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Novartis bleibt in Nyon: Presse stellt Fragen

Die Freude bei den angestellten in Prangins war gross. Keystone

Der Entscheid des Schweizer Pharmariesen Novartis, den Standort Prangins bei Nyon nicht zu schliessen und in Basel weniger Stellen zu streichen, wird in der Schweizer Presse unterschiedlich kommentiert. Viele Fragen blieben offen.

«Das Wunder von Prangins», «Ziemlich schwierig zu verstehen», «Die Kehrtwende von Novartis», «Ein Sieg des Anstands» oder «Späte Einsicht». So titeln am Mittwoch die Schweizer Zeitungen ihre Berichte und Kommentare.

Der Standort Prangins bei Nyon ist gerettet. Entlassungen wird es dort nun keine geben. Und in Basel soll die geplante Anzahl der Kündigungen von 760 auf 250 reduziert werden. Um den Standort Prangins zu erhalten, musste der Kanton Waadt dem Unternehmen Steuererleichterungen zugestehen.

Die Basler Zeitung zieht in ihrem Kommentar aus der Geschichte zwei Lehren: «Für die Beschäftigten heisst es, Widerstand kann sich lohnen: Wenn konkrete Alternativen aufgezeigt werden können, sind Restrukturierungsentscheide nicht zwingend unumstösslich.»

Und für Unternehmen heisse die Botschaft: «Eine drastische Ankündigung kann je nach Bereitschaft und Möglichkeiten des Standortkantons plötzlich in verbesserten Rahmenbedingungen resultieren.»

Der angekündigte «Grossabbau im profitablen Werk Nyon und in Basel» wirkte für den Blick «wie eine Höchstdosis Medizin gegen eine Krankheit, die es nicht gibt»: «Ausser Gewinnmaximierung gab es keinen Grund zum Abbau.»

Auch wenn in Basel noch 250 Jobs auf der Kippe stünden, hätten die Gewerkschaften «einen Sieg errungen und ein deutliches Signal gesandt: Abbau bei stolzen Gewinnen geht nicht».

Erfolgreiche Verhandlungen

Novartis sei nicht als «besonders sozialer Arbeitgeber» bekannt, schreiben Tages-Anzeiger und Der Bund. Beim Basler Unternehmen «kommen die Interessen der Aktionäre zuerst».

So gesehen sei es erstaunlich, dass der Pharmakonzern nun auf seinen Abbau-Entscheid zurückgekommen sei. «Die späte Einsicht ist zwar löblich. Allerdings muss sich der Pharmakonzern die Frage gefallen lassen, wieso er die beabsichtigte Restrukturierung in der Schweiz nicht seriöser und eingehender geprüft hat.»

Die wichtigste Erkenntnis der Geschichte um die angekündigte Schliessung ist für Bund und Tagi folgende: «Der Entscheid von Novartis ist ein Sieg für das als zahnlos geltende Konsultationsverfahren. Der Fall Novartis zeigt, dass es auch anders geht.»

Versteckte Erpressung?

Die Westschweizer Presse wirft die Frage auf, ob Novartis mit der Ankündigung lediglich bessere Bedingungen für den Standort Nyon-Prangins herausholen wollte.

So schreibt die Wirtschaftszeitung L’Agefi: «Es gibt die zynische Hypothese einer Schweizer Direktion, die zuerst einen Umzug ankündigt, um dann rasch und mit Stolz sowie guter Laune wie gestern Lohnkürzungen, Arbeitszeiterhöhung, Steuererleichterungen zu kommunizieren. Es ist schwer zu glauben, aber man wäre nicht erstaunt, wenn dieses Szenario nicht auch viel moderatere Unternehmen inspirieren könnte.»

Und Le Temps stellt die Frage, wie sich die Behörden verhalten würden, «wenn kleinere und mittlere Unternehmen an ihre Türe klopften, um im Namen der für den Basler Riesen angewendeten Regeln unter dem Vorwand, auf Stellenabbau oder Umzug zu verzichten, um Steuererleichterungen anzufragen?».

Es sei schwierig, sich vorzustellen, dass dieser Kampf Davids gegen Goliath, wie ihn die Gewerkschaften gerne darstellten, immer gleich ausgehen werde, so der Kommentator. «Ob sie es will oder nicht, die Waadtländer Regierung hat sich in eine Logik der versteckten Erpressung hineinmanövriert, die sie einholen könnte.»

Am Dienstag hat der Pharmakonzern Novartis angekündigt, seinen Standort in Prangins im Kanton Waadt nicht zu schliessen und die 320 Stellen nicht abzubauen.

Novartis will in den nächsten Jahren sogar «namhafte Beträge» in die Modernisierung der dortigen Fabrik stecken.

Novartis wird im Gegenzug allerdings Steuererleichterungen des Kantons Waadt erhalten.

Zudem verzichten die Angestellten auf einen Teil der für das laufende Jahr vereinbarten Lohnerhöhung. 

Rund 160 im Gesamtarbeitsvertrag Beschäftigte erhöhen ihre Arbeitszeit von 37,5 auf 40 Wochenstunden.

In Basel sollen etwa 250 der ursprünglich betroffenen 760 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühpensioniert, ein weiteres Drittel intern umplatziert werden.

(Quelle: sda)

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