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Frauenuhr oder Männeruhr? Die Grenzen verschwimmen

Filmszene in Schwarz-Weiss, eine Frau und ein Mann blicken sich an.
Eine Szene aus dem Film "Masculin Féminin" von Jean-Luc Godard (1966). Die Uhrenindustrie ist immer noch vorrangig auf das Männliche ausgerichtet, aber die Grenzen sind im Begriff, sich zu verschieben. 1966/Columbia Pictures

Die Mode entfernt sich zunehmend von Geschlechterstereotypen. Die Frage, ob sie die traditionelle Unterteilung in männliche und weibliche Modelle beibehalten will, stellt sich auch der Uhrenindustrie. Mit ersten Effekten.

«Eine Uhr von Sylvester Stallone würde nicht zu Audrey Hepburn passen», sagt der Designer Bruno Bellamich, Mitbegründer der Marke Bell & Ross. «Nicht wegen eines männlichen oder weiblichen Modeideals, sondern ganz einfach wegen des unterschiedlichen Handgelenkumfangs der beiden Schauspieler.»

Bruno Bellamich berücksichtigt jedoch nicht die Energie, die mit allen Revolutionen in der Mode einherging. Erinnern wir uns an Coco Chanel, die sich Teile aus der Männergarderobe auslieh und die keine kleinen Damenuhren mochte. Natürlich hatten zu Coco Chanels Zeiten die Herrenuhren noch die Grösse der zeitgenössischen Damenuhren.

Uhr mit dickem Goldrahmen und Lederarmband mit eingearbeitetem, metallenem Totenkopf
Die Luminor Submersible 1950 Uhr, die Sylvester Stallone um 2011 in «The Expendables 2» trug, wird am 4. Juni 2024 im Auktionshaus Sotheby’s in New York ausgestellt. Keystone/epa

Was Sylvester Stallone betrifft, so sollte er sich jetzt für ein kleineres Modell entscheiden. Die übergrossen Zeitmesser, die in den 2000er Jahren in waren, sind verschwunden. Übertriebene oder karikierte Maskulinität ist nicht mehr in Mode.

Können Uhren sexy sein?

Uhr, weisses Ziffernblatt, silberner Rahmen
Der Royal Oak Chronograph der Schweizer Marke Audemars Piguet, der dem ehemaligen Formel-1-Fahrer Michael Schumacher gehört, wurde am 3. Mai 2024 bei einer Medienpräsentation von Christie’s in New York ausgestellt. AFP

Julien Tornare zum Beispiel sagte, als er Direktor der berühmten Neuenburger Uhrenmarke Zenith war, er wolle nach und nach auf auffällig «maskuline» Modelle verzichten. Er vertrat die Meinung, dass «eine solche Aufteilung in der Automobilbranche verschwunden ist und auch in der Uhrenbranche verschwinden wird».

Seit diesem Jahr setzt er diese Praxis bei TAG Heuer fort. Sein Kollege Ricardo Guadalupe, der die Marke Hublot leitet, teilt die Ansicht: «Obwohl wir einen höheren Anteil an männlichen Kunden haben, haben wir aufgehört, die Uhren nach Geschlecht zu klassifizieren. Wir haben verschiedene Kollektionen mit unterschiedlichen Grössen, die eine Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten bieten.»

Neben Unisex-Uhren und einem gezielteren Spezialangebot propagieren die Marken nun auch mit der Idee der Wahlfreiheit. Cyrille Vigneron, Direktor von Cartier, erinnert daran, dass es in den Anfängen der Uhrmacherei keine speziellen Damen- und Herrenmodelle gab und dass sie nur je nach der Person, die sie besass, «weiblich» oder «männlich» gelesen wurden.

Er ist der Meinung, dass die Zeiten der strikten Trennung der Modelle vorbei sind und dass Uhrmacher:innen ihre Vorlieben der Kundschaft nicht mehr aufzwingen sollten: «Es ist nicht unser Job, zu entscheiden, wer welche Cartier-Uhr trägt. Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Menschen die freie Wahl haben, und zwar so weit wie möglich.»

