EHL-Chef Markus Venzin: Gastfreundschaft als künftiges Wirtschaftsmodell
Er steht seit fast zwei Jahren an der Spitze der EHL-Gruppe: Markus Venzin hat die Strategie, die Organisation und das Führungsteam grundlegend umstrukturiert, um die Exzellenz der ehemaligen École hôtelière de Lausanne, die als eine der besten der Welt gilt, zu erhalten.
Unter den weltweit renommiertesten Hotelfachschulen finden sich mehrere Schweizer Einrichtungen. Darunter sticht besonders die EHL-Gruppe (ehemals École hôtelière de Lausanne) hervor.
Die 1893 gegründete Institution zählt an ihrem Hauptcampus in Lausanne und ihren Zweigstellen in Passugg (Graubünden) und Singapur rund 4000 Studierende.
2022 hat der Verwaltungsrat der Gruppe mit Markus Venzin einen neuen Generaldirektor (CEO) eingestellt, der nicht aus der Hotellerie kommt.
Seither hat der ehemalige Professor für globale Strategie und Dekan für Innovation an der Universität Bocconi in Mailand eine Reihe von Reformen durchgeführt. Wir sprachen mit ihm auf dem neu renovierten Campus in Lausanne.
Der Bündner Markus Venzin wurde in Chur geboren und wuchs in der Schweiz auf, wo er 1997 an der Universität St. Gallen in Strategie und Organisation promovierte.
Von 1998 bis 2002 war er an der Università Bocconi in Mailand tätig, unter anderem als Professor für globale Strategie und als Dekan für Innovation.
Neben anderen Tätigkeiten ist Venzin Präsident des Mailänder Unternehmens Corporate Hangar, das er 2017 mitbegründete und das Innovationen für seine Kundschaft beschleunigen will. Im September 2022 übernahm Venzin die Generaldirektion der Groupe EHL.
SWI swissinfo.ch: Ihr Verwaltungsrat hat sich bei Ihrer Anstellung für ein akademisches Profil und gegen einen Hotelfachmann entschieden. Wie erklären Sie sich diesen Entscheid?
Markus Venzin: Unser Verwaltungsrat war offen für verschiedene Profile. Unter den Kandidierenden, die in die engere Auswahl kamen, war ich der einzige Universitätsprofessor.
Da die EHL eine Institution ist, die sich der Lehre verschrieben hat, ist meine Führungserfahrung im akademischen Umfeld und in Entrepreneurship-Programmen besonders relevant. Dadurch kann ich externe Perspektiven und innovative Ansätze in die EHL und unsere Branche einbringen.
Welche Veränderungen haben Sie seit Ihrem Amtsantritt als Generaldirektor der EHL eingeführt?
Bevor ich im September 2022 CEO wurde, habe ich etwa vier Monate damit verbracht, viele Kolleginnen und Kollegen zu beobachten und mit ihnen zu sprechen, um die Trends in der Branche zu verstehen und die wichtigsten Herausforderungen für die Gruppe zu erkennen.
Es war mir wichtig zu verstehen, was die Stärke der EHL ausmacht und warum wir laut QS World University Ranking seit sechs Jahren die beste Schule der Welt im Bereich Hospitality ManagementExterner Link sind. Dann habe ich die Reihenfolge geändert: Strategie, Organisation und dann «Talente».
Fangen wir mit der Strategie an. Was sind die wichtigsten Neuerungen?
Unsere neue Strategie wird durch das Akronym «SHINE» (englisch für «glänzen») zusammengefasst, wobei jeder Buchstabe für eine strategische Ausrichtung steht.
Erstens, die Stärkung unserer internationalen Präsenz mit Schwerpunkt auf der Schweiz, Frankreich, China und Singapur. Daneben unsere Nachbarländer (Deutschland, Italien) und Länder, in denen wir historisch präsent sind, wie Indien.
Zweitens die Nutzung unserer digitalen Kompetenzen, um die Lernerfahrung zu verbessern und mehr Online-Kurse zu entwickeln.
Drittens die Stärkung unseres positiven Einflusses auf das Gastgewerbe, besonders, indem wir seine Attraktivität für junge Talente steigern.
