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SBB-Präsidentin Monika Ribar: «Ich halte nichts von Frauenquoten»

Monika Ribard am Redepult
Monika Ribard hält nichts von einer Frauenquote. Keystone / Alessandro Della Valle

Monika Ribar, Verwaltungsratspräsidentin der SBB und ehemalige CEO von Panalpina, hat für ihre Karriere "auf vieles verzichtet". Sie ist gegen Frauenquoten in Führungsgremien, glaubt aber, dass es einen Mentalitätswandel braucht, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt voranzutreiben.

Nur wenige Frauen in der Schweiz haben eine vergleichbare Karriere gemacht wie Monika Ribar, die derzeitige Verwaltungsratspräsidentin der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Und dies umso mehr, als sie eine ganze Reihe von operativen Stufen erklommen hat, ohne aus einer grossen Eigentümerfamilie zu stammen.

SWI swissinfo.ch traf Monika Ribar in den Zürcher Büros der SBB zu einem Gespräch über die Herausforderungen bei der Erreichung eines besseren Gleichgewichts zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt.

Monika Ribar, geboren 1959, schloss ihr Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen mit dem Lizenziat ab.

Nach beruflichen Stationen bei der Fides-Gruppe (heute KPMG Schweiz) und der BASF-Gruppe wechselte Monika Ribar 1991 zu Panalpina. Beim Basler Logistikkonzern hatte sie verschiedene Führungspositionen inne, unter anderem als Chief Information Officer (CIO) und Finanzchefin (Group CFO), und war von 2006 bis 2013 CEO.

Seit 2014 ist sie Verwaltungsratsmitglied und seit 2016 Verwaltungsratspräsidentin der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Sie ist zudem Mitglied des Verwaltungsrats von Sika und war Mitglied des Verwaltungsrats von Chain IQ Group AG, Logitech, Swiss International Airlines, Julius Bär, Rexel und Lufthansa.

SWI swissinfo.ch: Sind Sie mit der Gleichstellung von Frau und Mann bei der SBB zufrieden?

Monika Ribar: Die aktuelle Situation ist nicht schlecht und hat sich verbessert, aber ich kann nie ganz zufrieden sein, denn es ist eine Aufgabe ohne Ende. Im Verwaltungsrat sind bereits vier von neun Mitgliedern Frauen, in der Generaldirektion sind es hingegen nur zwei von neun. Aber das Wichtigste ist, dass wir es nie für nötig befunden haben, eine Frau einzustellen, wenn sie nicht über alle erforderlichen Fähigkeiten verfügt.

Bezogen auf alle Ihre Mitarbeiter:innen, schlägt sich diese Verbesserung auch in den Zahlen nieder?

Auf jeden Fall. Im Jahr 2008 hatten wir einen Frauenanteil von 13,9 Prozent, heute sind es 19 Prozent, obwohl viele unserer Berufe sehr körperbetont und eher für Männer geeignet sind. Bei den Führungskräften ist der Frauenanteil im gleichen Zeitraum von 7,6 Prozent auf 16 Prozent gestiegen.

Was halten Sie von dem GesetzExterner Link, das börsennotierte Unternehmen dazu auffordert, mindestens 30 Prozent (bzw. 20 Prozent) Frauen in ihren Verwaltungsräten (bzw. in den Geschäftsleitungen) zu haben?

Ich halte nichts von Frauenquoten und generell nichts von der Idee, alles per Gesetz zu regeln. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass die Unternehmen vom Mehrwert der Frauen überzeugt sind. In Verwaltungsräten zum Beispiel können Frauen tatsächlich eine neue Tonalität einbringen. Ich fordere die Unternehmen auf, mindestens zwei Frauen im Vorstand zu haben, denn das gibt ihnen eine gewisse Sicherheit und ermutigt sie, sich stärker zu äussern.

Monika Ribar und die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga
Monika Ribard und die damalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 175-Jahre-Jubiläum der SBB. Keystone / Alexandra Wey

Ursprünglich wurde das Gesetz nur als Anreiz gesehen, doch unter dem Druck der Investor:innen und sogar der Kund:innen wurde es fast zur Pflicht.

Genau aus diesem Grund bin ich gegen eine übermässige Legiferierung, denn der Druck des Marktes wirkt sich in der Regel viel stärker auf börsennotierte oder nicht börsennotierte Unternehmen aus.

In grossen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sind die meisten Verwaltungsratsmitglieder Ausländer:innen. Ist dies ein Vorteil oder ein Problem?

In Bezug auf die Vielfalt ist es ein Vorteil, aber für den Wirtschaftsstandort Schweiz ist es bedauerlich. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass es bei der Credit Suisse neben dem Präsidenten nur ein einziges Schweizer Verwaltungsratsmitglied gab.

Die Zusammensetzung eines Verwaltungsrates ist wichtig; für ein Schweizer Unternehmen wie die SBB ist es wichtig, einen hohen Anteil an Schweizer Mitgliedern zu haben. Ich möchte aber auch einen positiven Aspekt hervorheben: Schweizerinnen, die heute in der Geschäftsleitung sind, werden automatisch zu Kandidatinnen für den Verwaltungsrat.

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Einige wissenschaftliche Arbeiten legen nahe, dass ein hoher Anteil weiblicher Führungskräfte zu besseren Leistungen führt. Was halten Sie davon?

Meiner Erfahrung nach sind gemischte Teams eher in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen, was zu besseren Ergebnissen führt. Der Vorteil von Vielfalt in Führungsteams ist, dass jeder seine Ideen mit denen der anderen vergleichen muss.

Beschränkt sich Vielfalt auf die Gleichstellung der Geschlechter?

Nein, sie umfasst alle Dimensionen der menschlichen Vielfalt, einschliesslich der beruflichen und internationalen Erfahrungen und – im Fall der SBB – der Sprachregionen, aus denen die Menschen stammen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass einige Mitglieder des Verwaltungsrats mit den operativen Details vertraut sind; gleichzeitig ist es ebenso wichtig, dass andere Mitglieder, die mit diesen Details weniger vertraut sind, sich nicht scheuen, unerwartete Fragen zu stellen.

Laut dem «Global Gender Gap Report 2024»Externer Link des Weltwirtschaftsforums (WEF) wird es bei der derzeitigen Fortschrittsrate 134 Jahre dauern, bis die Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist. Warum dauert das so lange?

Das überrascht mich nicht. In 80 Prozent der Länder werden Frauen grundsätzlich nicht als gleichberechtigt mit Männern angesehen. In einigen Fällen haben sie nicht einmal Zugang zu Schulen oder können sich ihren Ehemann nicht aussuchen. All dies ist eher auf gesellschaftliche Verhaltensweisen als auf die Gesetzgebung zurückzuführen. In den USA ist sogar das Abtreibungsverbot immer noch ein Diskussionsthema.

Gemäss demselben Bericht des WEF liegt die Schweiz auf Platz 20 von 146 Ländern. Wie beurteilen Sie diesen Rang?

Die Schweiz hat einen langen Weg zurückgelegt. Erst 1971 erhielten die Frauen das Stimm- und Wahlrecht. Bis 1988 hatten verheiratete Frauen nicht einmal das Recht, ohne Einwilligung des Ehemannes zu arbeiten. Frauenarbeit war verpönt und ist es teilweise immer noch, denn die Gesellschaft ist immer noch darauf ausgerichtet, dass Männer arbeiten und Frauen zu Hause bleiben. Glücklicherweise hat die Schweiz dennoch bedeutende, wenn auch langsame Fortschritte gemacht, vor allem auf der Ebene der Mentalität.

