Bundesrat: Nein zur Initiative für flexibles Rentenalter
Die Volksinitiative "für ein flexibles Rentenalter" des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes ist nach Ansicht der Landesregierung nicht mit der demographischen Entwicklung kompatibel.
Die Verfassungsänderung würde Schätzungen zufolge zu untragbaren Belastungen von über einer Milliarde Franken pro Jahr führen.
Das Begehren belohne die Falschen, belaste die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) untragbar und sei somit unsozial, meint die Schweizer Regierung.
Die Volksinitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) fordert, dass Personen mit einem Erwerbseinkommen von bis zu 119’340 Franken ab dem 62. Altersjahr eine ungekürzte AHV-Rente erhalten sollen, wenn sie ihre Erwerbsarbeit aufgeben.
«Die Initiative ist das Gegenteil von sozial», stellte Gesundheitsminister Pascal Couchepin am Donnerstag vor den Medien fest. Profitieren würden vor allem Personen, die finanziell nicht darauf angewiesen seien.
Menschen mit einer schwachen Zweiten Säule wie die oft Teilzeit arbeitenden Frauen hätten das Nachsehen. Wie auch all jene, die allein mit der auch ungekürzt noch immer relativ bescheidenen AHV-Rente auskommen müssten.
Wie den Mehraufwand finanzieren?
Die Annahme der Initiative würde laut Couchepin zugleich zu einer generellen Senkung des Rentenalters und damit zu einer untragbaren Belastung der AHV führen.
Dieser allein entstünden damit zusätzliche Kosten von 779 Mio. Franken bei einem Frauenrentenalter 65 beziehungsweise von 1,259 Mrd. Franken bei Frauenrentenalter 64.
Zudem gebe die Initiative keine Antwort, wie dieser Mehraufwand finanziert werden solle. Die geforderte Senkung des Rentenalters widerspreche letztlich auch der demographischen Entwicklung und der allgemeinen Tendenz zur Rentenalter-Erhöhung in Europa.
Mehr
Volksinitiative
Indirekter Gegenvorschlag
Als finanziell tragbare Antwort und indirekter Gegenvorschlag schlägt der Bundesrat die Neufassung der im Parlament hängigen 11. AHV-Revision mit dem erweiterten Rentenvorbezug und -aufschub sowie der Einführung einer Ruhestandsleistung vor.
Das flexible Rentenalter müsse in zwei Schritten realisiert werden: So komme die Vorruhestandsleistung als erster Schritt einer sozial abgefederten Frühpensionierung gleich. Sie sei gezielt auf die individuellen Bedürfnisse jener Leistungsberechtigten ausgerichtet, die heute faktisch von der Frühpensionierung ausgeschlossen seien.
In einem zweiten Schritt sollen dann weitere Massnahmen im Rahmen der 12.
AHV-Revision umgesetzt werden.
Kritik des Gewerkschaftsbundes
Der SGB wirft dem Bundesrat vor, sich den realen Problemen zu verweigern.
Der bundesrätliche Verweis auf die übernächste AHV-Revision ist laut SGB ein Hohn.
«Sowohl Bundesrat wie Parlament versprechen seit über 10 Jahren ein soziales flexibles AHV-Alter. Dieses Versprechen darf keineswegs auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden», hiess es.
Noch unglaubwürdiger sei dieser Verweis, wenn man wisse, dass Bundesrat Couchepin mit dieser Revision das Rentenalter auf 67 Jahre erhöhen wolle.
Die vorgeschlagene Vorruhestandsleistung sei «Pflästerli-Politik». Trotz Schönreden von Bundesrat, Arbeitgeberverband und der Denkfabrik Avenir Suisse seien ältere Arbeitnehmende in der Arbeitswelt nach wie vor nicht willkommen, vor allen jene mit gesundheitlichen Problemen.
swissinfo und Agenturen
Mehr
Vorsorge, Drei-Säulen-Prinzip
Seit ihrer Gründung im Jahr 1948 wurde die AHV mit 11 Revisionen weiterentwickelt.
Die letzte wurde von Schweizer Stimmvolk 2004 an der Urne zurückgewiesen, vor allem wegen der vorgesehenen Mittel zur Finanzierung der flexiblen Pensionierung.
Ende 2005 hat die Schweizer Regierung dem Parlament die AHV-Revision 11bis präsentiert.
Diese neue Revision will unter anderem das Pensionsalter von Männern und Frauen auf 65 Jahre festlegen (heute 65, resp. 64).
Ausserdem ist ein Vorpensionierungsalter von 62 Jahren für Personen mit geringem Einkommen vorgesehen.
Eine weitere Revision – die 12. – wird für 2008-2009 ins Auge gefasst.
Die Alters und Hinterlassenenversicherung (AHV) hängt stark von der demografischen Situation ab.
Die über 65-Jährigen machten 2004 in der Schweiz bereits 15,8% der Bevölkerung aus und nehmen stetig zu.
Bis 2050 soll diese Altersgruppe gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) um 60 bis 120% zunehmen.
Heute finanzieren vier Arbeitnehmende einen Pensionierten. In 30 Jahren sollen es nur noch 2,5 sein.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch