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Albert Anker ist mehr als Ideologe einer heilen Welt

Blick in das ehemalige Atelier von Albert Anker in Ins, das im Frühling 2024 als Teil des neuen Centre Albert Anker wiedereröffnet werden soll. KEYSTONE/PETER KLAUNZER sda-ats

(Keystone-SDA) Albert Anker kennen alle – als künstlerischen Protagonisten eines idyllischen, schweizerisch-ländlichen Selbstverständnisses. Der Zürcher Filmemacher Heinz Bütler befreit den Nationalkünstler aus diesen Fesseln, mit einem Filmessay und nun auch mit einem Buch.

«Lebt Anker noch?» Der in Anführungszeichen gesetzte Titel von Heinz Bütlers Buch ist doppeldeutig gemeint. Das Zitat stammt aus einem Brief von Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo. «Ich denke oft an seine Arbeiten. Ich finde sie so treffend und fein empfunden. Er ist noch ganz vom alten Schlag», lautet das Zitat weiter.

Das Zitat untermauert die These, man dürfe Albert Anker (1831-1910) nicht als einen Maler abtun, der zwar unbestritten brillant, inhaltlich aber auf eine idealisierte ländliche Welt fixiert sei, wie Bütler meint.

Diese These liegt seinem Filmessay «Albert Anker. Malstunden bei Raffael» von 2022 zugrunde und nun auch seinem Buch. Er liess darin Persönlichkeiten wie den Basler Schriftsteller Alain Claude Sulzer und Endo Anaconda, das nach dem Film verstorbene Berner Blues-Urgestein, über den Maler sinnieren. Im reich illustrierten Buch kann über einen QR-Code ein Link zum Film freigeschaltet werden.

Er wolle «Wege zu Anker abseits der Hauptstrasse der Vermittlung zugänglich machen», schreibt Bütler im Vorwort. Bereits die Autobiografie des vermeintlichen Idyllikers und Genremalers überrascht. Der damals rund zwanzigjährige van Gogh hat Ankers Werk natürlich nicht im bernischen Ins kennengelernt, sondern im Salon in Paris. Dort, wo Anker 34 Winter lang seine Atelier-Zelte aufgeschlagen hatte.

Anker musste von seiner Kunst leben

Ein urbaner Maler ist er dadurch nicht geworden. Auch wollte er sich nicht den damals aufstrebenden Impressionisten anschliessen. Er nahm sie aber mit Bewunderung zur Kenntnis. Und in Aquarellen aus der damaligen Zeit zeigte er, dass er das Zeug zum Mitstreiter der Moderne gehabt hätte. Anker vermochte mit freien Pinselstrichen wunderbar atmosphärische Stimmungen hervor zu zaubern.

Doch Anker musste von seiner Kunst leben. Und vom Schweizer Maler erwartete man auch im konservativen Pariser Salon, dass er das Klischee seines als dörflich empfundenen Heimatlandes wiedergab – so, wie die Holländer quasi dazu verdammt gewesen seien, Windmühlen zu malen, wie Bütler an der Buchvernissage in Basel sagte.

Erst recht ging es Anker in seiner Heimat so. Die Sammler und Auftraggeber wollten die Kinderporträts, die Dorfszenen «frei von jedem moralischen Zwang», wie der sicher bekannteste Anker-Sammler Christoph Blocher am 9. September in einem Essay in der NZZ schrieb.

Blocher hebt in seinem Text die «Rechtschaffenheit» in Ankers Werk hervor, das Glück des Aufgehobenseins, die Schönheit, die sprachlos mache.

Nationalmaler ohne Erfolge im Ausland

Das ist alles Teil von Ankers Schaffen, Charakteristiken, die auch auf Abwehr stiessen und noch stossen. «Es brauchte nicht den Politiker und Sammler Blocher, um Ankers durchzogenen Ruf aufrecht zu erhalten», sagte Bütler an der Veranstaltung in Basel.

Anker war als Kunstmaler ein erfolgreicher Geschäftsmann – ganz anders als Zeitgenossen, die ihr Werk nicht auf den zeitgenössischen Publikumsgeschmack ausrichteten. Die Folge war und ist, dass der Nationalmaler Anker im Inland sehr prominent ist, anders als beispielsweise Ferdinand Hodler, im Ausland aber wenig gezeigt wird. Die erfolgreichen Ausstellungen in Japan in den Jahre 2007 und 2008 sind die Ausnahmen von der Regel.

«Wer ihn als Ideologen einer heilen Welt abtut, hat seine Bilder nicht aufmerksam angesehen», schreibt der Journalist Manfred Papst in einem Aufsatz im Buch. Er verweist auf die «erschütternden Darstellungen» von Leidenden, Sterbenden, Toten, verlorenen Trinkern, die in Ankers Hauptwerk, seinen Porträts und Dorfszenen, durchaus zu finden seien.

Ein unvoreingenommener Blick

Und dann sind da die brillant gemalten Stillleben, für die Anker zwar bekannt ist; aber weil er nur rund dreissig gemalt hat, prägten sie seine Wahrnehmung als Künstler nicht. «Doch angesichts ihrer herausragenden Qualität und Originalität nehmen sie im Gesamtwerk eine Ausnahmestellung ein, die einen besonderen, vielleicht sogar neuen, auf jeden Fall unvoreingenommenen Blick auf Anker erlauben», wie Alain Claude Sulzer schreibt.

Derart neue und unvoreingenommene Perspektiven nimmt nun Bütlers Buch ein. Es versammelt viele Briefzitate, die davon zeugen. Und ganz besonders lässt Bütler Anker selbst dafür sorgen. Einblicke in seine Skizzenbücher und Sudelhefte zeigen den Künstler, wie er sich, befreit von jeglichen Zwängen, künstlerisch und persönlich ausleben sowie ausdrücken konnte: hintergründig, nachdenklich, zuweilen ganz banal, dann wiederum hinreissend humorvoll.

*Dieser Text von Dominique Spirgi, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert

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