Gemäss dem WEF-Bericht ist eine der grössten Schwächen der Schweiz (Rang 99) das geschätzte Arbeitseinkommen (“estimated earned income”). Wie erklären Sie sich das?

Das ist nicht verwunderlich, denn in der Schweiz arbeiten viele Frauen nur Teilzeit oder gar nicht. Oder sie arbeiten zu tiefen oder gar keinen Löhnen. Schliesslich erlaubt es der Reichtum der Schweiz, dass viele verheiratete Frauen nicht zum Familieneinkommen beitragen müssen, wie dies in vielen anderen Ländern der Fall ist.

Was würden Sie vorschlagen, um die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfalt zu verbessern?

Ich denke da vor allem an gesellschaftliche Veränderungen. Zum Beispiel müssen Unternehmen lernen, Menschen mit Karriereunterbrechungen im Lebenslauf, die in der Regel auf einen drei- bis sechsjährigen Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub zurückzuführen sind, besser zu berücksichtigen. Darüber hinaus bin ich, auch wenn ich liberal bin, für staatliche Unterstützung, insbesondere um die Kosten und den Mangel an Kindertagesstätten auszugleichen. Die Einführung der Individualbesteuerung ist ein weiterer Imperativ.

Bei der SBB können unsere Kolleg:innen von zu Hause aus oder in Teilzeit arbeiten. Wir bieten auch Kurse für Frauen und Männer an, die nach einer Karrierepause wieder in den Beruf einsteigen wollen. Für all diese Initiativen wurden wir als Arbeitgeber:in übrigens mehrfach ausgezeichnet.

Frauen, die Karriere machen wollen, sind oft in Berufsverbänden aktiv, die Frauen vorbehalten sind. Ist das eine gute Idee?

Um Karriere zu machen, ist Networking unerlässlich. Das Networking muss aber nicht unbedingt in Organisationen stattfinden, die nur für Frauen bestimmt sind, wie der Cercle Suisse des Administrarices oder The Boardroom.

Auch das Networking innerhalb des eigenen Unternehmens ist wichtig; ich habe mich während meiner Führungslaufbahn intensiv damit beschäftigt und es hat mir geholfen, mich als Persönlichkeit bekannt zu machen. Einmal war ich sogar mit meinen männlichen Kollegen in einem Club.

Bei diesen internen Networking-Aktivitäten war ich fast immer die einzige Frau: Ich finde es schade, dass meine Kolleginnen sofort nach Hause gehen mussten, um sich um die Kinder zu kümmern, ohne die Möglichkeit zu haben, mit anderen Mitarbeitenden etwas trinken zu gehen.

Welche anderen Ratschläge haben Sie für junge Frauen, die Karriere machen wollen?

Die meisten meiner Ratschläge sind nicht geschlechtsspezifisch. Das Wichtigste ist, dass man das, was man tut, mit Freude tut, denn dann kann man es besser, und das ist der beste Weg, um Karriere zu machen. Ausserdem sollte man ein gesundes Selbstvertrauen und vor allem einen starken Willen haben. Schliesslich muss man authentisch und neugierig sein und darf sich nicht scheuen, auf Menschen zuzugehen.

Ich hatte nie geplant, CEO von Panalpina oder Präsidentin der SBB zu werden, aber ich wollte mich unbedingt einbringen und etwas Grosses erreichen. Dafür war ich bereit, auf vieles zu verzichten. Beispielsweise hatte ich während meiner Führungskarriere einfach nicht die Gelegenheit, unter der Woche mit meinem Mann zu Mittag zu essen oder ins Kino zu gehen.

Ich habe mich nicht bewusst entschieden, keine Kinder zu haben, aber es hat sich so ergeben. Die Mutterschaft hat mir übrigens nie gefehlt, und ich bin überzeugt, dass ich die Karriere, die ich gemacht habe, niemals hätte machen können, wenn ich Kinder gehabt hätte. Das wäre auch heute noch extrem schwierig.

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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