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Noch wenig Imageverlust beim Reiseland Schweiz

Kazuya Nemoto, Schweiz-Spezialist aus Tokio, macht sich wenig Sorgen um das Image der Schweiz in Japan. swissinfo.ch

Das Image des Schweizer Finanzplatzes mag gelitten haben, aber jenes der Schweiz als Reiseland bleibt laut ausländischen Reiseveranstaltern einigermassen intakt. Dies haben sie am Switzerland Travel Mart in Luzern bestätigt.

2008 ist der Schweizer Finanzplatz nicht nur wegen des Bankgeheimnisses ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, sondern auch wegen der Milliarden-Verluste ihrer grössten Geschäftsbank, der UBS, die sich nur noch mit Staatshilfe vor dem Untergang retten liess.

Touristisch gesehen war 2008 indes ein Rekordjahr: Noch nie seit der Gründung der Eidgenossenschaft 1291 kamen mehr Reisende in die Schweiz.

Vorderhand scheint der Imageverlust, den die Schweiz als Finanzplatz seit 2008 erleidet, im Fremdenverkehr weniger Bremsspuren zu hinterlassen, als zu befürchten war. Das bestätigen die Einschätzungen ausländischer Einkäufer touristischer Dienstleistungen, die sich übers Wochenende in Luzern trafen.

«UBS als US-Problem»

«Die Japaner sehen die Schweiz weiterhin meist als eine Art ‹alpines Übersee-Japan›, wo Sauberkeit, Sicherheit und Reichtum herrschen», sagt Kazuya Nemoto gegenüber swissinfo.ch.

Auch, so der Schweiz-Spezialist aus Tokio, teilten die sparbeflissenen Japaner ihre Finanz-Probleme oft mit den Schweizern: Tiefe Zinsen und eine demografische Alterung, die an der Altersvorsorge nagt. «Japaner zahlen zwischen 45 und 55% Einkommenssteuer.»

Und dennoch: Steuer- und Kapitalflucht seien für Japaner ziemlich fremd. «Die Angst vor dem ausländischen Risiko ist beim Japaner noch grösser als vor dem inländischen Steuervogt.»

Die Schweiz als Steueroase sei deshalb kaum ein Thema. «So werden zum Beispiel die Probleme der UBS weniger mit der Schweiz identifiziert als mit dem Umstand, dass alles in den USA begann.»

«Gesichtslose» Finanzwelt

«Es ist möglich, dass in den USA die UBS gar nicht so sehr als schweizerische Bank eingeschätzt wird», sagt Richard Davidson gegenüber swissinfo. Vom texanischen Houston aus organisiert der Kanadier Skiferien nach Europa und der Schweiz.

«Die UBS wird als europäisches Institut oft mit London assoziiert – in den USA gilt London gemeinhin als jener Finanzplatz, von dem aus die fragwürdigen virtuellen Anlageprodukte in alle Welt verkauft wurden.»

Wallstreet hingegen werde als «faceless», gesichtsloses Finanzzentrum wahrgenommen – und die UBS als Teil davon werde eigentlich «nicht schlimmer als alle anderen auch» taxiert.

Schweiz als Wahlkampfthema

Für die indische Mittelschicht ist die Schweiz seit dem Kaschmirkonflikt zur Feriendestination geworden. Bollywood-Filmproduzenten wichen ins Berner Oberland aus, um weiterhin vor grünem Grasland und Bergen zu drehen. Das Publikum folgte.

Wie stark das Land dennoch ein Entwicklungsland ist, zeigen die Einkommens- und Steuer-Relationen: «In Indien bezahlt nicht mehr als 1% der Bevölkerung Einkommens-Steuern», schätzt Toovey Abraham, General Manager von Swisstours in Mumbai (Bombay). Steuerflucht werde deshalb kaum zum Massenthema.

Dennoch hätten indische Medien während des Wahlkampfs die Fluchtgelder in die Schweiz zeitweise thematisiert.

Ferien- oder Fiskalparadies?

Eine alte Regel in der Landeswerbung besagt, dass das Wissen ab- und die Klischeevorstellungen zunehmen, je weiter Reisende von ihrem Reiseziel entfernt sind. Werbesujets wie Berge, Kühe oder Heidi machen deshalb in den USA, Japan oder Indien Sinn.

Doch in Frankreich oder Deutschland verfängt das nicht mehr: «Viel weniger Touristen aus Frankreich werden wir im kommenden Jahr wohl nicht haben», schätzt Michel Ferla. «Aber», so der Frankreich-Direktor von Schweiz Tourismus (ST) gegenüber swissinfo.ch: «Die Fiskalparadies-Polemiken setzen dem Image zu.»

Absurderweise hätten die Kontrollen für Franzosen, die in die Schweiz reisten, zugenommen, seit die Schweiz im Schengen-Raum sei. In den TGV-Zügen, so berichteten die Medien, hätten Grenzwächter Passagiere in Bellegarde vor Genf zum Aussteigen gezwungen und ihre Mobiltelefone auf Daten untersucht – unter dem Verdacht der Kapitalflucht.

Viele Franzosen wüssten auch weiterhin nicht, dass die Schweiz inzwischen ein Schengen-Land sei.

Bus statt Bank

Aus Frankreich reisen eine Million Reisende pro Jahr ein, aus Deutschland über sechs. «Breite Schichten in Deutschland vermögen keine Konten zu halten in der Schweiz», sagt Christina Marzluff, Deutschland-Chefin von ST. «Deshalb wirkt der Schweiz-kritische Populismus eines Herrn Steinbrück eben schon wählerwirksam.»

Die Lust auf die Schweiz sei dennoch ungebrochen. «Das sah man auch am Hafenfest in Hamburg Mitte Mai.» Nur brechen in anderen Ferienzielen die Preise stark ein: Deshalb sei ein gehaltenes Qualitäts-Image der Schweiz im Tourismus wichtiger als ein angegriffenes Polit-Image.

Als störend bezeichnet Christina Marzluff die Hetztiraden einiger Schweizer Medien. «Wenn in gewissen Medien der ’nervigste oder blödeste Deutsche› gesucht wird, fördert dies den Reiz der Schweiz als Urlaubsland für Deutsche kaum.»

Den Qualitätswert der Schweiz bestätigt auch Victor Yoffe: «Nicht jeder Israeli kann eine Million auf sein Konto mitbringen, wenn der Schweizer Banker auf ihn wartet», sagt der Tel Aviver Tour Operator augenzwinkernd: «Aber jeder Schweizer Bus wartet pünktlich auf jeden Israeli, darum fährt er gerne in die Schweiz.»

Alexander Künzle, Luzern, swissinfo.ch

Metalle, Maschinen: 72,5 Mrd. Fr.
Chemie: 68,8
Uhren: 16,0
Fremdenverkehr: 14,6

Der «Switzerland Travel Mart» (STM) findet alle zwei Jahre in einem schweizerischen Ferienort statt.

Es ist ein reiner Branchenanlass, an dem ausländische «Grosseinkäufer» von Betten und Verkehrsleistungen mit einheimischen Anbietern wie Hoteliers, Veranstaltern und Verkehrs-Dienstleistern die Konditionen fürs kommende Jahr aushandeln.

In Luzern nahmen rund 800 Touristikprofis teil, darunter rund 450 geladene ausländische Einkäufer wie grosse Tour Operator, aber auch Nischen-Player und Schweiz-Spezialisten aus über 40 Ländern.

Aus Deutschland: 2,5 Mio. Arrivals, 6,3 Mio. Logiernächte (2007), 30% Marktanteil an ausländischen Gästen.

Grossbritannien: 826’000, 2,3 Mio., 10,6%

Frankreich: 671’000, 1,4 Mio., 6,7%.

USA: 652’000, 1,5 Mio., 7,1%

Italien: 540’000, 1,2 Mio., 5,4%

Japan: 278’000, 494’000, 2,3%

Indien: 132’000, 327’000, 1,5%

2004 nahm der Tourismus total 21,6 Mrd. Franken ein, davon entfielen 9,7 Mrd. auf ausländische Touristen.

2005: 12,5 Mrd. Fr. (nur Inländer)

2006: 13,6 Mrd. Fr. (nur Inländer)

2007: 14,6 Mrd. Fr. (nur Inländer)

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