Wie wollen Sie Ihre derzeitigen und ehemaligen Studierenden und Ihr Personal einbeziehen?
Das ist unsere vierte strategische Ausrichtung: Wir wollen diese Gemeinschaft pflegen, indem wir die Menschen in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen.
Auf diese Weise können wir die Verbindungen zwischen dem Hotel- und Gaststättengewerbe und den angrenzenden Sektoren stärken.
Schliesslich wollen wir unser akademisches Angebot erweitern und sowohl berufsbezogene als auch Managementausbildungen anbieten und unsere Bachelor- und Masterstudiengänge anpassen.
Wie haben Sie Ihre Organisationsstruktur umgestaltet?
Wir sind von einer funktionsorientierten Organisation zu einer segmentorientierten Struktur übergegangen. Eine wichtige Neuerung in diesem Zusammenhang war die Gründung der «EHL School of Practical Arts».
In dieser Schule werden Service-, Küchen- und Funktionen im Bereich Nahrungsmittel und Getränke (Food & Beverage, F&B) gelehrt. Also praktische Tätigkeiten, die für unsere DNA von entscheidender Bedeutung sind.
«Der Berufserfolg unserer ehemaligen Studierenden ist ein Schlüsselindikator für unseren Erfolg.»
Welche Veränderungen haben Sie im Bereich «Talente» vorgenommen?
Ich habe ein fast komplett neues Führungsteam von acht Personen zusammengestellt, darunter erstmals drei Frauen und Menschen mit internationalen Profilen.
Diese Führungskräfte ergänzen sich sehr gut und kommen aus der Hotellerie, der akademischen Welt und anderen Dienstleistungs- und Luxusbereichen.
Anhand welcher Kriterien messen Sie den Erfolg der EHL?
Wir messen regelmässig die Zufriedenheit der Studierenden und unserer Mitarbeitenden, einschliesslich der Lehrpersonen.
Auch der berufliche Erfolg unserer ehemaligen Studierenden ist ein wichtiger Indikator, ebenso wie unsere finanzielle Performance. Sie ist notwendig, um in unsere neuen strategischen Dimensionen investieren zu können.
Wer sind Ihre grössten Konkurrenten?
Wir bevorzugen den Begriff «Kooperation», da wir sehr viel mit unseren Mitbewerbern zusammenarbeiten. Dazu gehören alle anderen Managementschulen wie die Universität St. Gallen oder die HEC Lausanne (Fakultät für Betriebs- und Volkswirtschaft der Universität Lausanne).
Mehr als die Hälfte Ihrer Absolventinnen und Absolventen arbeitet in anderen Bereichen als dem Gastgewerbe. Welche sind das?
Unsere Absolventinnen und Absolventen zeichnen sich durch ihre Führungsqualitäten und ihre Orientierung auf die Kundschaft aus und sind daher auch ausserhalb des Gastgewerbes sehr gefragt.
Sie arbeiten vor allem in Branchen, in denen gute Beziehungen zur Kundschaft eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel in der Luxusindustrie, im Private Banking oder im Verkauf.
Allgemeiner ausgedrückt: Die Welt bewegt sich in Richtung einer «Wirtschaft der Gastfreundschaft» (hospitality economy). Damit meine ich, dass Routineaufgaben zunehmend von künstlicher Intelligenz übernommen werden, während sich Führungskräfte mehr auf zwischenmenschliche Funktionen, Service und Gastfreundschaft konzentrieren müssen.
Kann man Gastfreundschaft wirklich im Hörsaal erlernen?
Der Schlüssel zu unserem Unterricht liegt in der Praxis und in der Erfahrung. Im ersten Vorbereitungsjahr erhalten unsere Schülerinnen und Schüler eine umfassende praktische Ausbildung in allen Berufen des Gastgewerbes.
Dazu gehört zum Beispiel Zimmer putzen, kochen, Tische decken, Gäste bedienen oder als Sommelière oder Sommelier arbeiten. Und das alles im «Berceau des Sens», unserem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant, das auch externen Gästen offensteht. Unsere Studierenden müssen ausserdem zwei Praktika in einem Unternehmen absolvieren.
