Biologen sind den jungen Steinadlern im Alpenraum auf der Spur
(Keystone-SDA) Das Verhalten von jungen Steinadlern ist kaum erforscht. Das möchte ein Team unter Leitung der Vogelwarte Sempach ändern: Sie entschlüsseln das geheimnisvolle Leben der «Könige der Lüfte» mithilfe von Peilsendern.
Der nasskalte Frühsommertag in den Davoser Bergen soll ein «grosser Tag» werden, wie der Biologe David Jenny von der Vogelwarte Sempach meint: Er und sein Team haben heute die Möglichkeit, zwei Steinadler, knapp fünfzig Tage alt, mit Datenloggern auszustatten. Nervosität merkt man der Gruppe, bepackt mit Bergseilen, Messgeräten und Kameras, aber nicht an.
Denn die Besenderung von jungen Steinadlern ist für sie Routine: Bereits 33 Vögel haben die Forschenden in Graubünden mit Sensoren bestückt, mit deren Hilfe sie das Leben der Jungtiere dokumentieren. Dennoch ist die Besenderung dieser beiden Steinadler etwas Besonderes, denn sie sind Geschwister, und Doppelbruten sind bei diesen Vögeln selten.
Minutiöse Dokumentation
Nach einem rund einstündigen Fussmarsch seilt sich der Bergführer und Wildhüter beim Bündner Amt für Jagd und Fischerei, Romano Salis, von einem schmalen Vorsprung zu einer steilen Felswand ab. Dort befindet sich der Horst mit den Steinadlern. Er legt sie in eine graue Tasche, die das Besenderungsteam über einen Seilzug nach oben zieht.
Dort platzieren David Jenny und die Doktorandin Julia Hatzl den ersten Jungvogel auf ein Frottéetuch. Zuerst wägen sie ihn, vermessen seinen Schnabel, die Krallen und die Flügellänge und suchen ihn nach Parasiten ab. «Das ist wahrscheinlich ein Männchen», sagt Jenny. Um ganz sicher zu sein, zupfen sie dem Steinadler drei kleine Brustfedern, die später im Labor mit Erbgut-Analysen untersucht werden sollen.
Machtkämpfe um Reviere
Steinadler fühlen sich in der Schweiz sehr wohl. In fast jedem geeigneten Lebensraum im Schweizer Alpenraum lebt heute ein Adlerpaar. Die grosse Zahl von Steinadlern befeuert jedoch Auseinandersetzungen unter den Tieren um neue Reviere.
Hierbei kommt den jungen Steinadlern eine Schlüsselrolle zu: Ab dem vierten bis sechsten Lebensjahr suchen sie sich einen Partner und versuchen ein eigenes Revier zu besetzen. Aber bisher gibt es eine Wissenslücke darüber, wie sich die Jungtiere dabei verhalten.
Rucksäckli mit Datenlogger
Nachdem dem jungen Steinadler eine Adlerhaube aufgesetzt wurde, beginnen Jenny und Hatzl, dem Vogel den mit Solarenergie gespiesenen Sender anzuziehen. Was einfach klingt, erfordert viel Gefühl: Denn der Sender klemmt an einer Art Rucksäckli, dessen Träger über die Beine verlaufen. Dieses darf weder zu eng noch zu locker sitzen.
Nicht nur die Vogelwarte erforscht die Flugrouten der jungen Steinadler. Initiiert durch das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell (Deutschland) wurde das Projekt inzwischen auf insgesamt sechs Alpenländer ausgeweitet.
Steinadler-Routen per App verfolgen
Um die Mittagszeit legt Jenny auch den zweiten, inzwischen besenderten Steinadler sorgfältig zurück in die Tasche und trägt die Geschwister wieder an den Rand des Felsvorsprungs. Vorsichtig gelangen die Jungtiere nun wieder zurück in ihr trautes Heim.
Wohin es die zwei und ihre besenderten Artgenossen ziehen wird, lässt sich nicht nur von den Forschenden, sondern auch mit einer vom Max-Plack-Institut entwickelten App mit dem Namen «Animal Tracker» verfolgen. Aber erst, nachdem die Jungtiere ihr Elternrevier verlassen haben. Denn die Brutplätze der Steinadler sollen ein Geheimnis bleiben.