Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit im Visier
Die Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit ist das beste Rezept, nicht nur für Arbeitende, sondern auch zur Entlastung von Bund, Arbeitslosenversicherung und Sozialdiensten. Dies der Konsens der Sozialpartner am ersten Tag der Beschäftigung.
Die ersten Anzeichen zum Ende der wirtschaftlichen Talfahrt sind da.
So erfreulich die Perspektiven für eine Rückkehr der Schweizer Wirtschaft im ersten Halbjahr 2010 in die Wachstumszone auch sein mag: Der Optimismus der Auguren kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Arbeitslosigkeit noch stark steigen wird.
In Zahlen ausgedrückt: Im nächsten Jahr müssen 5,5 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in der Schweiz stempeln gehen, das sind rund 200’000 Menschen, wie die Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erwartet.
«In dieser aussergewöhnlichen Situation ist es wichtig, dass sich Sozialpartner sowie Vertreter von Bund, Kantonen und Hilfswerken zusammensetzen, um die Lage zu analysieren und nach Lösungen zu suchen, um die Situation im nächsten Jahr zu verbessern.»
Dies formulierte Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard als Zielsetzung des ersten Tages der Beschäftigung, der in den Hallen der Hightech-Firma Mikron in Boudry bei Neuenburg stattfand.
Die Bundesrätin verwies auf das dritte Paket der konjunkturellen Stabilisierungsmassnahmen der Regierung. Darin seien 350 Mio. Franken für Massnahmen auf dem Arbeitsmarkt vorgesehen. Diese sollen laut Leuthard für die Bekämpfung der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit verwendet werden.
Unterstützung
Sowohl die Vertreter der Arbeitgeber- wie auch der Arbeitnehmerseite sicherten der Regierung in der Umsetzung dieses dritten Konjunkturpakets ihre Unterstützung zu. Dennoch blieben in Boudry kritische Einwände von Rechts und Links nicht aus.
Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, begrüsste die punktuelle Verstärkung arbeitsmarktlicher Massnahmen mit dem dritten Stützungsprogramm des Bundes. Einer allgemeinen Ausweitung der Arbeitslosenversicherung (ALV) sagte er aber klar den Kampf an.
Sowohl Daum wie Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler pochten klar auf die zeitliche Begrenzung der Massnahmen. Es dürfen keine Präjudizien geschaffen werden, so der Tenor von Seiten der Patrons.
«Staat verschärft Krise»
Dagegen gehen Daniel Lampart, dem Chefökonomen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), die Massnahmen nicht weit genug.
«Der Bund muss Arbeitslosigkeit bekämpfen. Er macht aber das Gegenteil, indem er die Kaufkraft der Menschen abschöpft», kritisierte Lampart.
Als Beispiele nannte er die Erhöhung der Krankenkassenprämien, die Erhöhung der CO2-Abgabe ohne sofortige Rückerstattung sowie massive Sparmassnahmen seitens der Kantone.
Der SGB-Ökonom forderte, dass die 1,2 Mrd. Franken, die der Bund aus dem Verkauf der UBS-Wandelanleihe löst, zur Verbilligung der Krankenkassenprämien ausgeschüttet werden sollten.
Ein Ansinnen, das Doris Leuthard mit Verweis auf das zu erwartende Defizit des Bundeshaushalts umgehend zurückwies.
Martin Flügel, Präsident der Gewerkschaft Travail.Suisse, verlangte die Ausdehnung der Kurzarbeit von 18 auf 24 Monate sowie die Verlängerung der Arbeitslosen-Taggelder auf 520 Tage.
RAV unbestritten
Einigkeit zeigten die Teilnehmer am «Tag der Beschäftigung» in der Anerkennung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Diese seien sehr gut vorbereitet und die gute Qualität ihrer Leistungen sei anerkannt, attestiert Leuthard. «Bei der Vermittlungstätigkeit gibt es aber noch Verbesserungsmöglichkeiten.»
Die Arbeitslosenversicherung könne aber nicht für alle Probleme auf dem Arbeitsmarkt zuständig sein. «Die mangelhaft Qualifizierten stellen ein Langzeitproblem dar. Deshalb braucht es in der Ausbildung eine Langzeitstrategie», so Leuthard.
Berufsabschluss nachhaltiger
Gerade für Menschen ohne oder mit nur rudimentärer Berufsausbildung könnte die ALV gemäss Arbeitnehmer-Vertreter Martin Flügel noch mehr tun. «Wer keine Ausbildung hat, ist heute auf dem Arbeitsmarkt praktisch chancenlos. Statt solchen Personen so rasch wie möglich wieder einen Arbeitsplatz zu verschaffen, sollten die regionalen Arbeitsvermittlungszentren prüfen, ob diese Personen einen Berufsabschluss machen können», sagte der Travail.Suisse-Vertreter gegenüber swissinfo.ch.
Das würde langfristig viel mehr bringen, weil diese Menschen vermutlich nicht mehr arbeitslos würden. Auch sinke das Risiko, dass sie einmal Sozialhilfe beziehen müssten. Dies gelte insbesondere für Erwachsene ohne Berufsbildung.
Zauberwort «Validation d’acquis»
Flügel verweist auf das Berufsbildungsgesetz, das die Möglichkeit der Nachhol-Bildung vorsieht, der so genannte Validation d’acquis. Fähigkeiten, die eine Person in der Berufspraxis erworben hat, würden einer Berufsbildung angerechnet. Es wäre laut Flügel Aufgabe der Vermittlungszentren, bei Arbeitslosen eine Bestandesaufnahme solcher Fähigkeiten zu machen und nötige Ergänzungen in die Wege zu leiten.
«Wenn beispielsweise eine Person aus dem Ausland während fünf oder zehn Jahren in der Schweizer Gastronomie gearbeitet hat, braucht sie keine Lehrstelle mehr, weil sie bereits über grosse Erfahrung verfügt. Sie muss dann nur noch einzelne fehlende Elemente der Berufsausbildung nachholen», erklärt der Gewerkschafter.
Renat Künzi, swissinfo.ch, Boudry
Zum 1. Tag der Beschäftigung gibt das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement die Broschüre «Der Start ins Berufsleben» heraus.
Sie erscheint in deutsch, französisch und italienisch und richtet sich an Menschen, die eine Stelle suchen.
Sie enthält Tipps wie Jobsuche im Internet, Bewerbungen, Networking etc..
Aufgelistet sind auch Internet-Adressen zur Suche von Praktikumsstellen im Ausland und Weiterbildungskurse wie Sprachaufenthalte.
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