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Hier wird der Nachwuchs für die Luxushotels in aller Welt ausgebildet

ein Kellner balanciert ein Tablett
Seit 1975, als die EHL ihren jetzigen Standort am nördlichen Rand von Lausanne eröffnete, haben mehr als 30'000 Studierende die EHL durchlaufen. Keystone

Die Hotelfachschule in Lausanne führt Studierende aus aller Welt in die hohe Kunst des gehobenen Gastgewerbes ein. Doch viele erhoffen sich mit ihrem Abschluss Erfolg in ganz anderen Branchen.

In einem chicen Restaurant am Stadtrand von Lausanne versucht eine junge Frau aus Cannes, eine Flasche Laurent-Perrier Cuvée Rosé zu öffnen. Von der Mitte des Speisesaals aus, mit Blick auf die Alpen und den Genfer See, wird sie von Eric Iunker beobachtet, ein Dozent, dessen Augenbrauen sich immer mehr zu heben scheinen.

Im entscheidenden Moment entweicht ein Luftstoss aus der Flasche, nicht mit einem Knall, sondern mit einem hastigen «Shhhh» – wie die Luftschleuse eines Raumschiffs aus einem Science-Fiction-Film. «Tut mir leid, das sollte kein Geräusch machen», sagt die 19-jährige Chiara Dosne. Sie errötet leicht, bevor sie mir das Glas einschenkt.

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FT

Die Studentin, die eine rote Krawatte über ihrem Hemd trägt, das so sorgfältig gebügelt ist wie die Leinentischdecken, hat bereits früher Champagner eingeschenkt; damals hatte sie in einer Bar gearbeitet. «Aber hier ist das Niveau viel höher», sagt sie und stellt die Flasche behutsam zurück in den Eiskübel.

Ich esse im Berceau de Sens zu Mittag, dem wohl einzigen Restaurant mit Michelin-Stern, das man durch eine Studentenmensa erreicht. Das Restaurant ist das kulinarische Herz der EHL Hospitality Business School, einer Schweizer Eliteuniversität, besser bekannt unter ihrem früheren Namen: École Hôtelière de Lausanne. Zu ihren Absolvent:innen zählen Generaldirektor:innen einiger der renommiertesten Hotels der Welt.

Dosne und ihre Mitstudent:innen, die diesseits und jenseits der Küchendurchreiche auf Herz und Nieren geprüft werden, haben erst zwei Wochen ihres vierjährigen Studiums in International Hospitality Management hinter sich.

Angesichts der Studiengebühren in Höhe von 177’050 Schweizer Franken (etwas mehr als 200’000 US-Dollar, ohne Unterkunft) sind die meisten von ihnen in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen.

In ihrem ersten Jahr hier müssen sie praktische Arbeiten verrichten, vom Einschenken von Wein über das Pochieren von Eiern bis hin zum Polieren von Toiletten auf Fünf-Sterne-Glanz.

Karte mit dem Genfersee in der Mitte und Lausanne hervorgehoben
1893 wurde die Schule in Lausanne im Hôtel Angleterre gegründet. FT

«Sie werden nicht zu Zimmermädchen ausgebildet, aber sie müssen die Bedeutung und das Prinzip der Reinigung auf höchstem Niveau verstehen», sagt Julien Simon, der die Zimmerabteilung eines grossen Hotels leitete, bevor er 2013 zur EHL kam. «Und man muss sich vorstellen, dass einige von ihnen noch nie einen Staubsauger angefasst haben.»

Zum ersten Mal im Leben einen Wischmopp in der Hand

Ich finde Simon mit einem Klemmbrett bewaffnet in einem Korridor der Campus-Unterkunft. Eine Gruppe von Erstsemestern in chicen weissen Polohemden ist gerade dabei, die Zimmer ihrer Kommiliton:innen aufzuräumen und zu putzen.

«Das Schwierigste ist das Polieren und die Haare in den Abflüssen», sagt Justine Lutt, 18, aus Paris, die in der vergangenen Woche zum ersten Mal mit dem Wischmopp Bekanntschaft gemacht hat.

Während wir uns unterhalten, entdeckt Simon einen kaum sichtbaren Fingerabdruck auf einem weissen Kleiderschrank. Er sagt allerdings, der Raum unter dem Bett sei der wahre Massstab für den Standard eines Hotels.

Er erinnert sich an einen Aufenthalt in einem Hotel, das von einem Freund geführt wurde, der wusste, dass Simon ein Adlerauge hatte. «Erwischt!», dachte sich Simon, als er ein kleines Stück Papier unter seinem Bett fand. «Ich zog es heraus, und darauf stand: ‹Ja, wir haben unter dem Bett geputzt.'»

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Abgesehen von den knallbunten Plastikputzwagen auf dem Gang haben sich viele Lektionen an der EHL kaum verändert, seit Jacques Tschumi, ein Schweizer Hotelier der ersten Stunde, 1893 in einem Zimmer des Hôtel Angleterre in Lausanne die erste Hotelfachschule der Welt eröffnete.

