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Die Schweizer Wirtschaft ist mehr denn je von ausländischen Führungskräften abhängig

Eine Pressekonferenz von Novartis
Novartis-CEO Vasant Narasimhan hat sich kürzlich nicht beliebt gemacht bei der Schweizer Presse. © Keystone / Georgios Kefalas

Von CEOs bis zu Verwaltungsratsmitgliedern können Schweizer Unternehmen nicht genug von ausländischen Talenten für ihre Spitzenpositionen bekommen – solange diese nicht "zu ausländisch" sind.

Laut der demnächst erscheinenden Ausgabe 2023 der globalen CEO-Studie «Route To The Top» von Heidrick beträgt der Anteil ausländischer CEOs bei den Unternehmen im Schweizer SMI (Swiss Market Index) Expanded Index 47%. Das ist fast das Doppelte des weltweiten Durchschnitts von 25%.

Zu den Bekannteren gehören der Amerikaner Vasant Narasimhan von Novartis, der Schwede Björn Rosengren von ABB, der Italiener Mario Greco von der Zürich Versicherung und die Niederländerin Hanneke Faber von Logitech.

Der Appetit der Schweizer Wirtschaft auf ausländische Führungskräfte geht jedoch über die CEOs hinaus. Laut dem Schilling-Report 2023 des Personalvermittlungsunternehmens Guido Schilling stellen Ausländer:innen 47% der Verwaltungsratsmitglieder und 56% der Führungskräfte in den 100 grössten Schweizer Unternehmen. Dies ist ein historischer Höchststand.

Die ausländischen Verwaltungsratsmitglieder stammen aus 39 Ländern (gegenüber 30 im Vorjahr), wobei 63% bereits zuvor in der Schweiz oder für ein Schweizer Unternehmen gearbeitet haben.

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Neue Märkte und Geschlechterquoten

Laut Marion Fengler-Veith, verantwortliche Partnerin für die Schweiz bei der Personalberatung Heidrick & Struggles, ist es nicht verwunderlich, dass der Anteil ausländischer CEOs in der Schweiz höher ist als in anderen Ländern: Die Schweiz ist ein kleines Land mit einem begrenzten Talentpool, das aber eine grosse Anzahl international tätiger Unternehmen beherbergt.

«Zudem brauchen diese Unternehmen Manager und Spezialisten mit Kenntnissen ihrer Zielmärkte (z.B. USA, Asien) oder im Rahmen der Diversity & Inclusion-Bemühungen auch mehr weibliche CEOs, die in der Schweiz ebenfalls nicht in unbegrenzter Zahl zu finden sind», sagt sie gegenüber SWI swissinfo.ch per E-Mail.

Im Jahr 2020 hat die Schweizer Regierung gesetzlich festgelegt, dass Frauen ab 2026 mindestens 30% der Verwaltungsräte und 20% der Geschäftsleitungen grosser Unternehmen ausmachen sollen. Vielleicht erklärt dies, warum der Anteil der ausländischen weiblichen Verwaltungsratsmitglieder (54%) deutlich höher ist als der ihrer männlichen Kollegen (45%).

«Die im SMI vertretenen Unternehmen, die auf dem Weltmarkt tätig sind, profitieren von einem völlig anderen Selbstverständnis hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Ländern. Sie konnten in den vergangenen zwei Jahren rund um den Globus hervorragend qualifizierte Managerinnen für ihre Vorstandsteams rekrutieren», sagt Schilling.

Ist der «Heimmarkt nicht allzu wichtig»?

«Ausländische CEOs reagieren eher auf den Druck des Marktes und der Investoren. Sie sind weniger im Unternehmen verwurzelt und müssen den Ball im Auge behalten, um die Leistung aufrechtzuerhalten», sagt Winfried Ruigrok, Professor für internationales Management an der Universität St. Gallen.

Diese Ausrichtung auf internationale Märkte und Investor:innen wird jedoch nicht von allen geschätzt. Kürzlich wurde Novartis-CEO Vasant Narasimhan kritisiert, weil er eine für Schweizer Medien bestimmte Pressekonferenz zu den Unternehmensergebnissen aus Effizienzgründen ausgelassen hatte.

«Stattdessen fand der Amerikaner am gleichen Morgen Zeit, um Investoren und Analysten aus aller Welt Auskunft gegeben. Vielleicht, wahrscheinlich, ziemlich sicher ist Narasimhans Absenz am Medientermin ein starkes Indiz dafür, dass der Chef des drittgrössten Schweizer Unternehmens den Heimmarkt nicht allzu wichtig findet. Tatsächlich verdient Novartis in den USA am meisten Geld», schrieb der Tages-AnzeigerExterner Link.

Laut Ruigrok sind auch CEOs nicht den widersprüchlichen Erwartungen gefeit, die an alle Fremde gerichtet sind, die sich im Land profilieren wollen.

«Die Unternehmen wollen die frischen Ideen und die überlegenen Einsichten beim Zugang zu neuen Märkten, die ein ausländischer CEO mitbringen kann. Aber gleichzeitig wollen sie, dass der ausländische CEO sich integriert und Kontakte knüpft», sagt er. «Je ausländischer er ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er seine Ideen und Erkenntnisse in das Unternehmen einbringen kann.»

Der Niederländer hat einen Ratschlag für Schweizer Unternehmen, die ausländische CEOs einstellen wollen: «Am besten eine ausländische Führungskraft eine Ebene unter dem CEO einstellen, sie das Unternehmen kennen lernen lassen und dann erst an die Spitze befördern.»

Übertragung aus dem Englischen: Giannis Mavris

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