Aufbruch in die Fremde will gut vorbereitet sein
"Die Menschen sind nett, es ist schön warm - dort will ich leben": Wer sein Glück in der Fremde versuchen will, sollte sich ein paar Gedanken mehr machen, rät Norbert Winistörfer, Autor des erfolgreichsten Schweizer Auswanderer-Ratgebers.
«Elende Schweiz» oder so ähnlich sagte sich der Bäcker und wanderte nach Australien aus. In Down Under schuftet er rund um die Uhr, doch auch nach zehn Jahren hat er es auf keinen grünen Zweig gebracht. Desillusioniert kehrt er wieder in die Schweiz zurück.
Oder die junge Familie, die aus Kolumbien in die Schweiz zieht, weil Mutter und Kind hier über die besseren Ausbildungschancen und Arbeitsmöglichkeiten verfügen.
Oder die Familie des Kadermanns, die nach Stationen in Argentinien, Kanada und Belgien der Kinder wegen wieder in die Schweiz zurückkehrt, weil sie das hiesige Schulsystem besser findet.
«Dass relativ viele Auswanderer ihre Auslandsträume nicht realisieren können, wird oft tabuisiert», sagt Norbert Winistörfer. Das Eingeständnis, dass es nicht geklappt habe, müsse aber kein Makel sein, wenn man es als Versuch werte, angestammte Bahnen zu verlassen, neue Wege zu beschreiten und neue Erfahrungen zu sammeln, sagt der Autor des Ratgeberbuchs «Ab ins Ausland».
1999 erschienen, liegt es mittlerweile in der 6. Auflage vor. Darin listet Winistörfer die wichtigsten Fragen- und Themenkomplexe auf, mit denen sich Auswanderungswillige auseinandersetzen sollten, bevor sie das Einfachticket in die Fremde buchen.
Winistörfer weiss, wovon er schreibt. Nicht weniger als 75 Länder hat er bereits bereist. Dazu zählen eine einjährige Weltreise, eine zweite von dreieinhalb Monaten sowie mehrmonatige Sprachaufenthalte in Südamerika, England und Frankreich.
Neuer Auswanderer-Typus
Als erstes räumt Winistörfer im Gespräch mit swissinfo.ch mit einem Klischee auf. Der klassische Auswanderer, der aus wirtschaftlicher Not oder tiefsitzender Frustration der Schweiz den Rücken kehrt, um sein Glück anderswo zu versuchen, wie der eingangs erwähnte Bäcker, ist heute laut Winistörfer die Ausnahme.
Den Hauptharst der knapp 28’000 Schweizerinnen und Schweizer, die 2008 ausgewandert waren, machen Studierende sowie Jungmanager und Berufstätige aus. Die dritte grosse Gruppe bilden Frühpensionierte und Rentner, die im Ausland eine neue Lebensphase beginnen oder den dritten Lebensabschnitt verbringen wollen.
Vor allem bei Studierenden, Jungmanagern und Berufsleuten erfolgt der Auslandaufenthalt oft nicht aus purem Fernweh. «In bestimmten Branchen ist der Auslandaufenthalt für Studierende ein absolutes Muss», sagt Winistörfer. «Viele kriegen den ersten Job nur, weil sie Auslandluft geschnuppert haben.»
Der Auslandaufenthalt ist aber nicht nur Karriere-Katapult wie dies bei Studierenden der Fall sein kann, er kann genau so gut auch Karriere-Killer sein. «Jungmanager oder Berufstätige, die nach dem 30. Altersjahr ins Ausland versetzt werden, haben unter Umständen ein Handicap, wenn sie zu lange dort bleiben.»
Dann nämlich, wenn der Arbeitgeber ihnen nach der Rückkehr in die Schweiz keinen Arbeitsplatz garantiere. Bevor es ans Kofferpacken geht, sind deshalb vertiefte Abklärungen und Absicherungen das A und O, um ein Stranden an fremden Gestaden möglichst zu vermeiden.
Versicherungslücken vermeiden
Winistörfer empfiehlt insbesondere, sämtliche Aspekte betreffend der Altersvorsorge und Sozialversicherungen genauestens abzuklären. Dies gelte auch für Krankenkassen und andere Versicherungen. Andernfalls drohten spätere Lücken.
Im Zielland selber erleichtern die Kenntnis der Sprache, der örtlichen Gepflogenheiten und Gesetze das Fussfassen. «Sonst ist man schnell ziemlich hilflos, es beginnt schon bei der Anmeldung bei den Behörden und der Suche nach einer Wohnung und Stelle», weiss der Autor.
