Engagement und Professionalität im Dienste der AHV
Seit Januar 2008 ist Marco Netzer, 52, neuer VR-Präsident des AHV-Ausgleichsfonds. Dieser Fonds ist für die Geld- und Vermögensverwaltung der AHV und IV zuständig.
Eine zentrale Aufgabe in einer nicht ganz einfachen Zeit. Denn die US-Immobilienkrise hat indirekt auch Folgen für das AHV-Fondsvermögen.
swissinfo: Was hat Sie dazu bewogen, diesen Posten mit hoher Verantwortung anzunehmen? Der Ausgleichsfonds verwaltet rund 27 Mrd. Franken.
Marco Netzer: Ein Grund besteht darin, dass ich mein soziales Engagement nicht verheimliche. Für dieses habe ich immer einen Teil meiner Aktivitäten aufgewendet.
Aus allgemeinem und persönlichem Interesse geht es mir als Profi auch ums Banking – das war immer schon mein Beruf. Vermögensverwaltung und komplexe Mandate haben mir seit jeher gefallen.
swissinfo: Woher kommt Ihr Einsatz für soziale Anliegen?
M. N.: Ohne ein Interesse für den sozialen Bereich kann kein Profi diese Aufgabe angehen. Diese erbringt ja an sich keine speziellen wirtschaftlichen Vorteile. Ich bin in Stiftungs-Räten von sozialen Institutionen vertreten, die Nächstenhilfe betreiben.
Mein soziales Engagement ist sozusagen in meinem beruflichen Erbmaterial, meiner DNA, und meiner Erziehung eingebaut.
swissinfo: Welcher Mehrwert erbringen Sie als Vertreter der italienischen Schweiz mit Erfahrungen im internationalen Banking dem Ausgleichsfonds?
M. N.: An meiner ersten Sitzung mit dem Verwaltungsrat des Fonds habe ich daran erinnert, dass ich eigentlich die ganze Schweiz ein wenig vertrete. Meine Wurzeln liegen in Graubünden, aber aufgewachsen bin ich im Tessin.
Geboren bin ich in Luzern, und wohnhaft bin ich in Lugano. Ausserdem stehe ich einer Bank vor, die ihren Sitz in Genf hat.
Ich glaube, dass meine internationalen Erfahrungen, meine Kenntnisse der Finanzmärkte und Sprachen es ermöglichen, dem Fonds einen Mehrwert zu bringen. Sei es in der Vermögensverwaltung, sei es im Zusammenbringen verschiedener Interessen, inklusive der politischen und kulturellen Eigenarten.
swissinfo: Der Ausgleichsfonds verwaltet Obligationen, Liegenschaften und auch Aktien. Haben Sie die US-Immobilienkrise gespürt?
M. N.: Indirekt auf jeden Fall in Form der Marktkorrektur, die sich in Folge dieser Krise auf den Finanzmärkten ergeben hat. Diese hat die Bewertung unseres Aktien-Portfeuilles beeinflusst.
Insbesondere in diesem Aktienteil ergaben sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres negative Auswirkungen.
swissinfo: Sind Sie mit dem Resultat 2007 des Ausgleichsfonds zufrieden?
M. N.: Das Jahr 2007 erbrachte ein Resultat, das nur leicht über der Gewinnschwelle lag. Das ist zwar im Vergleich zu den Vorjahren enttäuschend, aber nicht negativ.
swissinfo: Die negative demografische Entwicklung stellt die Finanzierung der Sozialwerke vor grosse Herausforderungen. Wie lassen sich die Renten auch in Zukunft garantieren?
M. N.: Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, mit dieser Problematik fertig zu werden. Denn rein technisch gesehen gibt es nur drei Möglichkeiten. Erstens mehr Einnahmen, zweitens weniger Leistungen und drittens die Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Andere rein technische Lösungen, um das Niveau der Renten zu erhalten, gibt es nicht. Werden künftig keine Massnahmen ergriffen, wird auch die Höhe des AHV-Ausgleichsfonds abnehmen, weil sich die Struktur der Alterspyramide in unserem Land negativ entwickelt.