Die Schule, deren 27 Schüler:innen des ersten Jahrgangs in einem Schlafsaal schliefen, der wie ein Sanatorium aussah, war seine Antwort auf die wachsende Nachfrage nach einer qualitativ hochwertigen Ausbildung auf dem Höhepunkt des viktorianischen Tourismusbooms in den Alpen.

Zu den ersten Kursen gehörten Kalligraphie, Sprachen, Mathematik und touristische Geographie, ergänzt durch praktische Übungen im Hotel: Leinenbügeln, Gemüseanbau, die Kunst, riesige Tabletts mit Silberbesteck die Treppe hinaufzutragen. Die Schule zog 1903 in ein eigenes Gebäude um und erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Blütezeit.

Mehr als 30’000 Studierende sind durch die Tore der EHL gegangen, die sich seit 1975 an ihrem heutigen Standort befindet: ein ehemaliger Bauernhof hoch über dem See am nördlichen Stadtrand von Lausanne.

Heute studieren über 4000 Studierende aus 126 Ländern an drei Standorten (2013 übernahm die EHL eine kleinere Schweizer Hotelfachschule in Passugg, 2021 eröffnete sie eine Zweigstelle in Singapur).

Auf dem Campus in Lausanne fühlt man sich eher wie in Stanford als in einer steifen Hotelfachschule. Vieles ist brandneu; ein fast 300 Millionen Dollar teurer Erweiterungsbau, der 2022 eröffnet wurde, hat die Fläche mehr als verdoppelt, mit luftigen neuen Gebäuden und Lehrküchen, um die sie jeder Spitzenkoch beneiden würde.

A residential building on the campus of the hospitality management school Ecole Hoteliere de Lausanne in Lausanne, Canton of Vaud, Switzerland, on May 18, 2017. Founded in 1893, the hospitality management school offers management training for the catering and hotel industry.
Keystone / Peter Klaunzer

Die Studierenden schlendern in Designerklamotten umher, tragen lederne Aktenkoffer und Handtaschen und ziehen in der Sonne auf der Terrasse über den Tennisplätzen an ihren Vapes.

Ich habe noch nie so viele Kaschmir-Rollkragenpullover unter Anzugjacken gesehen. Eine 15-seitige Kleiderordnung hat kürzlich den Krawattenzwang abgeschafft, ist aber immer noch strenger als in vielen Clubs im noblen Londoner Stadtteil Mayfair.

«Gastfreundschaftswirtschaft statt Erlebniswirtschaft»

Markus Venzin bleibt bei seiner Krawatte. Er trägt einen makellosen Windsor-Knoten, als ich ihn in einem Seminarraum beim Hören von Aerosmith ertappe. Ansonsten verkörpert der CEO der EHL-Gruppe die Modernisierung der Hochschule. Er begann 2022, kurz nachdem der neue Campus mit dem erweiterten Namen «EHL Hospitality Business School» eröffnet wurde.

Venzin, der zuvor als Wirtschaftsprofessor und Start-up-Gründer in Mailand war, erzählt mir, dass heute weniger als die Hälfte der EHL-Absolvent:innen überhaupt ins Gastgewerbe einsteigen: «Es ist wichtig, dass sie mit einer Reihe von Kompetenzen ausgestattet werden, die ihnen auch den Einstieg in benachbarte Branchen ermöglichen.»

Die Kultur des gehobenen Gastgewerbes, die wohl in Lausanne geprägt wurde, verändert heute mehrere Branchen, sagt Venzin, und die Lehrkräfte der EHL werden oft als Berater für Projekte beigezogen, die nichts mit Hotels zu tun haben.

Auch die Bank empfängt Gäste

So hat zum Beispiel ein Luxusjuwelier festgestellt, dass die langen Warteschlangen vor einem seiner Geschäfte die besten Kund:innen abschrecken, weshalb er eine Bar und Lounge mit Concierge und Terminvereinbarung einrichtete.

Inzwischen behandeln auch Privatbanken ihre Kund:innen zunehmend wie Gäste (zu den EHL-Alumni gehört Laurent Gagnebin, CEO der Bank Rothschild & Co in Zürich, dessen Kind heute an der EHL studiert).

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«Ich habe vor, ein Buch darüber zu schreiben, wie wir uns von einer Erlebniswirtschaft zu einer Gastfreundschaftswirtschaft entwickeln», sagt Venzin.

Dutzende von Unternehmen sind Teil der «EHL Alliance», die es ihnen ermöglicht, auf dem Campus Rekrutierungskampagnen durchzuführen. Dazu gehören Four Seasons, Accor und Hyatt, aber auch der Getränkeriese AB InBev und die Supermarktkette Migros. Am Tag nach meinem Besuch wird ein leitender Angestellter von KFC zu einer Konferenz auf dem Campus erwartet, der eine «knusprige Überraschungslieferung» versprach.

Schon als Kind von edlen Hotels fasziniert

Max Watts sieht aus, als wäre er für die Leitung eines Grand Hotels geschaffen – und er klingt auch so. Gestriegelt und gebügelt gehört auch er zu den Krawattenträger:innen und trägt einen marineblauen Zweireiher.