Und im letzten Semester des Bachelor-Studiums haben sie die Möglichkeit, ein Projekt mit einem auf direkten Kontakt mit der Kundschaft ausgerichteten Unternehmen durchzuführen oder ein Unternehmensprojekt zu definieren. Was manchmal zur Gründung eines innovativen Startups führt.
Und schliesslich leben auf unserem Campus Studierende aus 125 Nationen, die eine echte interkulturelle Managementerfahrung machen können.
Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, um an der EHL studieren zu können? Ist es von Vorteil, aus einer wohlhabenden (Hotel-)Familie zu kommen?
Wir beurteilen die akademischen Leistungen unserer Bewerberinnen und Bewerber, besonders ihr Niveau in Mathematik und Englisch. Ausserdem bewerten wir ihre Motivation und Persönlichkeit. Die Herkunft aus einer wohlhabenden Familie spielt dabei keine Rolle.
«Von unseren 2500 Bachelorstudierenden haben 1100 einen roten Pass mit weissem Kreuz und 13% sind Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.»
Die Studiengebühren für das vierjährige Bachelorstudium betragen rund 170’000 Franken. Werden Schweizer Studierende vom Staat subventioniert?
Da unser Bachelor-Studiengang Teil des HES-SO-SystemsExterner Link ist, bezahlen unsere Schweizer Studierenden – inklusive Auslandschweizerinnen, Auslandschweizer und Studierende mit ausländischer Staatsbürgerschaft, deren Eltern in der Schweiz wohnen – einen viel tieferen Betrag.
Alles in allem, inklusive Unterkunft und Verpflegung, kostet sie das vierjährige Bachelor-Studium rund 90’000 Franken. Von unseren 2500 Bachelorstudierenden haben 1100 einen roten Pass mit weissem Kreuz und 13% sind Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer.
Ihre Schülerinnen und Schüler lernen ganz praktische Dinge wie das Putzen eines Zimmers. Ist das eine Herausforderung für diejenigen, die aus wohlhabenden Verhältnissen kommen?
Ich bewundere die Sensibilität unserer Lehrpersonen in dieser Hinsicht. Diese Aufgaben mit einem hohen Mass an Perfektion und Effizienz auszuführen, ist sehr anspruchsvoll und erfordert viel Aufmerksamkeit und Übung.
Einige Eltern vertrauen mir an, dass es unserer Schule gelungen ist, ihren Kindern Werte zu vermitteln, die sie ihnen selbst nicht beibringen konnten. Zum Beispiel Liebe zum Detail, Ausdauer, Disziplin und Pünktlichkeit. Die EHL ist auch eine Schule des persönlichen Erfolgs.
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«Die talentiertesten statt die reichsten Studierenden anziehen»
Die amerikanischen Eliteuniversitäten sind sehr gut im Fundraising bei ihren Ehemaligen. Wie sieht das an der EHL aus?
Wir haben David Knuff, ein amerikanisches Mitglied unseres Führungsteams, eingestellt, der für strategische Partnerschaften zuständig ist. Eine seiner Aufgaben ist es, ein solides Fundraising-System aufzubauen, um die Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung weiter auszubauen.
Auch unsere Alumni zeigen grosses Engagement und pflegen enge Beziehungen zur EHL. Beispielsweise, indem sie an Mentoring-Programmen teilnehmen und unseren neuen Studierendengenerationen Karrieremöglichkeiten eröffnen.
Welche Länder und Unternehmen inspirieren Sie in Sachen Gastfreundschaft am meisten?
Ich bewundere das hohe Niveau der Schweizer Hotels, speziell was die betriebliche Effizienz betrifft. Bemerkenswert ist auch, dass es in der Schweiz rund 20 gute Hotelfachschulen gibt.
In Asien ist das Engagement für exzellenten Service beeindruckend. Und in Singapur, wo wir einen Campus haben, ist die rasche Integration von Technologie in den Hotels bemerkenswert, vor allem der Einsatz von Robotern für das automatisierte Einchecken.
Editiert von Pauline Turuban, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
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