Die Gewerkschaften kämpfen an doppelter Front
Am "Welttag für menschenunwürdige Arbeit" fordern Gewerkschaften und Hilfswerke strengere Bestimmungen bei öffentlichen Beschaffungen. Die Gewerkschaften kämpfen auch in der Schweiz für bessere Arbeitsbedingungen.
Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) hat am Dienstag den Bundesplatz in Bern symbolisch in einen Schauplatz der Zwangsarbeit verwandelt. Es fehlte nur die Hitze.
Ziel der Aktion war es, auf die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen hinzuweisen, unter denen Männer und namentlich Frauen und Kinder Randsteine (Indien) für unsere Gehsteige herstellen, Bälle für unsere Schulkinder (Pakistan) und Kittel für unser Spitalpersonal nähen (China). Ausbeuterische Löhne und gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen sind hier an der Tagesordnung.
Die Botschaft des SAH und der Gewerkschaften ist einfach: Die öffentlichen Verwaltungen, die jährlich Waren und Dienstleistungen für rund 36 Mrd. Franken beschaffen, müssen beim Einkauf auf faire Produktionsbedingungen achten. Denn, so das SAH, nur wenn eine Nachfrage nach fair produzierten Gütern besteht, werden diese auf dem Markt auch angeboten.
«Wir haben nicht daran gedacht»
Auf der Internetseite der vom SAH gestarteten Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» ist eine Karte mit den rund 30 Kantonen und Gemeinden zu finden, in denen faire öffentliche Beschaffungen bereits ein Thema sind. Manche haben bereits entschieden, keine in Zwangsarbeit hergestellten Strassenbausteine mehr zu kaufen. In anderen ist man daran, eine Petition, einen Vorstoss oder eine Verordnungsvorlage auszuarbeiten.
«Die meisten Verantwortlichen, an die wir uns gewendet haben, haben sich darüber bisher gar keine Gedanken gemacht», sagt der SAH-Medienbeauftragte Christian Engeli. «In der Schweiz ist die Sensibilisierung für das Umweltbewusstsein grösser als für das soziale Bewusstsein.»
Die ersten Resultate der Kampagne sind jedoch ermutigend. «Geht es so weiter, so könnte der Umdenkprozess in einigen Jahren abgeschlossen sein – das ist relativ schnell für politische Entscheidungen», sagt Engeli.
Eine Veränderung könnte durch das Gesetz auf Bundesebene über das öffentliche Beschaffungswesen initiiert werden, das zurzeit revidiert wird. Der Gesetzesentwurf verpflichtet die Verwaltungen dazu, nur bei Lieferanten einzukaufen, die die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) einhalten. Diese verbieten namentlich Zwangsarbeit, Kinderarbeit und jegliche Diskriminierungen.
Prekäre Bedingungen
Für Christian Engeli ist dies ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn das SAH gehofft hätte, dass dieser ausdrücklichere Vereinbarungen enthalten würde. Doch gemäss Engeli könne das Parlament im Gesetzesentwurf immer noch Änderungsvorschläge einbringen.
Der «Welttag für menschenunwürdige Arbeit» findet im Vorfeld der Kongress-Eröffnung der Unia in Lugano statt (9. bis 11. Oktober). Die Unia ist mit rund 200’000 Mitgliedern die grösste Schweizer Gewerkschaft.
Sie ging Anfang 2005 hervor aus GBI (Gewerkschaft Bau und Industrie), SMUV (Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen), VHTL (Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel) und der Dienstleistungsgewerkschaft Unia.
Am Kongress soll namentlich darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Arbeitsbedingungen in der Schweiz – auch wenn sie keineswegs mit jenen etwa in Asien vergleichbar sind – teilweise prekär sind.
Die Unia kritisiert namentlich den deutschen Discounter Aldi. Gemäss der Gewerkschaft sind bei Aldi Arbeitstage von 14 Stunden und Arbeit auf Abruf an der Tagesordnung. Auch erhalten die Angestellten – häufig Frauen – häufig Halbzeit-Arbeitsverträge, müssen aber bereit sein, bei Bedarf auch Vollzeit zu arbeiten.
Gemäss Anne Rubin, Unia-Sprecherin, kämpft die Gewerkschaft in verschiedenen Bereichen gegen prekäre Arbeitsbedingungen .
So hat sie etwa kürzlich einen Kollektivarbeitsvertrag zum Schutz von Teilzeitangestellten unterschrieben. Die Unia habe auch Forderungen für Haus- und Verkaufsangestellte.
Der Verkaufsbereich ist wie der Dienstleistungssektor im Allgemeinen kaum gewerkschaftlich geregelt.
Kampf für Erhalt der Errungenschaften
Die Gewerkschaften versuchen den Schutz der Arbeitnehmer auf neue Bereiche auszudehnen, gleichzeitig müssen sie die Errungenschaften verteidigen. Anne Rubin spricht in diesem Zusammenhang von der zunehmenden Anzahl von Vertretern der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in der Arbeitgeberschaft.
«Die Situation hat sich deutlich verhärtet», so Rubin. «Vor allem in der Deutschschweiz – dort beginnen einige Patronate gar Sozialpartnerschaften abzulehnen.» Als Beispiel nennt sie die einseitige Kündigung des Kollektivarbeitsvertrages im Baugewerbe durch die Arbeitgeberschaft, die einen monatelangen Konflikt zwischen den beiden Parteien ausgelöst hat.
Für die Gewerkschaften war die Kraftprobe ein Test. Denn durchschnittlich sind die Arbeitnehmer in der Schweiz weniger gut geschützt als in Europa. «Das Arbeitsrecht in den europäischen Ländern ist normativer und protektionistischer als in der Schweiz. Hier ist es minimal geregelt», sagt Anne Rubin. Deshalb sind gute Kollektivarbeitsverträge so wichtig.
swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)
Statt mit Steuermilliarden die faulen Papiere der Spekulanten aufzukaufen, müssten diese Mittel nun sinnvoll in die Realwirtschaft investiert werden, um diese vor den Auswirkungen der Krise zu schützen, heisst es in einer Medienmitteilung der Unia.
Das 6-Punkte-Sofortprogramm der Unia beinhaltet Zinssenkungen durch die Nationalbank sowie die Kantonal- und Raiffeisenbanken, eine die Konjunktur stimulierende Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand, ein Stopp der Preistreiberei der Elektrizitätsbarone, eine Besteuerung der Manager-Topsaläre (über 1 Million Franken) als Unternehmens-Gewinne und substanzielle Lohnerhöhungen im bevorstehenden Lohnherbst.
Der Grundstein zu diesem so genannten Arbeitsfrieden wurde am 19. Juli 1937 gelegt, als sich die Gewerkschaften und der Arbeitgeberverband in der Metallindustrie nach einem zweimonatigen Streik auf einen Gesamtarbeitsvertrag einigten. Dieses ging als «Friedensabkommen» in die Geschichte ein.
Die Gewerkschaften versprachen, auf Streiks zu verzichten, und die Arbeitnehmer verpflichteten sich, Konflikte zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite künftig mit Hilfe von Verhandlungen beizulegen.
Heute gibt es rund 600 Gesamtarbeitsverträge in verschiedenen Branchen.
Bis heute unterstehen jedoch lediglich etwas mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer einem Gesamtarbeitsvertrag. Die anderen unterstehen dem Arbeitsgesetz, das die Gewerkschaften im allgemeinen als ungenügend einstufen.
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