Elene Naveriani: «Für den Hauptdarsteller war der Film befreiend»
(Keystone-SDA) Heute kommt «Wet Sand» in die Deutschschweizer Kinos. Das queere Drama spielt in gesellschaftlichen Gräben von Georgien. Regisseurin Elene Naveriani über Meditation am Set, Punk und Zensur.
Keystone-SDA: Eine Protagonistin in Ihrem Film «Wet Sand» sagt einmal, jeder Ort sollte am Meer liegen. Fehlt Ihnen das Meer in der Schweiz?
Naveriani: «Es geht, weil es hier überall Wasser gibt. Jede Schweizer Stadt hat einen Fluss oder See in der Nähe, das finde ich einladend. Aber das Meer ist schon etwas Besonderes für mich, stimmt. Vor allem die Wellen üben eine Anziehungskraft aus.»
Keystone-SDA: Das Drama spielt in einem Küstendorf am Schwarzen Meer. Prägte das auch die Stimmung am Set?
Naveriani: «Sehr. Am Strand und im Hotel zu arbeiten, fühlt sich immer etwas nach Ferien an, ob man will oder nicht. Nach jedem Innendreh gingen wir kurz ans Meer und die Batterien waren wieder geladen. Ich hoffe, wir finden bei meinem nächsten Projekt auch eine solche Quelle zur Meditation. Es ist eine Adaption des Romans ‹Blackbird Blackbird Blackberry› der feministischen Autorin Tamta Melaschwili und spielt in den Bergen im Zentrum Georgiens.»
Keystone-SDA: Die Schweiz als Schauplatz hat Sie bisher nicht gereizt?
Naveriani: «Komisch eigentlich, denn ich suche die Geschichten nie weit weg. In meinen Filmen greife ich vor allem das auf, was mich besorgt und stört. Irgendwann werde ich das Bedürfnis haben, etwas über die Schweiz zu erzählen, da bin ich mir sicher.»
Keystone-SDA: Konnten Sie «Wet Sand» in Georgien zeigen?
Naveriani: «Wir hatten zwei Vorführungen im Rahmen von Festivals. In die Kinos kam der Film wegen der politischen Lage leider nicht. Erst letzte Woche wurde einem alternativen Kino der Dokumentarfilm ‹Taming the Garden› von Salomé Jashi aus dem Programm gestrichen, weil er den Behörden zu kritisch ist.»
Keystone-SDA: Hat die Zensur also zugenommen?
Naveriani: «Genau, es ist beängstigend. Die Kontrolle steigt, während aber ein grosser Teil der Gesellschaft offener wird. Vor zwei Jahren reichten wir das Dossier für ‹Wet Sand› bei der staatlichen Filmförderung ein. Inzwischen haben sie die Regeln verschärft. Nun müssen Filmschaffende das wörtliche Drehbuch vorlegen. Änderungen danach sind nicht mehr erlaubt, oder der Film wird abgelehnt. Ich denke, dass das nationale Filminstitut ‹Wet Sand› heute nicht mehr finanzieren würde.»
Keystone-SDA: Ihr Film ist ein Plädoyer für LGBTIQ+-Rechte und gegen das Patriarchat. Wie wirkte sich die Mitarbeit auf den älteren Hauptdarsteller Gia Agumava aus, der zum ersten Mal vor der Kamera stand und prompt in Locarno ausgezeichnet wurde?
Naveriani: «Für ihn war es ein riesiger Schritt. Wie seine Rolle des Barbesitzers Amnon, der heimlich mit einem Mann zusammen ist, hat er selbst erlebt, wie es ist, einen Teil seiner Identität verstecken zu müssen. Durch Amnon habe er sich befreit und akzeptiert, sagt er. Und es war immer Gias Traum, in einem Film mitzuspielen.»
Keystone-SDA: In «Wet Sand» gibt es schöne Momente zerbrechlicher Intimität. Wie gelingen Ihnen diese mit den Schauspielenden?
Naveriani: «Der Kern ist ein gegenseitiges Vertrauen, das durch offene Kommunikation entsteht. Denn ich habe genauso Unsicherheiten und Zweifel wie die anderen. Es ist mehr ein gemeinsames Herausfinden, wie wir eine herausfordernde Szene jeweils machen. Ich erteile ungern Befehle. Die Magie der Regie liegt für mich darin, dass ich den anderen so viel Inspiration gebe, dass sie von sich aus losspielen wollen.»
Keystone-SDA: Was auch auffällt, ist der Einfluss von Punk – in der Musik, der Kleidung und der Wut der jungen Frauen. Kann Wut konstruktiv genutzt werden?
Naveriani: «Ja, wenn man sich dafür entscheidet. Meine nihilistische ’no future›-Weltsicht als Jugendliche wandelte sich dann, als ich mich an der Kunstschule einschrieb und mit dem Filmemachen begann. Der Krieg in der Ukraine bringt mich zwar derzeit wieder näher an mein pessimistisches Ich. Andererseits habe ich als Künstlerin zumindest eine Stimme und Bilder, die ich für Standpunkte, Empowerment und Protest einsetzen kann. Das mag nicht viel sein, doch nichts zu tun wäre keine Alternative für mich. Ganz im Gegenteil für unsere Regierung.»
ZUR PERSON: Die nonbinäre Regisseurin Elene Naveriani, 37, studierte Kunst in Tiflis und Film in Genf. Ihre Spielfilme «I am Truly a Drop of Sun on Earth» (2017) und «Wet Sand» (2021) feiern Erfolge an internationalen Festivals. «Wet Sand» gewann dieses Jahr den «Prix de Soleure» an den Solothurner Filmtagen.
*Dieser Text von Céline Graf, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.