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Mehr Fürsorgefälle, weniger Arbeitslose

Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) sind gefordert. Keystone

Am 1. Juli tritt das revidierte Arbeitslosengesetz in Kraft. Als Folge müssen mehr ausgesteuerte Personen Sozialhilfe beantragen.

Laut den Gewerkschaften sind rund 5000 Personen betroffen. Bis Ende Jahr kommen monatlich schätzungsweise 400 Personen dazu.

Vom revidierten Arbeitslosengesetz (Avig) sind alle Arbeitslosen unter 55 Jahren betroffen.

Die Gesetzesrevision war Anfang 2001 beschlossen und vom Volk im letzten November an der Urne angenommen worden.

Mit der Kürzung der Bezugsdauer von 520 auf 400 Tagen soll die Arbeitslosenkasse entlastet werden.

Auf den Sozialämtern in den Gemeinden und Städten rechnet man damit, dass die Zahl der Personen, die Sozialgeld beantragen, ansteigen wird.

Gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) waren Ende Mai 2003 über 140’000 Arbeitslose eingeschrieben.

Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt

Das verschärfte Arbeitslosengesetz verstärkt die aktuelle Tendenz der steigenden Arbeitslosigkeit durch die anhaltende Wirtschaftsflaute. Im Mai betrug sie 3,6%.

Schätzungen zufolge wird die Arbeitslosenversicherung allein in diesem Jahr ein Loch von 900 Mio. Franken in der Kasse hinterlassen.

Auch ohne die Kürzung der Bezugsdauer der Arbeitslosen-Unterstützung steigt die Zahl der Ausgesteuerten kontinuierlich – und damit auch die Zahl der Gänge zum Sozialamt.

Susanne Blank von der Gewerkschaft Travail.Suisse bezeichnet das neue Gesetz als «harten Schlag in harten Zeiten».

Nicht alle gehen zum Sozialamt

Laut früheren Erhebungen des seco gehen nur etwa 15% der Ausgesteuerten zum Sozialamt.

Während die ausländischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen teilweise wieder in ihre Heimat zurückkehren, gibt es auch Personen, die sich ganz aus dem Berufsleben zurückziehen.

Frühere Erfahrungen zeigen zudem, dass rund 50% der Ausgesteuerten innerhalb eines halben Jahres wieder einen Job finden; allerdings werden sie aber schlechter bezahlt als vorher.

Ob dieser Mechanismus auch bei der aktuellen Wirtschaftskrise spielen wird, ist zweifelhaft.

Ausserdem werden laut Gewerkschafterin Blank lediglich die (sozialen) Kosten verlagert, ohne das Problem zu lösen.

Ausnahmeregelungen möglich

IV- und Unfallversicherungs-Rentner sind von der neuen Regelung nicht betroffen.

Kantone mit besonders hoher Arbeitslosigkeit können zudem die Leistungsdauer wieder erhöhen. Die Kantone müssen einen entsprechenden Antrag stellen und nachweisen, dass die Arbeitslosigkeit in ihrem Kanton während sechs Monaten über 5% lag.

Ungünstigerweise wird die Arbeitslosenquote seit Mai neu berechnet: Sie basiert nun auf den Zahlen der Volkszählung 2000.

Da die Zahl der Erwerbsbevölkerung gestiegen ist, hat sich die Arbeitslosenquote von knapp 4% auf 3,6% verringert.

Kanton Zürich stark betroffen

Wenn am 1. Juli das neue Gesetz in Kraft tritt, werden im Kanton Zürich über Nacht gegen 1500 Personen ausgesteuert.

Weil sie bis am 1. Juli 2003 mindestens 400 Taggelder aus der Arbeitslosenversicherung bezogen haben, werden sie ausgesteuert.

Die verkürzte Bezugsdauer gilt ab Juli auch für diejenigen Arbeitslosen, die vor der Gesetzesänderung die Arbeit verloren haben.

Zuerst eigenes Vermögen aufbrauchen

Wer über Vermögen verfügt, hat zuerst dieses zu verbrauchen. Die Bezugsgrenzen liegen bei 4000 Franken Vermögen für eine Einzelperson, 8000 Franken für eine Familie und 10’000 Franken für eine Familie mit Kindern.

Nur wer unter diese Grenze fällt, kann mit Sozialhilfe rechnen. Das Ausbleiben der Arbeitslosen-Taggelder führt bei vielen Menschen zu psychischen Problemen.

Sie fühlen sich als nutzlose Mitglieder der Gesellschaft und empfinden den Gang zum Sozialamt als entwürdigend.

Zunehmende Belastung der Sozialämter

Auf allen Sozialämtern rechnet man damit, dass die Fallzahlen und damit die Ausgaben in den nächsten Monaten erheblich steigen werden.

Experten halten zudem den gegenwärtigen Aussteuerungsschub für keine einmalige Aktion.

Weil die Arbeitslosenzahlen im Jahr 2002 gestiegen sind, erreichen bald die ersten Arbeitslosen dieser neuen Welle die maximale Bezugsdauer.

Gemäss einer weiteren Änderung der Arbeitslosen-Versicherung hat künftig nur noch das Recht auf Unterstützung aus der Arbeitslosenkasse, wer 12 statt bisher 6 Monate Beiträge bezahlt hat.

Dieser Effekt wird die Sozialhilfekassen der Gemeinden mindestens so stark belasten wie die momentane Welle von Aussteuerungen.

swissinfo

Seit 1. Juli ist das revidierte Arbeitslosengesetz (Avig) in Kraft.

Arbeitslose unter 55 Jahren können statt 520 nur noch 400 Tage Arbeitslosengeld beziehen.

Danach werden sie ausgesteuert und müssen Sozialhilfe beantragen. Allerdings müssen sie zuerst bis zu einer bestimmten Grenze eigenes Vermögen aufbrauchen.

Die Arbeitslosigkeit betrug Ende Mai 3,6%.

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