Angst vor Lohndumping aus der EU
Vom 1. Juni 2004 an haben Staatsangehörige aus der Europäischen Union (EU) ungehindert Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt.
Die Gewerkschaften befürchten, dass die Schutzmassnahmen gegen Lohndumping ungenügend sind.
Seit zwei Jahren können Schweizer Staatsangehörige aufgrund des bilateralen Abkommens zum freien Personenverkehr in den meisten europäischen Staaten nahezu ohne Einschränkungen arbeiten.
Am 1. Juni 2004 tritt nun die zweite Phase des Abkommens in Kraft, und die so genannte Inländer-Bevorzugung wird aufgehoben. Schweizer Arbeitnehmer werden künftig im inländischen Arbeitsmarkt nicht mehr bevorzugt.
Bern hatte diesen zweijährigen Aufschub ausgehandelt, weil man befürchtete, das Land könnte von billigen Arbeitskräften überschwemmt werden.
Neue EU-Staaten müssen warten
Das Abkommen wurde damals mit den 15 alten EU-Mitgliedstaaten ausgehandelt und muss für die 10 neuen EU-Staaten erst noch angepasst werden.
Staatsangehörige aus diesen neuen Mitgliedländern werden voraussichtlich noch einige Jahre warten müssen, bis sie freien Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt erhalten.
«Staatsangehörige aus den 15 alten EU-Mitgliedstaaten können innerhalb der Quote von 15’000 (langfristige Aufenthaltsbewilligungen) pro Jahr frei in die Schweiz einreisen. Das ist die einzige Beschränkung, die noch besteht – vorausgesetzt, sie finden eine Stelle», erklärt Dieter Grossen, stellvertretender Leiter des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung, gegenüber swissinfo.
Das Ende der Übergangsfrist
Einige EU-Staaten – namentlich Grossbritannien und Deutschland – gewähren Schweizerinnen und Schweizern das Recht auf Arbeit bereits seit 2002 – zwei Jahre vor Ablauf der Übergangsfrist. Nun müssen die übrigen Mitgliedsländer gleichziehen.
Die Gewerkschaften in der Schweiz sind aber nach wie vor besorgt: Sie befürchten, dass die Löhne unter Druck kommen, vor allem in den Grenzregionen. Sie glauben auch, dass nicht alle Kantone und Industrien darauf vorbereitet sind, mit einem möglichen Zustrom von Arbeitskräften fertig zu werden.
Das Parlament hat flankierende Massnahmen beschlossen, um Lohndumping und Schwächung des Arbeitnehmenden-Schutzes entgegenzuwirken.
Dazu gehören Regelungen über die Arbeitsbedingungen für Angestellte, die von ausländischen Firmen für eine bestimmte Zeit in die Schweiz geschickt werden, sowie die Festlegung von Mindestlöhnen und Arbeitszeiten durch die Kantone oder durch Gesamtarbeitsverträge.
Die neuen Massnahmen sollen in den Kantonen von tripartiten Kommissionen überwacht werden, denen Vertreter der Regierung und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite angehören.
Ungenügender Schutz
Laut Gewerkschaften bieten diese Massnahmen den Arbeitnehmenden aber keinen wirklichen Schutz.
«Die Schweiz ist schlecht vorbereitet auf die Öffnung des Arbeitsmarktes, da sie die Mindestlöhne nicht zur Anwendung bringen kann und es nicht so viele Gesamtarbeitsverträge gibt», erklärt Serge Gaillard vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).
Besonders prekär sei die Situation im Detailhandelsbereich, in der Landwirtschaft und im Transportwesen, fügt er bei.
Der Bundesrat widerspricht. «Die Kantone verfügen seit einem Jahr über die nötigen gesetzlichen Grundlagen, um sich zu organisieren», sagt Grossen zu swissinfo.
«Wir wissen, dass diese tripartiten Kommissionen in jedem Kanton gebildet wurden, und ich bin sicher, dass sie am 1. Juni ihre Arbeit aufnehmen können», fügt er bei.
Warnungen vor Lohndumping und einem Zustrom ausländischer Arbeitskräfte standen in der politischen Diskussion seit Inkrafttreten des Abkommens 2002 im Vordergrund. Bisher erwiesen sich die Befürchtungen als unbegründet.
Konsequente Kontrolle ist aufwändig
Der SGB sagt, die Massnahmen seien zwar vielleicht angemessen, das Problem liege aber bei deren Durchsetzung.
«Einige Grenzkantone wie Genf oder Tessin sind schon gut vorbereitet, aber im Grossen und Ganzen reagierten die Kantone nur langsam, und wir glauben, dass die Massnahmen dann in vielen Kantonen nicht angewendet werden, so dass sich die Gewerkschaften einschalten müssen», sagt SGB-Sekretärin Regula Rytz gegenüber swissinfo.
Viele Kantone hätten das Geld nicht, um die Massnahmen einzuführen, und die Führung durch die Landesregierung fehle.
«Die Instrumente gegen Lohndumping für in- und ausländische Arbeitskräfte sind gut, aber wenn sie nicht richtig kontrolliert werden, nützen sie nichts. Der Erfolg dieser Kommissionen hängt einzig davon ab, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, damit sie den Arbeitsmarkt überwachen können», schliesst sie.
Der SGB fordert mindestens 100 zusätzliche Inspektorinnen oder Inspektoren, um sicherzustellen, dass die Begleitmassnahmen wirklich durchgesetzt werden.
swissinfo, Isobel Leybold
Das Abkommen trat 2002 in Kraft und schuf zwischen den EU-Staaten und der Schweiz eine neue Freizügigkeit für Arbeitnehmer.
Warnungen vor einem Zustrom ausländischer Arbeitskräfte und vor Lohndumping in der Schweiz haben sich bisher nicht bestätigt.
Bis 2007 gilt für EU-Staatsangehörige eine Quote von 15’000. Für Schweizerinnen und Schweizer, die in der EU arbeiten wollen, gibt es keine Quote.
2007 werden die Kontingente für EU-Bürger wegfallen. Im Fall einer massiven Erhöhung des Zuzugs von EU-Arbeitskräften (über 10 % des Durchschnitts der drei vorangegangenen Jahre) kann die Schweiz für jeweils ein Jahr einseitig wieder Kontingente einführen (bis 2014).
Für die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten wird das Abkommen über den freien Personenverkehr erst 2005 in Kraft treten. Wenn dagegen das Referendum ergriffen wird, muss es noch die Volksabstimmung überstehen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch