Mit Lolita Chic zum internationalen Erfolg
Von einer Garage auf dem Land zum Design Center in Paris. Von der Boutique in der Provinz zu den besten Lagen in den Metropolen von 30 Ländern: Das Schweizer Modeunternehmen Tally Weijl ist 25-jährig und damit älter als seine Zielgruppe.
Mitte der 1980er-Jahre waren sie jung, mitten im Studium und verheiratet: Tally Weijl und Beat Grüring. In der Nähe von Solothurn mieteten sie eine Garage.
Sie zeichnete und kreierte die Kollektionen. Er kümmerte sich um Businessplan, Buchhaltung und Strategien. Zusammen mit ihrer Schwiegermutter bereiste Tally Weijl die Boutiquen im Land.
«Unsere Idee war es, monatlich eine Kollektion mit Lieferfristen von vier bis sechs Wochen auf den Markt zu bringen. Üblich waren damals zwei Kollektionen jährlich mit Lieferfristen von sechs bis neun Monaten», erinnert sich Beat Grüring.
1987 eröffneten sie ihren ersten Laden in Freiburg. «Das war reiner Zufall. Wir hatten dort einen Kunden. Den haben wir übernommen», so Grüring.
Heute ist Tally Weijl ein Unternehmen mit mehr als 500 Boutiquen in 30 Ländern, einem Jahresumsatz von 320 Millionen Euro im Jahr 2008 und weltweit 1800 Beschäftigten. Grüring ist CEO am Hauptsitz in Basel, seine Ex-Frau leitet als kreativer Kopf das Designzentrum in Paris.
Zuerst expandierte die Firma innerhalb der Schweiz, 1995 wurde der erste Laden im Ausland eröffnet, im deutschen Freiburg im Breisgau. Heute gibt es Tally Weijl-Boutiquen auch in Tschechien, Polen, Portugal, Russland, Schanghai, und im arabischen Raum. Kernmärkte sind die Schweiz, Deutschland und Österreich.
Nah an den Trends
» Wir haben uns auf einen Stil konzentriert und uns internationalisiert und nicht das Sortiment verbreitert», sagt Grüring und begründet damit die Fokussierung auf ein klar definiertes Kundensegment.
Tally Weijl produziert knappe, auf den Körper geschnittene Kleider für Kundinnen ab 15. Die Designer holen sich ihre Inspirationen in den Tanzschuppen der Metropolen, in Video-Clips und in den Modemagazinen. Internationale Modetrends hängen innerhalb von Wochen an den Gestellen. Tally Weijl positioniert sich konsequent im Tiefpreissegment. Kataloge produziert die Marke keine. Die Kollektionen wechseln zu schnell.
Provozierte Moralhüter
Die Models in den Werbekampagnen sind jung, lang und schmal, tragen Netzstrümpfe, Hotpants, winzige T-Shirts. Madonna, Britney Spears, Paris Hilton haben es vorgemacht: Leben ist Shopping und Party. Samstagnacht ist ein Dauerzustand.
«Tally» hätte die Kette eigentlich heissen sollen. Das funktionierte nicht wegen «Bally», damals noch eine grosse Schweizer Marke. Seit 2004 ist der Zusatz «totally sexy» – enthält auch die Verdoppelung von «Tally» – fixer Bestandteil der Marke. Lediglich im arabischen Raum wird «sexy» durch «funny» ersetzt.
Vor der Fussball-Euro 2008 wurde in Zürich ein Tally Weijl-Tram abgelehnt, in Basel durfte hingegen ein mit knapp bekleideten Lolitas plakatiertes Tram fahren. Die Medien in ganz Europa berichteten. Billiger und effektiver kann Werbung nicht sein.
Feministinnen, Schuldirektoren, besorgte Eltern und kirchliche Kreise empören sich regelmässig und kritisieren die Werbung sei sexistisch. «Wir hatten bisher in keinem Land eine Beschwerde, dass unsere Werbung sexistisch sei», sagt Beat Grüring und antwortet auf die Frage nach den Grenzen: «Es muss Spass dahinter haben.»
Arbeitsbedingungen verbessert
Nicht sexy seien die Löhne und die Arbeitsbedingungen der Verkäuferinnen in den Schweizer Läden, befand 2007 die Gewerkschaft Unia. «Das Problem hat sich inzwischen gelöst, sagt Grüring und weist darauf hin, «dass auch unsere Kollegen von H&M und Zara» ähnliche Probleme hatten.
«Wir haben in der Tat substantielle Verbesserungen erreicht», bestätigt Catherine Laubscher von der Unia: «Jetzt wird die ganze Arbeitszeit bezahlt. Früher galt zum Beispiel das Aufräumen nach Ladenschluss nicht als Arbeitszeit. Doch den Standard des ‹besten› Detailhändlers Coop erreichen die Arbeitsbedingungen nicht.»
Seine Hauptproduktionsstätte hat Tally Weijl in Marokko. Das garantiert relativ kurze Transportwege. Teilweise kommen die Kleider aus der Türkei und dem fernen Osten.
«Wir können mit gutem Gewissen sagen, dass wir auf Standards bezüglich Kinderarbeit Wert legen. Wir haben eine ganze Abteilung, die sich um diese Fragen kümmert, sind jedoch sicher keine Spitzenreiter, aber wir arbeiten daran», sagt Grüring. «Es gibt auch Länder, in denen wir bewusst nicht produzieren.
swissinfo, Andreas Keiser
Im laufende Jahr will die Firma trotz Wirtschaftskrise weiter kräftig expandieren.
Sie strebt einen Umsatz von 370 bis 380 Mio. Euro an, was einer Steigerung von 20% entspricht.
2008 stieg der Umsatz um rund 25% auf 320 Mio. Euro.
2008 sollen 100 neue Läden eröffnet werden. Aktuell: 500. 2004: 134
Tally Weijl beschäftigt weltweit 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 500 in der Schweiz. 2004: 632.
Finanziert wird die dynamische Expansion aus dem Cashflow. Ein Börsengang war bisher kein Thema.
Das Unternehmen macht keine Angaben über die Ertragslage, sei jedoch immer rentabel gewesen, so CEO Grüring.
Zum 25. Firmenjubiläum eröffnete die Kette am 24. April in Basel ihren mit 700 Quadtratmeter weltweit grössten Flagship-Store.
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