Pensionskassen in der Krise
Die Gewerkschaften steigen auf die Barrikaden: Eine Sanierung der kriselnden Pensionskassen dürfe nicht auf dem Buckel der Rentner und Rentnerinnen erfolgen.
In den nächsten Wochen soll die Landesregierung ihre Reform-Vorschläge vorlegen. Die Debatte läuft schon jetzt auf Hochtouren.
Die Sanierung der Pensionskassen darf nicht auf Kosten der Pensionierten vollzogen werden. Das ist die Quintessenz einer Medienkonferenz des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) am Montag in Bern.
Seit rund drei Jahren haben die auf den Anlagemärkten erlittenen Verluste den Reserven der Vorsorge-Einrichtungen arg zugesetzt. Viele der Kassen weisen eine Unterdeckung auf.
Seit Monaten sorgt das Thema schon für Schlagzeilen. Zahlreiche Reformvorschläge wurden in die Runde geworfen, sowohl in der Welt der Politik als auch in der Wirtschaft.
30 bis 40 Prozent der Kassen in Unterdeckung
Gemäss Gesetz muss in der Schweiz jede Vorsorge- Einrichtung die Guthaben ihrer Versicherten im Falle einer Schliessung der Institution zu jedem Zeitpunkt sicher stellen können.
Im Sommer letzten Jahres waren 26% der Kassen nicht in der Lage, diese Forderung zu erfüllen. Trotz der im Herbst per Dringlichkeitsbeschluss verfügten Senkung des obligatorischen Mindest-Zinssatzes auf Vorsorge-Guthaben von 4 auf 3,25% hat sich die Lage weiter verschlechtert.
Nach jüngsten Schätzungen sollen sich in der Schweiz 30 – 40% der Pensionskassen heute in Unterdeckung befinden.
«Es sind die Arbeitgeber, welche die Zweite Säule auf politischer Ebene zu Lasten der Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung (AHV) aufgezwungen haben. Also ist es an ihnen, die durch die Börsenverluste der Vorsorgeeinrichtungen nötigen zwei Drittel der Sanierungsbeiträge zu leisten», findet SGB-Sekretärin Colette Nova.
«Der Umstand, dass sich eine Pensionskasse in Unterdeckung befindet, hat nicht eine Kürzung der Leistungen zur Folge», beschwichtigt seinerseits Jürg Brechbühl, Vize-Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) in Bern.
Die Rendite der Wertschriften-Portfolios bei den Pensionskassen hat sich über die letzten drei Jahre ganz klar als katastrophal erwiesen. Allein im Jahr 2002 beliefen sich die Verluste laut Angaben der Genfer Zeitung «Le Temps» auf schätzungsweise 40 Milliarden Franken.
Reserven schmelzen, um Verluste aufzufangen
Um die auf den Märkten erlittenen Verluste zu überbrücken, sahen sich die Kassen gezwungen, auf ihre Reserven zurück zu greifen. In einem Ausmass, dass diese sich heute in Schieflage befinden.
Dagegen liegt die Rendite eben dieser Wertschriften-Portefeuilles in den letzten 10 bis 15 Jahren über dem für diese Zeit geltenden obligatorischen Minimalertrag von 4%.
Die Turbulenzen der Finanzmärkte nehmen kein Ende. Letzten Freitag sank der Schweizer Standardwerte-Index SMI auf 3900 Punkte, der niedrigste Stand seit 1996.
Bedeutet diese Verschlechterung, dass der bröckelnden Fassade des helvetischen Rentensystems schlussendlich der Einsturz des ganzen Gebäudes droht? Gewisse Risiken bestehen.
Vorschläge in rauen Mengen
Politikerinnen und Politiker, Vertreter von Pensionskassen und Unternehmen überlegen sich, mit welchen Mitteln dieser tragische Schluss zu vermeiden wäre. Und die Vorschläge überborden.
Eine erste Idee besteht darin, den privaten Pensionskassen zu bewilligen, in Unterdeckung zu bleiben, wie dies bereits bei den öffentlichen Pensionskassen der Fall ist.
Dieser Idee scheint die Landesregierung den Vorrang zu geben, denn die Massnahme figuriert in der Revision des Berufsvorsorge-Gesetzes (BVG), die im Juni vors Parlament kommt.
Immer unter der Voraussetzung, dass die betroffene Kasse die Zustimmung der zuständigen kantonalen Behörde erhalten hat, und dass Sanierungsmassnahmen eingeleitet sind.
