Sistem51: Das Geheimnis hinter dem Swatch-Comeback
Nach einem langen Niedergang könnte Swatch in diesem Jahr einen Verkaufsrekord erreichen. Das Comeback ist der Einführung der "Moonswatch“ zu verdanken, aber auch einer industriellen Innovation. Ein Gespräch mit Damiano Casafina, CEO der Swatch-Tochter ETA SA Manufacture Horlogère Suisse, die dafür verantwortlich ist.
In vielen Wirtschaftszweigen sind Schweizer Unternehmen weltweit für ihre erstklassigen Produkte bekannt. Das gilt insbesondere für Uhren. Die Schweizer Uhrenindustrie versucht jedoch auch, eine Präsenz im unteren Preissegment aufrechtzuerhalten, hauptsächlich dank der Swatch-Uhren.
Obwohl sich das Exportvolumen im unteren Preissegment innerhalb von 20 Jahren halbiert hat (von 22,8 Millionen Stück im Jahr 2000 auf 9,3 Millionen im Jahr 2023), hat die Einführung der «Moonswatch“ vor zwei Jahren, einer erschwinglichen Version (ca. 250 CHF) der Omega Speedmaster Moonwatch, den preisgünstigen Swiss Made-Uhren von Swatch wieder zu neuem Glanz verholfen.
Das Comeback der Marke, die laut Analysten im Jahr 2024 erstmals einen Umsatz von über einer Milliarde Franken erzielen könnte, ist jedoch auch auf eine wichtige industrielle Innovation zurückzuführen, die vor einem Jahrzehnt eingeführt wurde: die vollautomatisch produzierten und zusammengesetzten Sistem51-Uhrwerke. Sie haben in diesem Preissegment eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten.
Die Sistem51-Uhrwerke werden von der Firma ETA, einem der industriellen Arme der Swatch Group, hergestellt. ETA beschäftigt in der Schweiz etwa 6000 Personen und ihre Sistem51-Uhrwerke werden in allen mechanischen Uhren der Marke Swatch verwendet, einschliesslich der Scuba Fifty Fathoms-Modelle, die aus einer Zusammenarbeit zwischen Swatch und Blancpain hervorgegangen sind.
Im Industriepark der Produktionsgesellschaften der Swatch Group in Boncourt im Kanton Jura hat Damiano Casafina, CEO von ETA, SWI swissinfo.ch zu einem Interview empfangen.
Damiano Casafina trat 2018 in die Swatch Group ein. Seit 2021 leitet er die ETA SA Manufacture Horlogère Suisse. Die Swatch-Tochter hat sich auf neue Industrialisierungstechnologien spezialisiert. Sowie auf die Herstellung von Quarz- und mechanischen Swiss-Made-Uhrwerken. Das Unternehmen zählt 16 Produktionsstätten in den Ausläufern des Jura sowie in den Kantonen Wallis und Tessin.
Zuvor arbeitete Casafina hauptsächlich für das Unternehmen Röhm (Spanntechnik) in einer Vielzahl von Ländern: Mexiko, Grossbritannien, Polen, Frankreich, Ungarn, Singapur, China, Deutschland und der Schweiz.
SWI swissinfo.ch: ETA empfängt sehr selten die Presse ‒ zum Schutz der Geheimnisse der Uhrmacherei?
Damiano Casafina: Die Uhrmacherei ist nicht so verschlossen, wie es scheint. Aber es ist nicht die Aufgabe einer Produktionsfirma wie ETA, im Rampenlicht zu stehen, sondern unsere Uhrenmarken müssen im Rampenlicht stehen.
Produktion und Zusammenbau der Sistem51-Uhrwerke sind vollständig automatisiert, wie haben Sie das erreicht?
Die mechanischen Uhrwerke von Sistem51Externer Link, für die 17 Patente angemeldet sind, sind tatsächlich die einzigen auf der Welt, die vollständig automatisch hergestellt und zusammengebaut werden. Das Konzept ist einzigartig und revolutionär. Die technologischen Mittel und Verfahren, die wir einsetzen, sind in der Uhrmacherei einzigartig.
