«Die Burka-Initiative verteidigt die Würde der Frau»
Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Schweizer Bevölkerung zum Schutz vor dem Coronavirus massenhaft Masken trägt, kommt die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" zur Abstimmung. Die sogenannte "Burka-Initiative" sehe Ausnahmen aus gesundheitlichen Gründen vor, argumentiert Jean-Luc Addor, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei.
Die Schweiz könnte dem Beispiel Frankreichs, Belgiens, der Niederlande oder Bulgariens folgen und die Burka (Vollverschleierung, die den ganzen Körper bedeckt und die Augen hinter einem gewebten Gitter verbirgt) sowie den Niqab (Vollverschleierung, die alles ausser den Augen bedeckt) verbieten. Am 7. März wird die Stimmbevölkerung über eine VolksinitiativeExterner Link abstimmen, die in der Verfassung ein Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit verankern will.
Die Regierung lehnt die Initiative ab und hat einen indirekten GegenvorschlagExterner Link ausgearbeitet, der auch vom Parlament unterstützt wird. Gemäss diesem Gesetzesvorschlag müsste jede Person bei einer behördlichen Identitätskontrolle ihr Gesicht zeigen.
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«Die Burka-Initiative giesst bloss Öl ins Feuer»
Lanciert hat die «Burka-Initiative» das Egerkinger Komitee im Jahr 2016. Das Komitee, dem viele Mitglieder der Schweizerischen Volkspartei (SVP / rechtskonservativ) angehören, stand auch hinter der «Minarett-Initiative», die 2009 vom Schweizer Volk angenommen wurde. Laut Jean-Luc AddorExterner Link, SVP-Nationalrat und Mitglied des Initiativkomitees, spricht die pandemiebedingte Maskentragepflicht nicht gegen die Initiative.
swissinfo.ch: Herr Addor, steht die Initiative zum Gesichtsverhüllungsverbot nicht etwas quer in der Landschaft, jetzt, da wir wegen Covid-19 alle mit Masken herumlaufen?
Jean-Luc Addor: Das könnte man meinen, es ist aber nicht so. Wenn man die Strasse entlanggeht, sieht man sofort den Unterschied zwischen einer Frau mit Burka oder Niqab und einer Person, die eine Schutzmaske trägt. Es ist klar, dass die Initiative nicht die Schutzmasken im Visier hat. Sie sieht eine Reihe von Ausnahmen vor. Darunter die Möglichkeit, aus gesundheitlichen Gründen vom Verbot abzuweichen. Die Pandemie zeigt also, dass die Initianten sich etwas überlegt und entsprechende Ausnahmen vorgesehen haben.
Gemäss einer Schätzung der Regierung liegt die Zahl der Burka-Trägerinnen in der Schweiz zwischen 95 und 130. Ist ein Verbot für so wenige Personen wirklich notwendig?
Ich wäre neugierig zu erfahren, auf welcher Grundlage die Regierung ihre Schätzungen vornimmt. Natürlich sieht man in der Schweiz selten Frauen in Burka ausser an einigen touristischen Orten. Andererseits sieht man selbst in der Walliser Kleinstadt Sitten Frauen, die den Niqab tragen. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen.
Seit einigen Jahren erleben wir eine Radikalisierung des Islams im öffentlichen Raum. Dieses Phänomen zeigt sich daran, dass immer mehr Frauen im Hijab [Anm. der Red.: Bedeckung der Haare, des Halses und manchmal der Schultern] und in den radikalsten Fällen mit einem Niqab auf die Strasse gehen. Das Problem existiert auch in unserem Land, obwohl es noch wenige Menschen betrifft. Wir wollen Prävention betreiben, bevor wir des Problems nicht mehr Herr werden. Frankreich, das zur gleichen Zivilisation gehört wie wir, hat praktisch die Kontrolle über die Situation verloren. An diesen Punkt wollen wir nicht gelangen.
Im Tessin ist ein solches Verbot schon seit 2016 in Kraft und hat seither nur zu etwa 30 Sanktionen geführt. Ist das nicht eine magere Bilanz?
Das ist ja so, als würde ich sagen: «Eigentlich gibt es relativ wenige Ermordungen. Was bringt es, Mord im Strafgesetzbuch zu belassen?» Zum Glück sind es nur wenige Fälle!
Im Tessin hat sich gezeigt, dass das Verhüllungsverbot sinnvoll ist, denn es gab Verzeigungen. Das Beispiel des Tessins hat auch bewiesen, dass ein Verbot keine besonderen Probleme mit anderen Ländern verursacht, wie man uns glauben machen wollte.
Gegner der Initiative befürchten, dass ein Verbot einen kontraproduktiven Effekt hätte: Frauen, die zum Tragen der Burka gezwungen werden, würden sich in den privaten Raum zurückziehen. Ist das nicht tatsächlich ein Risiko?
Diese Argumentation läuft darauf hinaus, die Zunahme von Fällen zu legitimieren, in denen Frauen und Mädchen zu Kleidung gezwungen werden, welche die Unterdrückung und Entfremdung von Frauen symbolisieren. Wir wollen uns nicht an der Unterdrückung von Frauen in unserem Land mitschuldig machen. Wir wollen die Würde und Gleichberechtigung von Frauen fördern.
Der Beweis dafür ist, dass sich sogar bei den Linken führende Persönlichkeiten für die Initiative starkmachen. Sie haben verstanden, dass es nicht glaubwürdig ist, Prinzipien zu verkünden und sie dann zu vergessen, bloss weil die Initiative aus rechtskonservativen Kreisen stammt.
Die SVP ist nicht gerade bekannt als Kämpferin für Gleichberechtigung. Ist ihr Engagement in diesem Zusammenhang nicht opportunistisch?
Es wird versucht, diese Initiative in eine ideologische Zwangsjacke zu stecken, indem sie als SVP-Initiative ausgegeben wird. Aber sie wird von einem breiten Spektrum von Persönlichkeiten unterstützt, auch von der Linken. Es ist richtig, dass die SVP im Bereich der Gleichstellung nicht immer an vorderster Front steht. Die Partei führt jedoch einen grundsätzlicheren Kampf: Wir setzen uns für die Würde der Frauen ein, was ein etwas anderer Begriff ist.
«Wir wollen uns nicht an der Unterdrückung von Frauen in unserem Land mitschuldig machen.»
Jean-Luc Addor, SVP-Nationalrat
Der von der Regierung vorgeschlagene indirekte Gegenvorschlag sieht vor, dass man bei behördlichen Kontrollen zu Identifikationszwecken das Gesicht zeigen muss. Ist das nicht ein akzeptabler Kompromiss?
Der indirekte Gegenentwurf der Regierung ist eine Nebelpetarde. Sie wollen uns glauben machen, wir hätten das Problem gelöst. Die Initiative hat einen viel breiteren Anwendungsbereich.
Das Parlament wollte der Vorlage Elemente hinzufügen, die sich auf die Integration und die Gleichstellung von Männern und Frauen beziehen, aber in Wirklichkeit weicht der Gegenentwurf dem Problem aus. Die Initiative hingegen greift das Problem frontal auf und schlägt ein Mittel zu seiner Lösung vor. Dieses Mittel ist bereits vorhanden und kann ausgewertet werden. Nämlich das Verbot im Tessin.
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Sibilla Bondolfi
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