Die Arbeitgeber ihrerseits sind der Ansicht, dass eine neue «bedeutende» Senkung des auf den Kassenguthaben garantierten Minimalzinssatzes die Situation entscheidend verbessern könnte.
Die Schweizer Wirtschaft könnte dafür büssen
Ein anderer Vorschlag sieht vor, die Beiträge zu erhöhen, auf Seite der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Dies würde aber die Kaufkraft der Haushalte und die Investitions-Kapazitäten der Unternehmen weiter belasten.
Unter den derzeitigen Bedingungen riskiert man mit einem solchen Vorgehen, die wirtschaftliche Erholung merklich zu verlangsamen.
Ebenfalls in die Runde geworfen wurde der Vorschlag einer Senkung der Rentenzahlungen. Und der Bundesrat könnte vorschlagen, auf den Renten einen Sonderbeitrag zu erheben, um das System zu sanieren.
Diese zwei Vorschläge lösen aber Stöhnen aus, denn es wären vor allem Rentner und Rentnerinnen, die damit für die Börsen-Exzesse der späten 90er Jahre gerade stehen müssten.
Alte Bundes-Pensionskassen in Schwierigkeiten
Ein anderes Problem, mit dem sich die Regierung befassen muss, sind die Kassen der ehemaligen Monopolbetriebe wie SBB, Post und Swisscom, die in privatrechtliche Unternehmen umgewandelt wurden.
Anders als die privaten Pensionskassen hatten die Kassen der einstigen Bundesbetriebe keine Deckungsvorschrift – allfällige Lücken waren von der Staatsgarantie gedeckt.
Die Betriebe und damit ihre Kassen wurden zu einem Zeitpunkt unabhängig, als die Börsen weltweit bereits langsam in den Abwärtsstrudel gerieten. Nun erklären die Kassen, ihnen fehlten die Schwankungsreserven.
Zum Beispiel die Bundesbahnen (SBB): Letzte Woche gab deren Pensionskasse bekannt, dass sie noch über einen Deckungsgrad von 80,5% verfüge. Und forderte den Bund auf, einzuspringen, um die Lücke in Höhe von 2,7 Mrd. Franken zu füllen.
Doch davon will der Bundesrat nichts wissen. Wenn er den SBB unter die Arme greifen würde, so das Argument, müsste er dies auch mit der Post oder der Swisscom tun, die sich in der gleichen Lage befinden.
Auch wenn der Kompensationsfonds rechtlich für die Beiträge aufkommen müsste, falls eine Kasse ihren Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht mehr nachkommen kann, sind seine Schatullen nicht unerschöpflich. Vor allem wenn man an die derzeitige Börsen- und Finanz-Performance denkt.
Reformen werden wehtun
Um Reformen wird die Schweiz nicht herumkommen. Und wie immer, wenn eine Reform wegen wirtschaftlicher Notlage ansteht, werden die Änderungen schmerzlich sein. Die Kassen-Chefs sehen auf jeden Fall vorerst weitere Schwierigkeiten.
«Wir erwarten vom Staat, dass er entscheidet, welche Massnahmen zulässig sind und welche nicht», erklärt Raymond Schmutz, Professor an der Handelshochschule der ETH Lausanne und Mitarbeiter der HPR, einer Gesellschaft, die Pensionskassen berät.
Zumindest bis Mitte April wird die Debatte auf jeden Fall weitergehen. Dann will die Landesregierung ihre Gesetzes-Revision vorstellen. Und danach geht die Diskussion sicher weiter.
swissinfo, Jean-Didier Revoin und Elvira Wiegers
Seit Monaten sorgt das Thema Pensionskassen in der Schweiz für Schlagzeilen. Die andauernd schlechte Börsenlage drückt auf die Reserven der Vorsorge-Einrichtungen. Viele Kassen verfügen nicht mehr über die notwendige Deckung.
Nun steigen die Gewerkschaften auf die Barrikaden: Eine Sanierung der kriselnden Pensionskassen dürfe nicht auf dem Buckel der Rentner und Rentnerinnen erfolgen. Die Gewerkschaften reagieren damit auf Sanierungs-Vorschläge der letzten Monate.
In den nächsten Wochen soll die Landesregierung ihre Reform-Vorschläge vorlegen. Die Debatte läuft schon jetzt auf Hochtouren. Zahlreiche Reformvorschläge wurden bereits in die Runde geworfen, sowohl aus den Reihen der Politik als auch der Wirtschaft.
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