Bulova Damenarmbanduhr aus Platin mit Diamanten.
Bulova Damenarmbanduhr aus Platin mit Diamanten. Alamy Stock Photo

Andere Vertreter:innen vorwiegend «weiblicher» Marken sind von dieser Idee weniger begeistert. «Ich verstehe den Trend zu «asexuellen» Uhren nicht wirklich», sagt Antoine Pin, Geschäftsführer von Bulgari Horlogerie. «Bedeutet das, dass eine Uhr nicht sexy sein kann?»

Männerkollektionen machen einen kleineren Teil im Portfolio von Marken wie Chanel, Harry Winston, Dior und Chopard aus.

Da diese Uhrenhersteller hauptsächlich für ein weibliches Publikum arbeiten, müssen sie sich nicht speziell um die Entwicklung von Unisex-Modellen kümmern, die auch für Männer geeignet sind.

Diamanten und Genderlogik

Viele Jahre lang wurden Damenuhren nach einem ziemlich zynischen Rezept hergestellt: Sie waren den Herrenuhren ähnlich, aber kleiner, hatten ein Quarzwerk anstelle eines mechanischen Uhrwerks und waren mit Diamanten besetzt.

Schauspielerin Sylvia Kristel, rechts, und der Schweizer Uhrmacher Yves G. Piaget, links, präsentieren die teuerste Armbanduhr der Marke. Das Foto wurde am 20. Februar 1982 in St. Moritz aufgenommen.
Schauspielerin Sylvia Kristel, rechts, und der Schweizer Uhrmacher Yves G. Piaget, links, präsentieren die teuerste Armbanduhr der Marke. Das Foto wurde am 20. Februar 1982 in St. Moritz aufgenommen. Keystone

Man ging davon aus, dass Frauen keine besonderen technischen Spielereien suchen, ausser vielleicht die Mondphasen, dass sie mechanische Uhren nicht gerne aufziehen und eine Batterie bevorzugen würden. Ausserdem hatten kleine Modelle oft nicht genug Platz, um sogenannte Komplikationen unterzubringen, also eine Zusatzfunktion des mechanischen Uhrwerks, die über die übliche Anzeige von Stunde, Minute und Sekunde hinausgeht. Ein Überschuss an Diamanten machte dann die einfache Technik (auch preislich) wieder wett.

Feen, Blumen, Vögel

Der Grand Prix d’Horlogerie de Genève (GPHG) zeichnet die Gewinner:innen in den Kategorien Herren- und Damenuhren, mit und ohne Komplikationen aus. Die Einführung einer eigenen Kategorie für Frauenuhren mit Komplikationen im Jahr 2013 stellte einen Wendepunkt in der Branche dar.

Die Frage, welche mechanischen Uhrwerke und welche Komplikationen am besten geeignet sind, bleibt jedoch offen für Debatten. 2010 brachte Van Cleef & Arpels eine komplexe mechanische Uhr mit dem Namen «Pont des amoureux» auf den Markt. Sie war mit einer Animation versehen, die zwei Liebende zeigt, die sich auf einer Brücke begegnen.

«Wir mussten darüber hinwegsehen, dass eine Komplikation in der Uhrmacherei auf Präzision ausgelegt ist, und uns dem künstlerischen Wert des Stücks zuwenden», erklärt Nicolas Bos, geschäftsführender Präsident der Marke von 2010 bis 2024.

Die Uhrmacher von Van Cleef & Arpels erfanden sogar eigens die Definition einer «poetischen Komplikationen» und ebneten damit den Weg für Kreationen, in denen Blumen blühen, Vögel mit den Flügeln schlagen und Feen Zauberstäbe schwingen.

Bei der letzten Zeremonie Grand Prix d’Horlogerie de Genève sorgte der Preis für die Damenkomplikation für einen Rüffel des Jurymitglieds und skandinavischen Uhrenkenners Kristian Haagen. «Eine Komplikation ist eine Komplikation, und warum brauchen wir unterschiedliche Kategorien von Komplikationen für Frauen und Männer?», fragte er.

