzte er das Haus mit einigen Dutzend Leuten. «Richtig mit Stil, alle gut und schön angezogen», erzählt der 50-Jährige in einem Zürcher Kaffee. Man hatte Gitarren dabei und veranstaltete ein Konzert.
«Dann kam irgendwann die Polizei. Wir sagten, wir hätten das Haus geerbt. Die Polizisten freuten sich, nahmen Häppchen. Niemand kriegte mit, dass es besetzt war. Erst einen Tag später haben sie das begriffen.» Er freut sich noch heute über diese Episode.
Mitbesetzerin war auch die Zürcher Künstlerin Ajana Calugar. «Die Wände waren voll mit Bilden, Postkarten, Texten, zugekleisterten Weltkarten. Eine 360-Grad-, 3D-Installation. Man war wie in einer anderen Welt», erinnert sich die 36-Jährige.
Sie habe durch die Besetzung den Zugang zu dieser Subkultur gefunden. «Das hat mein Leben nachhaltig geprägt», sagt sie. Zwei Jahre später spielten sie und Divo beim Dokumentarfilm «Dada Changed My Life»Externer Link eine massgebliche Rolle.
Dada gehört allen
Divo gefällt an der Dada-Bewegung das Kollektive. «Es war eine Künstlerbewegung, die von Künstlern gemacht wurde», sagt er. Zum 100-jährigen Jubiläum plant er ein dadaistisches Seminar an seinem Wohnort Prag, bei dem er den Einfluss untersuchen will, den Dada auf die subversiven Bewegungen hatte, die von Zürich ausgingen.
Calugar führt am 6. Februar im Cabaret Voltaire eine ChaostageExterner Link durch, ein Wortspiel aus Chaos-Tage und Chaos-Bühne (engl.: Stage).
«Von Musik über Performance bis zum Film werden verschiedene Sachen gezeigt», sagt sie. «Es gibt keine Vorgaben.» Für sie ist Dada «ein verspielter Bruch mit allem, was als konventionell gilt».
Richtig fassbar ist Dada nicht. «Was Dada ist, wissen nicht einmal die Dadaisten, sondern nur der Ober-Dada, und der sagt es niemand», schrieb der Dadaist Johannes Baader bereits 1919.
Juri Steiner ist Co-Kurator der Ausstellung «Dada Universal»Externer Link im Landesmuseum und Leiter des Vereins, der die Veranstaltungen und die Website zum 100-Jahr-JubiläumExterner Link organisiert. Er entdeckte Dada während seiner Sturm-und-Drang-Phase.
Dada sei für ihn, «dass man durch eine radikale Form von Peinlichkeit gehen muss, um zu sich selbst zu finden. Und hinter dieser Angst des Versagens steckt eine neue, kreative Freiheit, die bei den Dadaisten in grandiose Kunstwerke gemündet hat», so Steiner.
Die ersten Jubiläumsanlässe laufen bereits seit letztem Jahr. Übers ganze Jubiläumsjahr 2016 verteilt sind verschiedenste Veranstaltungen in Theatern, Museen, Musiklokalen, an Festivals und im Internet geplant. Eine Übersicht bietet die Website zum 100-Jahr-JubiläumExterner Link.
Über 40 lokale, nationale und internationale Kulturinstitutionen beteiligen sich am Jubiläum. Die Feierlichkeiten sollen «über Verbindungen mit anderen internationalen Dada-Metropolen wie Berlin, Paris, New York und Moskau verlinkt werden», wie die Organisatoren schreiben.
Dada in all seinen Facetten feiert ein kunterbunter Strauss aus Ausstellungen, Aufführungen, Lesungen, Debatten, Kostümbällen, Stadtführungen, Seminaren, Publikationen, Symposien, einem Dokumentarfilm, TV-Liveübertragungen, Webprojekten, einem «Dada Hand Buch» für Einsteiger und einer Jubiläumszeitung.
Massgebliche Unterstützung erhält das Dada-Jubiläum von Stadt und Kanton Zürich sowie dem Bundesamt für Kultur (BAK)Externer Link.
