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Ein Vierteljahrhundert Diskussion um die Meinungsfreiheit in der Schweiz

Plakat UNO-Maulkorb Nein aus der Abstimmungskampagne 1994
"UNO-Maulkorb Nein": So bekämpften die Gegner das Antirassismus-Gesetz. Die Mehrheit aber stimmte am 25. September 1994 dafür. Keystone


Vor 25 Jahren sagten fast 55% der Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger Ja zur Einführung der Rassismus-StrafnormExterner Link. Seither kann in der Schweiz bestraft werden, wer öffentlich zu Hass oder Diskriminierung gegen Menschen «wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion» aufruft. 2018 wurde das Gesetz auf die Diskriminierung von Menschen aufgrund der sexuellen Orientierung ausgeweitet. Das hat die alte Diskussion neu angefacht.

Am 25. September 1994 sprach sich das Schweizer Volk für eine Rassismus-Strafnorm aus. Der Abstimmungen voran gingen hitzige Diskussionen. Die Befürworter betonten den Kampf gegen Hetze und Rassismus, die Gegner sahen das Ende der Meinungsäusserungsfreiheit.

Strafbar macht sich in der Schweiz seither, wer Angehörige ethnischer oder religiöser Gruppen per se als herabsetzungswürdig einstuft. Einer der zentralen Punkte ist ebenfalls die Leugnung oder die Verharmlosung eines Völkermordes.

2018 weitete das Schweizer Parlament das Gesetz aus: Neu soll auch die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in den Artikel aufgenommen werden.

Doch dagegen erhob sich Widerstand: Religiöse Kreise und Mitglieder der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) reichten das Referendum ein.

Damit befindet sich die Schweiz in einer ähnlichen politischen Situation wie vor einem Vierteljahrhundert, als das Gesetz eingeführt wurde. Auch damals versuchten Gegner des Gesetzes, das vom Parlament als unproblematisch abgesegnet wurde, per Volks-Veto zu kippen.

1989: Neonazis marschieren auf

Wie kam es zur Einführung des Gesetzes? Wer befürwortete und wer bekämpfte es damals?

Im August 1989 bespuckte der Chef der Schweizer Neonazi-Gruppe «Patriotische Front» in einer Diskussionssendung im Schweizer Fernsehen SRF eine dunkelhäutige Frau. Im Mai zuvor hatten Neonazis an einer «Tamilen-Jagd» Ausländer durch die Strassen Zugs gehetzt. Ein halbes Jahr vorher hatten Skinheads zu Dutzenden ein Asylbewerberzentrum angegriffen.

Schweizer Neonazis machen 1989 auf dem Rütli vor einem brennenden Kreuz den Hitlergruss
Bilder wie dieses führten zum Ja: Schweizer Neonazis machen 1989 auf dem Rütli vor einem brennenden Kreuz den Hitlergruss. PD/Limmatverlag

Rechtsextreme traten damals in der Schweiz zunehmend selbstbewusst auf. Im November 1989 posierten sie für die Boulevardzeitung «Blick» auf dem Rütli: Im Stil des KuKluxKlans stellten sie ein brennendes Kreuz auf und grüssten mit dem Hitler-Gruss. 

Schweizweit kam es regelmässig zu Übergriffen gegen Asylbewerber und Angehörige der links-alternativen Szene. 1989 starben im Land mehrere Menschen durch rechtsextreme Gewalt.

Rufe nach einem Gesetz

Als Reaktion darauf forderten linke und liberale Mitglieder im Schweizer Parlament einen Beitritt der Schweiz zur UNO-Konvention «zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung» von 1965Externer Link. Der Artikel hatte für die Schweizer Regierung jedoch jahrzehntelang geringe Priorität. Dies, obschon die parlamentarischen Anfragen zu einem Beitritt meist eine Reaktion auf rechtsextreme Hetze und Gewalt in der Schweiz waren. –

Doch in den 1980er-Jahren verstärkte sich der politische Druck antirassistischer Akteure kontinuierlich. Lange reagierte die Politik auf die rechtsextreme Vorstellung, dass die Schweiz angesichts der Fachkräfte aus dem Ausland «überfremdet» werde, nur mit rein wirtschaftlichen Argumenten. Denn in der Schweiz forderten seit 1970 mehrere so genannte Überfremdungsinitiativen einen Stopp der Einwanderung.