Den praktischen Nutzen verloren

Haagen mag mit seiner Einschätzung richtig liegen, dass die «poetischen Komplikationen» ein Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Frauen ausdrücken, Technik ohne künstlerischen Anstrich wertzuschätzen. Die Technik wird zur Dekoration eingesetzt, was für Uhrenpurist:innen fragwürdig ist.

Andererseits haben auch die traditionellen Komplikationen ihren praktischen Nutzen verloren. Früher sollte das Tourbillon die Auswirkungen der Schwerkraft ausgleichen, während die Minutenrepetition dazu diente, im Dunkeln die Zeit anzuzeigen.

Heute ist die genaue Uhrzeit problemlos auf jedem Mobiltelefon abrufbar, doch das tut der Schönheit der uhrmacherischen Meisterleistung keinen Abbruch.

Damenuhr in ovaler Form
Das berühmte Modell Serpenti Seduttori von Bulgari. Bulgari

«Das Tourbillon hat keinen praktischen Wert mehr, bleibt aber ein Juwel der Uhrmacherkunst», sagt Jean-Christophe Babin, Direktor der Marke Bulgari, die winzige Tourbillons in ihre ikonischen Serpenti-Modelle eingebaut hat. «Frauen können diesen ‹Diamanten› legitimerweise in unseren Uhren tragen.»

Eine immer bedeutendere Klientel

Frauen stellen heute einen wachsenden Anteil der Kund:innen von Uhrenmarken dar. Und sie lassen sich von ihrem eigenen Geschmack und Verständnis leiten, was eine «Damenuhr» ist.

Laut der Plattform Chrono24, die auf den Online-Verkauf von Luxusuhren spezialisiert ist, stieg zwischen Januar 2019 und Dezember 2023 der Anteil der Frauen, die Luxusuhren mit einem Durchmesser von 40 mm oder mehr kauften, von 21% auf 35%.

Ein weiterer interessanter Befund der Studie ist, dass 59% aller Kund:innen von Uhren mit einem Preis zwischen 10’000 und 20’000 Euro Frauen sind.

Die Journalistin Elisabeth Schroeder stellt in einem Artikel auf Chrono24 Magazine fest: «Frauen sind offener für Uhren mit einer unkonventionellen Gehäuseform, d. h. rechteckig, quadratisch usw.» Das zeuge davon, dass sie als Konsumentinnen mehr Mut hätten, im Gegensatz zu Männern, die in der Regel runde Uhren bevorzugen.

Frauen in Führungspositionen in der Minderheit

Aber der Schlüssel zu einer integrativeren und weniger stereotypen Uhrenindustrie liegt vielleicht woanders. Zwar kaufen Frauen heute ihre Uhren selbst, doch werden diese immer noch mehrheitlich von Männern entworfen.

«In der Welt der Uhrenindustrie sind nur 17% der Führungspositionen von Frauen besetzt», sagt die Convention patronale de l’industrie horlogère (CPIH) (Arbeitgeberverband der Uhrenindustrie).

Zwei Arbeiterinnen an einem langen Tisch
Arbeiterinnen in einer Uhrenwerkstatt in Besançon, 1908. AFP/ Jacques Boyer

Marine Lemonnier-Brennan, Gründerin der Agentur 289 Consulting, beobachtet trotzdem eine Entwicklung in dieser traditionell sehr männerdominierten Branche: «In den letzten Jahren sind bei Jaeger-LeCoultre, Chopard, Audemars Piguet, Vacheron Constantin, Hublot, TAG Heuer und Harry Winston Frauen in strategische Positionen aufgerückt. Sie sind entweder CEO, Produktmanagerin, Designerin oder Uhrwerksverantwortliche und tragen dazu bei, dass sich die Uhrmacherei zu einem Angebot entwickelt, das speziell für Frauen gedacht und konzipiert ist.»

Als Beispiel nennt sie die in Genf ansässige Marke Beauregard, die 2011 von Alexandre Beauregard gegründet wurde und deren Ziel es ist, Uhren zu kreieren, die von Anfang an Schmuck und komplexe Mechanik miteinander verbinden: «Noch nie zuvor wurde eine unabhängige Marke der Haute Horlogerie nur für Frauen kreiert», sagt Lemonnier-Brennan.

Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger

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