Was ebenfalls gerne unterschätzt wird – unser Bäcker lässt erneut grüssen – sind genaue Sondierungen über die Chancen auf dem fremden Arbeitsmarkt. «Man muss sich sehr gut kundig machen, ob das eigene Know-how überhaupt gefragt ist. Sonst merkt man erst vor Ort, dass dort Zehntausend andere dieselben Fähigkeiten aufweisen.»
Schweizer-Klubs als Auslaufmodell?
Hart könne die Landung im fremden Land auch sein, wenn Zeugnisse und Abschlüsse nicht anerkannt würden, weshalb Winistörfer auch hier genaue Abklärungen empfiehlt. «Dies gilt insbesondere auch für Ehefrauen und Partnerinnen, die mit ins Ausland reisen und dann vor Ort erstaunt feststellen, dass sie keine bezahlte Arbeit finden.»
Netzwerke vor Ort wie Schweizer-Klubs können nicht nur das Heimweh lindern, sondern auch Erfahrungen weitergeben und Hilfestellungen bieten. Aber die heutigen Auswanderer scheinen diese Angebote kaum mehr zu nutzen.
Verantwortlich dazu sind nicht nur das Internet mit seinen virtuellen sozialen Netzwerken und Kommunikationsformen wie Mail, Chat oder Skype, dank denen die Auslandschweizer die Verbindungen zu den Lieben in der Heimat rund um die Uhr und kostenlos aufrecht erhalten können.
Offener – globaler
Aber auch in den Köpfen der Auswanderer hat sich etwas geändert. Junge Schweizer gingen weltoffener ins Ausland, weil sie schon in der Schweiz Kontakte zu ausländischen Kolleginnen und Kollegen hätten.
«Die jungen Menschen wollen im Ausland in international zusammengesetzten Gruppen ihre Partys feiern, statt einen biederen Schweizerverein aufzusuchen». Winistörfer kennt seine Pappenheimer, schliesslich ist er Professor für Wirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten.
Naheliegende Traumdestination
In der Frage der eigenen Lieblingsdestination zum Auswandern setzt Winistörfer voll auf den Heimvorteil. «Mein Lieblingsland ist und bleibt die Schweiz – über alles gesehen herrschen hier fast in allen Bereichen immer noch paradiesische Zustände», sagt der Autor. Das Leben hier sei einfach, unkompliziert, strukturiert und organisiert.
«Es klappt alles, das politische System ist stabil, die Lebensqualität überdurchschnittlich, das Lohnniveau ist hoch und es gibt ein gutes soziales Auffangnetz.» Was wolle man mehr?
Renat Künzi, swissinfo.ch
Sachbuch, 347 Seiten, Beobachter-Verlag (1999, 6. Auflage 2006)
In den Gesellschaftswissenschaften ist das Thema Auswanderung in der Gegenwart nur spärlich erforscht.
Es existieren zwar Statistiken, z. B. über die im Ausland niedergelassenen Schweizer (siehe Link).
Genauere Daten über Alter, Ausbildung, Motivation der Auswanderer oder die Dauer des Aufenthalts liegen dagegen kaum vor.
«Ab ins Ausland» ist die erste und bisher umfassendste Publikation zum Thema Auswanderung.
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) empfiehlt es als Pflichtlektüre vor einem Auslandaufenthalt.
Ursula Schindler vom ASO-Rechtsdienst hebt die Übersichtlichkeit und die vielen praktischen Tipps hervor, die sämtliche wichtige Bereiche betreffen.
Sie legt die Lektüre insbesondere auch jenen ans Herz, die zur einer längeren Auslandreise ohne festen Wohnsitz aufbrechen, den so genannten Globetrottern.
Sie bedauert, dass das Buch nur in deutscher Sprache erschienen ist.
Ende Dezember 2009 lebten 684’974 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.
Letztes Jahr nahm ihre Anzahl um 8798 Personen zu, das entspricht 1,3%.
Seit 2000 ist die Fünfte Schweiz um 15% gewachsen.
Sechs von zehn Auslandschweizern, insgesamt 409’849 Personen, leben in der Europäischen Union (EU).
179’106 leben in Frankreich, 76’565 in Deutschland, 48’638 in Italien, 28’861 in Grossbritannien und 23’802 en Spanien.
Im Rest der Welt lebt die grösste Gemeinde in den USA (74’966), gefolgt von Kanada (38’866), Australien (22’757), Argentinien (15’624), Brasilien (14’653), Israel (14’251) und Südafrika (9035).
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