Doch Gruppierungen wie «Mitenand» oder die Stiftung gegen Rassismus und AntisemitismusExterner Link forderten, dass «Ausländer» nicht mehr nur als ökonomische Nutzfaktoren toleriert, sondern als Menschen respektiert werden sollen. Zudem wurde das Asylrecht links wie rechts zu einem politischen Kernthema. 

In diesem Zusammenhang reichte die NGO «Asylkoordination Schweiz» eine Petition ein, die unter anderem forderte, die Diskriminierung und Beleidigung von ganzen Bevölkerungsgruppen als in der Öffentlichkeit zu verbieten.

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Die vermehrte Präsenz rechtsextremer Gruppen in der Öffentlichkeit und der politische Druck antirassistischer Kreise verliehen der Ausarbeitung eines Gesetzes gegen Rassendiskriminierung zusätzlich Flügel. 

Anfängliche Skepsis bei der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.DieLiberalen, Mittepartei) konnte schnell überwunden werden – sie sah das Gesetz als Gebot der Stunde. Sogar die SVP mochte nicht abseitsstehen. Nur die äusserste Rechte des Parlaments kritisierte das Gesetz als «Anti-Weisse-Rasse-Gesetz», unterlag aber deutlich.

Unheilige Allianzen

Die Referendumsfrist gegen das neue Gesetz war schon fast abgelaufen, da ergriff eine «Aktion für freie Meinungsäusserung – gegen UNO-Bevormundung» das Referendum. Treibende Kraft dahinter waren vereinzelte Mitglieder der SVP und der FDP, die gegen die Position ihrer Parteien handelten. 

Die prominenteste Figur des Komitees war der Unternehmer Emil Rahm (SVP). Er sah sich durch die Rassismus-Artikel in seiner publizistischen Freiheit bedroht, verbreitete er doch von seinem Weingut im Kanton Schaffhausen aus regelmässig krude Theorien über eine angebliche jüdische Weltverschwörung.

Bis zur Annahme der Rassismus-Strafnorm war die Schweiz ein beliebtes Tummelfeld für Rechtsextreme gewesen. Ein einschlägig bekannter Schweizer Verlag warb im benachbarten Ausland mit dem Slogan «Bei uns gibt es keine verbotenen Bücher». 

Hier konnte man Bücher bestellen, deren Autoren die Existenz von Auschwitz leugneten und welche die Juden als Ursprung allen Übels anprangerten. Mit dem Inkrafttreten des Antirassismus-Gesetzes wurde diese Möglichkeit zerstört.

Auch wenn in der SVP und der FDP durchaus ein Murren durch die Reihen ging, gingen alle Parteien, selbst die Schweizer Demokraten, auf Distanz zum Referendum. Mit Leuten, welche «die Judenfrage aufwärmen», wollte man nichts zu tun haben, meinte beispielsweise SVP-Politiker Ulrich Schlüer, der selbst an mehreren Überfremdungsinitiativen seit den 1970er-Jahren beteiligt war.

Die Krux mit der Zensur

Erst sehr spät wurden zwei weitere Komitees gegründet, die der Befürchtung Ausdruck verliehen, das Gesetz werde gewissen Ethnien und Drogensüchtigen dazu verhelfen, ein «System der Meinungskontrolle» zu etablieren. Diese Komitees sahen sich als Advokaten der freien Rede.

Zu Beginn der 1990er-Jahre hatte sich in rechtsnationalen und konservativen Kreisen die Überzeugung durchgesetzt, dass die Kritik des Rassismus nach 1989 eine Art Kommunismus in neuem Gewand sei. Dabei ging es durchaus auch um strategische Überlegungen: Rechtsnationale Kreise befürchteten einen Angriff auf ihre Politik, die auf die Einschränkung des Asylrechts und der Einwanderung abzielte. 

Doch die unangenehme Allianz aus Befürwortern einer schärferen Einwanderungspolitik und alten Antisemiten scheiterte: Das Gesetz passierte im September 1994 an der Urne mit 54,6 Prozent Ja-Stimmen deutlich.

Das Gesetz wird bis heute bekämpft. Seine Gegner behaupten, die Meinungsäusserungsfreiheit werde dadurch zu sehr beschnitten. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) fühlte sich bisweilen sogar dazu verpflichtet, explizit zu betonen, was man noch sagen durfteExterner Link

Damit konterte sie Argumente der Gegner, die ein übertriebenes Bild von Zensurmassnahmen malten. Die Realität aber sieht anders aus: In die Abstimmungsprozesse wurde kaum eingegriffen, und die Zahl der Verurteilungen ist bis heute äusserst überschaubar.

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