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100 Jahre im Dienst der Arbeitgeber

Während des Generalstreiks 1918 wurde auch die Armee gegen streikende Arbeitende eingesetzt. Keystone Archive

1908 erblickte der Schweizerische Arbeitgeberverband das Licht der Welt. Die 100 Jahre zwischen damals und heute standen im Zeichen der Verteidigung der Interessen der Unternehmen und ihrer Vertreter.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befand sich die industrielle Revolution in ihrer Hochblüte. Wie in anderen westlichen Ländern auch, organisierten sich in der Schweiz Arbeitnehmer wie Arbeitgeber.

1873 wurde der allgemeine schweizerische Arbeiterbund gegründet. Dieser löste sich 1880 auf. An seine Stelle trat der Schweizerische Gewerkschaftsbund, acht Jahre vor der Gründung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP).

Am Anfang standen vor allem Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf der Tagesordnung: Zwischen 1880 und 1914 fanden 2416 Streiks statt. Die Behörden brachten die Polizei gegen die Streikenden zum Einsatz, manchmal auch die Armee.

Weltweit regte sich Widerstand. Auch in der Schweiz war das soziale Klima nicht angenehm. So ist seit 1904 der Klassenkampf ein Eckpfeiler des SP-Programms.

Mit vereinten Kräften

Bald realisierten auch die Arbeitgeber, dass die einzelnen Branchenverbände nicht ausreichten, um gegen die Arbeiterverbände anzukommen. Eine Vereinigung drängte sich auf.

So schlossen sich 1908 acht Organisationen, unter ihnen der Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen-Industrieller (ASM) zum Zentralverband Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen, dem heutigen Schweizerischen Arbeitgeberverband, zusammen. Eine Union von 4000 Unternehmen mit rund 154’000 Angestellten.

«Sein Hauptziel bestand in der Bekämpfung von Streiks und Gewerkschaften sowie in der Kontrolle und Verhinderung der Entwicklung im Bereich der Sozial- und Arbeitspolitik. Es handelte sich um eine ‹Kampfgemeinschaft›. Und dies blieb sie mindestens bis zum Zweiten Weltkrieg», sagt der Historiker Hans Ulrich Jost.

Der Dialog war noch nicht Teil der Unternehmerkultur. Jeder Schritt in Richtung Weiterentwicklung des Sozialstaates wurde bekämpft: Nein zur 48-Stunden-Woche, keine Verbesserung bei der Arbeitslosenversicherung, keine Erhöhung der bezahlten Ferien, keine Familienzulagen,…

Von der Konfrontation zum Dialog

Im Kampf gegen Streiks versuchte der Verband, Einfluss auf die Gewerkschaften zu gewinnen. So verwendete er Datensammlungen, zum Beispiel jene der Schweizerischen Maschinenindustrie von 1905, die aus Zehntausenden von Ordnern bestanden. Mit diesen Daten wurden Kündigungsentscheide gefällt oder über die Einstellung neuer Mitarbeitender entschieden, sagt Jost.

Der Generalstreik von 1918 und vor allem die Krise der frühen 30er-Jahre trugen zu einer ersten Mentalitätsänderung bei. Sicher auch, weil sich die Bundesbehörden zur Intervention veranlasst sahen, da sie gegen die Auswirkungen der Rezession vorgehen mussten.

So wurde die Logik der Konfrontation langsam durch den Dialog ersetzt. Dies zeigte sich bereits 1937, bei der von Gewerkschaften und Arbeitgeberverband für die Metallindustrie unterzeichneten Vereinbarung, bekannt geworden als Friedensabkommen.

Der eigentliche Wendepunkt sei aber während des Zweiten Weltkrieges eingetreten, erklärt Hans Ulrich Jost: «1941 und 1943 setzte die Regierung trotz anfänglichem Widerstand der Arbeitgeber zwei Dekrete durch, die für Kollektivarbeitsverträge obligatorisch erklärt wurden.»

Dies erlaubte die Schaffung eines Gesamtarbeitsvertrages zwischen allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einer Branche. Die Waffe des Streiks musste dem Weg der Verhandlungen weichen. Und heute gilt das Verhandeln als Teil der Schweizerischen Tradition und Volksseele.