Entfesselte Kunst
«Diese Eruption ist bis heute in der Kunst zu spüren», sagt der Ex-Direktor des Berner Zentrums Paul Klee, ein ausgewiesener Dada-Spezialist. Dada habe die Kunst, die danach kam, völlig verändert. Er nennt das Cabaret Voltaire ein «Monument der Avantgarde».
«Dada war die erste transdisziplinäre Kunst», sagt dessen Direktor Adrian Notz. Die Erben von Dada seien Surrealisten, Lettristen, Situationisten, Fluxus, Punk, die Beat-Generation, heute die Performancekunst. «Marina Abramović etwa bezieht sich darauf», so Notz.
«Eine Art Moment zu kreieren, wo die Grenze zwischen passivem Publikum und aktivem Künstler aufgelöst wurde. Das war sicher einer der spannenden Momente im Cabaret Voltaire», ergänzt Steiner. Dada als Geisteshaltung sei heute immer noch «virulent».
Digitale Dimension
Das Dada-Jubiläum findet nicht nur in der realen Welt statt, sondern auch im Cyberspace. Die zwei grössten Projekte sind Dada DataExterner Link, eine viersprachige, interaktive Hommage an Dada, an der die SRG SSR beteiligt ist, und Dada DigitalExterner Link, ein Digitalisierungsprojekt des Kunsthauses ZürichExterner Link.
Verantwortlich dafür ist Kunsthaus-Kuratorin Cathérine Hug. Ihre Faszination im Restaurierungsraum ist ansteckend. Sie zeigt mit leuchtenden Augen verschiedene Originale dadaistischer Druckschriften, die auf die Digitalisierung warten.
«Das Schöne an Dadaismus ist, dass es ein Aufruf an alle ist. Es ist sehr einschliessend», sagt Hug. Das Kunsthaus verfügt über die grösste Sammlung an Dada-Werken in der Schweiz.
Das Publikum kenne zwar die Highlights, «aber die unzähligen Dokumente und Zeitschriften, die auch Teil der Definition von Dada sind, die schlummern ein Archivdasein».
Deshalb macht das Kunsthaus diese rund 540 Kunstwerke nun online zugänglich. Dabei habe sie das Glück gehabt, sehr eng mit dem Dada-Spezialisten Raimund Meyer zusammen arbeiten zu dürfen.
«Erbe annehmen»
Dass eine konventionelle Veranstaltungsreihe auch Kritiker auf den Plan ruft, ist klar. So schrieb Politologin Regula Stämpfli etwa in der Basler Zeitung über das Konzept hinter dem Jubiläum: «Die Dadaisten von damals würden sich zu Tode lachen.»
Juri Steiner kontert: eine Plattform, von der aus verschiedene Dinge vernetzt organisiert würden, müsse nicht selber auch dadaistisch sein.
Viel wichtiger sei, «dass man sich noch einmal historisch mit Dada auseinandersetzen kann, dass man dieses Erbe annimmt und sagt, das gehört zu uns. Auch wenn die Dadaisten nicht unbedingt Schweizer waren».
«Gadji beri bimba» – das Lautgedicht von Hugo Ball, 1916
gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori
gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini
gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim
gadjama tuffm i zimzalla binban gligla wowolimai bin beri ban
o katalominai rhinozerossola hopsamen laulitalomini hoooo
gadjama rhinozerossola hopsamen
bluku terullala blaulala loooo
zimzim urullala zimzim urullala zimzim zanzibar zimzalla zam
elifantolim brussala bulomen brussala bulomen tromtata
velo da bang band affalo purzamai affalo purzamai lengado tor
gadjama bimbalo glandridi glassala zingtata pimpalo ögrögöööö
viola laxato viola zimbrabim viola uli paluji malooo
tuffm im zimbrabim negramai bumbalo negramai bumbalo tuffm i zim
gadjama bimbala oo beri gadjama gaga di gadjama affalo pinx
gaga di bumbalo bumbalo gadjamen
gaga di bling blong
gaga blung
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