2005: Jahr der Arbeitskonflikte
Die Bedingungen für viele Arbeitnehmende in der Schweiz haben sich nach Ansicht der Gewerkschaften im Jahr 2005 trotz Aufschwungs verschlechtert.
Die Unzufriedenen reagierten mit Streiks und Protestaktionen – oder drohten damit.
Anfang Dezember machte das Bundespersonal seinem Ärger Luft: Rund 2500 Bundesangestellte versammelten sich, ausgerüstet mit Trillerpfeifen, Transparenten und Fahnen, vor dem Sitz von Finanzminister Hans-Rudolf Merz in Bern.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kundgebung forderten unter anderem eine höhere Wertschätzung durch ihren Arbeitgeber, keine Entlassungen und keine weiteren Sparübungen mehr. Von Erfolg gekrönt war der Protest der Bundesangestellten allerdings nicht.
An den Lohnverhandlungen gestand Merz dem Bundespersonal für 2006 eine nicht versicherte Einmalzulage von 1,9% zu. In einer Verabredung zwischen den Personalverbänden und Merz vom August 2004 war von 2,4% die Rede gewesen.
In den Händen von Financiers
Auch in der Privatwirtschaft haben sich nach Ansicht der Gewerkschaften vielerorts die Bedingungen verschlechtert. Dies betreffe zwar nicht die Mehrheit der Firmen, sagte Fabienne Blanc- Kühn von der Gewerkschaft Unia.
Betroffen seien vor allem jene Firmen, die sich in den Händen von Financiers befänden, sagte die Gewerkschaftsvertreterin und verwies auf die Buntmetallherstellerin Swissmetal, welche die Giesserei in Reconvilier im Berner Jura schliessen will.
Arbeitgeber mit anderer Optik
Zu einem anderen Schluss kommen die Arbeitgeber: So konstatiert Arbeitgeberdirektor Peter Hasler sogar eine «angenehme Atmosphäre zwischen den Sozialpartnern».
Von den 700 regelmässig verhandelten Gesamtarbeitsverträgen komme es in ein bis drei Fällen zu Konflikten, sagte Hasler. Er befürchtet denn auch keine Streikwelle im nächsten Jahr. Die Unia prophezeit indes deutlich mehr Streiks.
Flughafentaxis stehen still
Neben der Aktion des Bundespersonals sorgte im Jahr 2005 vor allem auch der Streik der Taxifahrer am Zürcher Flughafen für Aufsehen. Die Fahrer legten Mitte Juli ihre Arbeit für fünf Tage nieder.
Sie protestierten gegen die Erhöhung der Konzessionsgebühren für Flughafentaxis durch die Flughafenbetreiberin Unique. Zugleich forderten sie einen Mindestlohn von 4000 Franken.
In Siders, im Kanton Wallis, legten Ende Juni rund 400 Angestellte des Aluminiumkonzerns Alcan ihre Arbeit nieder. Sie protestierten gegen den Abbau von 110 Stellen.
Einen Warnstreik führten im Oktober rund 150 Angestellte des Verteilzentrums von Rewe/Usego im solothurnischen Egerkingen durch. Nach der Übernahme des Zentrums durch den Lebensmittel-Discounter Denner forderten sie die Weiterführung des Gesamtarbeitsvertrags.
Schlagzeilen machten auch die Regionalpiloten der Swiss. Sie wollten neue Einzelarbeitsverträge, die Lohnreduktionen, weniger Ferien und mehr Arbeit vorsahen, nicht akzeptieren. Sie drohten mit Streiks, was die Airline aber in Kauf nehmen wollte.
Streiks in der Schweiz selten
Arbeitskonflikte, die in einen Streik münden, sind dennoch selten in der Schweiz. Das Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) registrierte im Jahr 2004 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – acht Arbeitsniederlegungen von mindestens einem Arbeitstag.
Die Anzahl dadurch verlorener Arbeitstage belief sich auf 38’915 Tage, was grob gerechnet einige Promille der Gesamtarbeitstage ausmacht. Aber es war immerhin die höchste Zahl seit Beginn der Erhebung im Jahr 1984.
swissinfo und Anja Germond, sda
In der Schweiz gingen 0,6 Arbeitstage pro Jahr und 1000 Arbeiter durch Streiks verloren.
Deutschland: 4,8
Frankreich: 23
USA: 42
Irland: 102
Italien: 177
Kanada 217
(Mittelwerte 1990 – 1998.)
Quelle: Benchmarking Deutschland, Arbeitsmarkt und Beschäftigung.
Der Abstimmung vom 25. September über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die zehn neuen EU-Länder gingen Abkommen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern in der Schweiz voraus, die Arbeitskonflikte verhindern sollten.
Die beiden Parteien einigten sich über Tarifabkommen gegen Lohndumping, um die Abstimmung nicht zu gefährden.
Besonders betroffene Branchen waren: Bau, Telekommunikation, Hotel- und Gastgewerbe.
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