Ausländische Arbeitskräfte

Der zweite Wendepunkt war in den 50er- und 60er-Jahren, als die Schweizer Wirtschaft ausländische Arbeitnehmer suchen musste, um das enorme Wirtschaftswachstum verdauen zu können.

«Während dieser Jahre», sagt Jost, «war der Arbeitgeberverband schneller zu Kompromissen mit den Gewerkschaften bereit. Er versuchte, die Schweizer Arbeitnehmer zu privilegieren, in der Hoffnung, dass sich die Gewerkschaften nicht allzu sehr für die Interessen der Fremdarbeiter einsetzen würden.»

Diese Strategie erlaubte auch, die negativen Gefühle gegenüber den Immigranten abzuschwächen, welche in James Schwarzenbachs «Überfremdungs-Initiative» zum Ausdruck kamen. Dieses Volksbegehren wurde auch tatsächlich vom Stimmvolk abgelehnt.

Der Arbeitgeberverband bemüht sich auch, das Bild der Unternehmer zu verbessern, die oft als Profiteure bezeichnet werden: Jeder Arbeitgeber und alle Arbeitgeberverbände seien dafür verantwortlich, dass diese Vorurteile dementiert würden, wird 1967 im Jahresbericht des Arbeitgeberverbandes vermerkt.

Konstruktive Lösungen

Der Kampf gegen Streiks, ein Hauptziel bei der Gründung des Arbeitgeberverbands, gehört mehr oder weniger der Vergangenheit an. Dies gilt nicht für ein anderes wichtiges Gründungsziel: «Der Schweizerische Arbeitgeberverband ist und bleibt eine sehr potente Vereinigung, mit einer wichtigen Lobby-Aufgabe, deren Ziel ist, die Ausweitung des Sozialstaates zu verhindern.

Seine Vereinigung setze sich für klare, unternehmerfreundliche Rahmenbedingungen ein. Dies beinhalte auch den Widerstand gegen Projekte, welche die Wettbewerbsfähigkeit untergrüben, sagt Alexandre Plassard, Mitglied der Verbandsdirektion.

«Trotzdem suchen wir konstruktive Lösungen. So befürworten wir zum Beispiel eine Politik, die Beruf und Familie unter einen Hut bringt. Wir versuchen, ein Optimum herauszuholen zwischen wirtschaftlicher Effizienz und sozialem Schutz», sagt Plassard.

swissinfo, Daniele Mariani
(Übertragung aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

Arbeitgeberpräsident Rudolf Stämpfli hat die Manager zu mehr Bescheidenheit und die Unternehmer zum Verzicht auf Hardliner-Positionen aufgerufen. Der Vertrauensverlust sei das grösste Handicap für die Umsetzung einer guten Arbeitgeberpolitik, sagte er am 100-Jahr-Jubiläum seines Verbands.

An der Feier im Stade de Suisse ging der Verbandspräsident auch auf die Finanzkrise ein. Er nannte drei Ursachen: die Verabschiedung der Finanzwirtschaft von realen Werten, den totalen Vertrauensverlust der Banken untereinander und der Anleger gegenüber den Banken sowie die Entschädigungssysteme.

Diese hätten den nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Leistung, Erfolg und Verantwortung aus den Angeln gehoben. Er verlangte deshalb eine Rückkehr zu den Wurzeln, den echten und bewährten helvetischen Werten.

In der Schweiz gibt es viele Branchenorganisationen und drei wichtige Arbeitgeberverbände.

Der Verband der Schweizer Unternehmer etwa konzentriert sich auf Sozialpolitik (Beschäftigung, Arbeitsrecht, Gesamtarbeitsverträge, etc.), Sozialpolitik und Ausbildung. Dazu gehören 80 regionale Unterverbände. Der Unternehmerverband ist erster Ansprechpartner der Gewerkschaften und des Bundes in Sachen Sozialpolitik.

Economiesuisse widmet sich in erster Linie der Allgemeinpolitik und den Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.

Der Schweizerische Gewerbeverband vertritt mehr oder weniger dieselben Anliegen wie Economiesuisse, richtet seinen Fokus aber auf Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU).

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