Kommentatoren loben und kritisieren Politik-Exoten Schneider-Ammann
(Keystone-SDA) Nach der Rücktrittsankündigung von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann haben zahlreiche Zeitungskommentatoren sein Engagement und seine ehrliche Art gelobt. Mancherorts wurde aber auch Kritik am Politikstil des einstigen Unternehmers laut.
«Neue Zürcher Zeitung»:
«Arbeitsplätze, Handelsförderung, Berufsbildung, Sozialpartnerschaft, Begrenzung der Regulierung und in jüngerer Zeit die Digitalisierung: Diese Themen zählten zu den oft genannten Kernanliegen des scheidenden Wirtschaftsministers. Gemessen an der Wirtschaftslage hat Schneider-Ammann keine schlechte Arbeit geleistet. (…) Fragt man nach konkreten Erfolgen in der Ära des Wirtschaftsministers, kommt das Gespräch jeweils rasch auf die Handelsdiplomatie. (…) Schneider-Ammann war ein Kontrastprogramm zu seiner Vorgängerin Doris Leuthard. Er hatte stärkere liberale Instinkte sowie unternehmerische Erfahrung, doch ihm fehlten zwei Hauptqualitäten, die Leuthard zu einer aussergewöhnlich effektiven Politikerin machten: die persönliche Überzeugungskraft einschliesslich eines Gestaltungswillens und detaillierter Dossierkenntnisse sowie eine machiavellistische Ader im Schmieden von Koalitionen.»
«Blick»:
«In der Stunde des Rücktritts liess Johann Schneider-Ammann noch einmal seinen Schalk aufblitzen. ‹Es geht mir gut, ich bin wach›, flachste der freisinnige Noch-Bundesrat und machte sich damit über die Schlagzeilen der letzten Tage lustig, laut denen er bei wichtigen Sitzungen regelmässig eingenickt sei. Doch der frühere Unternehmer ist weder eine Lachnummer noch ein Witzbold: In seinen acht Jahren als Wirtschaftsminister kämpfte er beharrlich für die Schweizer KMU, für die Digitalisierung, für Freihandelsverträge, für die Bauern sowie – im Interesse der Landwirtschaft und der Konsumenten – bisweilen gegen sie. Vor allem aber war Schneider-Ammann in Bern eine Seltenheit, fast ein Fossil: ein durch und durch ehrlicher Politiker. (…) Am 5. Dezember wird seine Nachfolgerin gewählt. Ja, Nachfolgerin! Der Freisinn steht in der Pflicht, mindestens zwei Top-Frauen zu präsentieren.»
«Tagesanzeiger»:
«Es hörte auf, wie es immer war, wie es anfing und weiterging, all die acht langen Jahre des Bundesrats Johann Schneider-Ammann. Mit einer Begriffswolke aus Jobs, Digitalisierung, Innovation, Sozialpartnerschaft, Wettbewerb, nochmal Jobs und nochmal Jobs. (…) Einmal im Amt verband der ehemalige Chef der Langenthaler Ammann-Gruppe und einstige Präsident des Industrieverbandes Swissmem handelspolitischen Hyperaktivismus mit grösster regulatorischer Zurückhaltung. Acht Jahre lang hastete er um den Globus, um der Schweizer Wirtschaft die Türen zu öffnen und Freihandelsabkommen wie jenes mit China anzubahnen – sein grösster Erfolg übrigens. Derweil überliess er die inländische Wirtschaftspolitik anderen – den Sozialpartnern, den Verbänden, den Parteien, den Bundesratskollegen (…) Rücktritte eröffnen Chancen, und die Schweiz hat bewiesen, dass sie solche zu nutzen weiss. (…) Darum muss es nun auch beim anstehenden Rücktritt von Johann Schneider-Ammann gehen. Nur zwei von sieben Regierungsmitgliedern sind Frauen. Es sollte der FDP Chance, Ehre und Verpflichtung sein, diesen Missstand zu korrigieren. (…) Qualifizierte Kandidatinnen hat sie genug.»
«Luzerner Zeitung»:
«Der Rücktritt von Johann Schneider-Ammann per Ende Jahr schüttelt die Schweizer Politiklandschaft durch. Er kommt viel früher als erwartet (…) Damit setzt er seine Amtskollegin Doris Leuthard unter Zugzwang. Die 55-jährige CVP-Politikerin sagt selbst, sie werde spätestens Ende 2019 abtreten. Jetzt muss sie ihren Fahrplan auf jenen von Johann Schneider-Ammann abstimmen.»
«Nordwestschweiz»:
«Gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, für die Unternehmen, das war für ihn das Mass aller Dinge. Ob eine Schraube für ein Fahrrad oder einen Panzer hergestellt wurde, schien Schneider-Ammann nicht so wichtig zu sein. Es ging um Arbeitsplätze. Jobs, Jobs, Jobs – darauf hat er sein Handeln ausgerichtet. (…) Er schloss in seiner Amtszeit ein Freihandelsabkommen nach dem anderen ab, 2013 unter anderem eines mit China. (…) JSA ist, das hat ihn immer ausgezeichnet, ein ehrlicher Mensch, als Politiker wohl etwas zu ehrlich. (…) Er verfügte nicht über die Flexibilität, die Wahrheit auch einmal zu dehnen. Das muss man ihm lassen und das ehrt ihn. Er wurde nie ein guter, nie ein richtiger Politiker. (…) Johann Schneider-Ammann wird nicht als grosses oder visionäres Mitglied der Landesregierung in die Geschichte eingehen. Aber er war ein durchaus erfolgreicher Bundesrat, der viel gearbeitet und viele ‹Jobs, Jobs, Jobs› geschaffen hat.»
«Le Temps»:
Die Umstände der Ankündigung des Rücktritts von Johann Schneider-Ammann haben am Dienstag den Schwächezustand des Bundesrats ans Tageslicht gebracht. Zwar sei der Wirtschaftsminister nie stark in der Kommunikation gewesen, aber just als der Bundesrat eigentlich eine Kampagne gegen eine richtungsweisende Volksinitiative starten wollte, schickte Schneider-Ammann sein Rücktrittschreiben ab. «Was für ein Durcheinander.» Und dies ausgerechnet zu einer Zeit, wo die Landesregierung entscheidende Probleme wie den Umgang mit der SVP-Selbstbestimmungsinitiative und die Form der Beziehung des Landes zur EU lösen muss.
«24heures» / «Tribune de Genève»:
«Es braucht viel journalistisches Wohlwollen, um bei der Einschätzung von Johann Schneider-Ammann etwas Positives zu finden. Natürlich gibt es ein oder zwei internationale Abkommen, einschliesslich des Freihandels mit China. (…) Mehr als seine Kollegen verbrachte er aber seine Zeit mit Reisen und Begegnungen. (…) Sein Team sprach dagegen immer vom totalen Engagement und harter Arbeit. Das ist respektabel und bewundernswert. (…) Es bleibt letztlich aber offen, ob ein Unternehmer in der Landesregierung unverzichtbar ist.»