Der Student im letzten Studienjahr stammt aus Essex, wo sein Vater ein erfolgreiches Lastwagen-Reparaturunternehmen betreibt. Schon als Kind war er fasziniert vom Innenleben der edlen Hotels, in denen er während den Familienferien übernachtete.

Der 21-jährige Watts absolvierte die an der EHL erforderlichen Praktika, unter anderem im Inverlochy Castle, einem Fünf-Sterne-Hotel in den schottischen Highlands. Er hat sich als Reinigungskraft, Sous-Chef und Mixologe hervorgetan (in einem anderen Klassenzimmer beobachte ich um 10 Uhr morgens Studierende bei einer Blindverkostung von Spirituosen. Die silbernen Spucknäpfe auf ihren Tischen unterstreichen die Unangemessenheit des Ganzen).

Aber jetzt will Watts in die Immobilienffinanzierung einsteigen. «Die Definition von Gastfreundschaft ist, sich um Menschen zu kümmern, und ich kann mir kein Geschäft vorstellen, das das nicht erfordert», sagt er.

Ein paar träumen noch vom Hotel

Es ist schon fast eine Erleichterung, Studierende zu finden, die immer noch davon träumen, in einem der Grand Hotels zu arbeiten, für die die EHL gegründet wurde, und dieses vielleicht sogar eines Tages zu leiten.

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In einer der glänzenden neuen Küchen experimentiert Gervais Milandou-Nlemvo, 22, mit einer Variante von Maafe, einem westafrikanischen Erdnusseintopf, für einen Wettbewerb später in der Woche.

Er ist in Paris aufgewachsen und hat dort in einem Spitzenrestaurant als Juniorchef gearbeitet. Er ist für fünf Monate – und rund 28’000 Dollar – nach Lausanne gekommen, um ein «Culinary and Restaurant Management Certificate» zu erwerben. Ein Zetrifikat von mehreren Kurz- oder Nachdiplomstudiengängen, die die EHL ebenfalls anbietet.

Dieses wird er mit in den Kongo nehmen, woher seine Familie stammt, und ihre kleine Hotelkette ausbauen. «Ich möchte meinem Vater mit den Restaurants wirklich helfen», sagt er.

Für Giulia Paloni, ebenfalls 22 Jahre alt, ist es ein Traum, General Managerin (GM) zu werden. «Ich habe diese Energie und Leidenschaft für das Gastgewerbe im Blut», sagt die Studentin aus Rom. Sie ist im letzten Studienjahr, liebt das Reisen und ist fasziniert vom gängigen Bild der unerschütterlichen General Managerin.

Bernie aus «Pretty Woman» als Vorbild

«Viele Leute machen diesen Job, weil sie Pretty Woman gesehen haben», sagt Vincent Billiard. Im Film geht es um Bernie, den umsichtigen, aber diskreten Manager eines Hotels in Beverly Hills.

Billiard träumt davon, genau diesen Job zu machen. Er schloss 2002 sein Studium an der EHL ab. Heute leitet er für die Rosewood-Gruppe das renommierte Hôtel de Crillon in Paris. Er sagt, seine Arbeit sei seit den Tagen von Pretty Woman unternehmerischer und strategischer geworden, obwohl er immer noch viele Stunden damit verbringt, in der Lobby Händchen zu halten.

A student counts the cutlery in the restaurant, pictured at the hospitality management school Ecole Hoteliere de Lausanne in Lausanne, Canton of Vaud, Switzerland, on May 18, 2017. Founded in 1893, the hospitality management school offers management training for the catering and hotel industry.
Keystone / Peter Klaunzer

Der heute bekannteste fiktive GM ist wohl Armond, der unglückliche Manager des White Lotus Resorts aus der ersten Staffel der erfolgreichen Fernsehserie. Billard vermutet, dass diese Figur keine Vorgeschichte an der EHL hat. «Ich habe nur Teile davon gesehen, aber ich denke, ich kann sagen, dass der Manager eine Menge schlechter Entscheidungen getroffen hat», sagt er lachend.

Zurück im Berceau de Sens funktioniert der Service reibungslos, zumindest für mein ungeübtes Auge. Katarina Stavridaki, eine griechische Studentin, notiert sich unsere Bestellungen im Uhrzeigersinn, beginnend mit der Person, die am nächsten zur Wand sitzt, damit sie sich merken kann, wer was bestellt.

Bis zum letzten Millimeter

Ich entscheide mich für das «perfekte Ei», das fast eine Stunde lang bei 63 Grad gekocht wird, und die Rinderbäckchen mit einer «Karottensymphonie».

Als das Rindfleisch an meinen Tisch kommt, merke ich nichts Ungewöhnliches. Einen Moment später, Sekunden bevor ich Messer und Gabel hebe, kommt Eric Iunker, der Mann mit den hochgezogenen Augenbrauen, aus der Ferne herbei, lautlos wie eine Schleiereule.

Er schiebt meinen Teller einen halben Zentimeter nach innen, sodass seine Vorderkante mit der Tischkante abschliesst. Stavridaki beobachtet ihn und macht sich im Kopf eine Notiz.

Copyright The Financial Times Limited 2024

Simon Usborne war zu Gast an der EHL Hospitality Business School.

Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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