Sie wird sich negativ auswirken auf die Relation von aktiven, das heisst beitragspflichtigen Menschen, und Rentnern.
swissinfo: Wie sehen die Aussichten für die kommenden Jahre aus?
M. N.: Es ist in diesem Bereich wichtig, genau zu unterscheiden. Einerseits geht es um die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben, die so genannten Umlage-Ergebnisse.
Andererseits um den Anlageerfolg, also den Teil des Ergebnisses, der aus den Investitionen resultiert, die wir laut unserem Mandat nach gewissen Kriterien anlegen. Darum kümmert sich ja der Ausgleichsfonds.
Die Asset Allocation vorgenommen, respektive investiert wird mit langfristigem und nicht kurzfristigem Zeithorizont. Mit den Kriterien der Vermögensverwaltung betrachtet, bleiben die Aussichten für den Fonds fundamental positiv, auch über die Tagesturbulenzen der Finanzmärkte hinaus.
In den letzten fünf Geschäftsjahren vermochte der Ausgleichsfonds aus Vermögensverwaltungs-Aktivitäten eine durchschnittliche Rendite von 6,2% pro Jahr zu erwirtschaften. Dieses sehr positive Resultat reflektiert die Zusammensetzung des Portfolios, das langfristig ausgelegt ist.
Diese Charakteristik und die Fähigkeit, das Vermögen in Übereinstimmung mit den ständig aktualisierten Vorgaben zu verwalten, sollte es erlauben, auch in den kommenden Jahren ein positives Ergebnis zu garantieren.
swissinfo: Das Rentenalter steht auch in der Schweiz im Mittelpunkt einer grossen politischen Debatte. Wie bringt man die sozialen Ziele der AHV mit den finanziellen Notwendigkeiten zur Übereinstimmung?
M. N.: Das Recht auf eine Altersrente steht sicher ausser Diskussion. Seit der Einführung der AHV 1948 hat sich die Situation jedoch enorm verändert. Die Lebenserwartung hat stark zugenommen, und die sozialstaatlichen Strukturen sind besser geworden. Dies ermöglicht uns, unsere Pensionierung länger zu geniessen.
Wenn wir es aber nicht fertigbringen, die Einnahmen zu erhöhen – durch höhere Gebühren, Steuern oder andere Quellen – und gleichzeitig die Leistungen nicht einschränken oder andere Verfahren einführen wollen, bleibt als einzige Lösung nur die Erhöhung des Rentenalters.
swissinfo, Andrea Arcidiacono, Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
Ende 2007 wurde Marco Netzer vom Bundesrat zum neuen Präsidenten des Verwaltungsrats des AHV-Ausgleichsfonds für die Amtsperiode 2008–2011 bestimmt.
Der 52-jährige Netzer ist seit 2006 VR-Präsident und Partner der Banque Cramer & Cie mit Sitz in Genf und einer Filiale in Lugano.
Netzer ist Schweizer, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seine Muttersprach ist italienisch. Darüber hinaus spricht er Deutsch, Französisch und Englisch.
Bis zum Gymnasium ging er im Tessin zur Schule und schloss sein Jura-Studium in Zürich ab.
Netzer war beruflich in hohen Führungspositionen tätig: Während 14 Jahren für die UBS, davon 4 Jahre in Asien, und 8 Jahre als CEO der Banca del Gottardo.
Der AHV-Ausgleichsfonds ist für die zentrale Geld- und Vermögensverwaltung der Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV), der Invalidenversicherung (IV) und der Erwerbsersatzordnung (EO) zuständig.
Diese gehören zur 1. Säule der Vorsorge in der Schweiz, die der Existenzsicherung dient.
Dem Fonds obliegt die Garantie für die Zahlungen der AHV, IV und EO bei Leistungen.
Die 1. Säule wird nach dem Umlageverfahren finanziert. Dabei werden die Beiträge aus Lohnprozenten direkt als Renten wieder ausbezahlt.
«Ausgleichs»-Fonds heisst der Fonds deswegen, weil er innerhalb dieses Umlageverfahrens vorübergehende Schwankungen ausgleichen muss.
Ende 2007 belief sich die Höhe des Fondsvermögens auf rund 27 Mrd. Franken. Der Fonds muss das Vermögen sicher, aber dennoch marktkonform anlegen.
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