Um das zu schaffen, haben unsere Ingenieure mit einem weissen Blatt Papier begonnen und ein Konstruktionskonzept entwickelt, das auf fünf voneinander abhängigen Modulen basiert. Dadurch konnte die Anzahl der Komponenten drastisch reduziert werden, von 150 für ein einfaches traditionelles mechanisches Uhrwerk auf nur noch 51.
Warum sind diese Uhrwerke in der Branche einzigartig?
Zum Beispiel haben diese Uhrwerke nur noch eine Schraube. Um die meisten Komponenten zu befestigen, verwenden wir Lötverfahren. Um dies zu ermöglichen, haben wir Rohlinge aus Neusilber, einer Legierung aus Kupfer, Zink und Nickel, entwickelt. Dieses Material ermöglicht nicht nur das Schweissen, sondern hat auch den Vorteil, dass es keine galvanische Behandlung gegen Korrosion braucht.
Das Schweissen kann nicht rückgängig gemacht werden. Wie stellen Sie sicher, dass während des Zusammenbaus keine Fehler auftreten?
Wir kontrollieren die Qualität in jeder Phase und bei jedem Bauteil. Wir haben einen Prozess entwickelt, bei dem jedes Zwischenstück fotografiert wird und Algorithmen diese Fotos auf mögliche Fehler hin analysieren.
Wenn ein Problem auftritt, passt ein Operator oder eine Operatorin die Maschinen sofort an, z. B. indem er oder sie ein abgenutztes Werkzeug austauscht.
Was sind die Schlüsselkompetenzen, um eine solche Automatisierung erfolgreich durchzuführen?
Was am meisten zählt, sind die menschlichen Fähigkeiten. Deshalb ist eine sehr spezifische Ausbildung wichtig, auch für unsere Lehrlinge, die bei uns exklusive Verfahren erlernen können. Glücklicherweise gibt es in der Region Jura viele hochqualifizierte Menschen, und wir beschäftigen auch viele Kollegen aus dem Grenzgebiet.
Wie wirkt sich die Automatisierung von Produktion und Montage auf die Beschäftigung aus?
Die vollständige Automatisierung hat keineswegs die Beschäftigung reduziert, aber die Berufe haben sich verändert. Ich denke da an Berufe wie Mechaniker, Polymechaniker, Automatiker, Qualitätsprüfer und Mechamatiker.
Hat die vollständige Automatisierung Auswirkungen auf den Anteil der ausgelagerten Komponenten, z. B. in Asien?
Die Swatch Group produziert fast alles intern, was für ein Unternehmen, das sich ganz der Uhrenindustrie verschrieben hat, mit grossen Stückzahlen und einer breiten Palette an ergänzenden Produkten logisch ist. Mit anderen Worten: Die Automatisierung hat den Grad der Auslagerung von Komponenten nicht beeinträchtigt. Selbstverständlich erfüllen die Uhrwerke von Sistem51 die Swiss-Made-Kriterien und werden vollständig in der Schweiz produziert und zusammengebaut.
Könnte die Swatch Group ein vollautomatisches Produktions- und Montagesystem im Ausland aufbauen?
Diese Frage stellt sich nicht einmal. Die Swatch Group ist ein Schweizer Unternehmen mit Produktionsstätten in der Schweiz, das qualitativ hochwertige Uhren herstellt. Warum sollten wir etwas im Ausland tun, wenn wir es hier in der Schweiz perfekt beherrschen?
Wie verhindern Sie, dass Ihre Konkurrenten die Automatisierung nachahmen?
Um eine solch revolutionäre Entwicklung zum Erfolg zu führen, braucht es Hunderte von hochqualifizierten Menschen, die daran arbeiten und eine Vielzahl von Problemen lösen. Die Investitionen waren gigantisch und das reicht wahrscheinlich schon aus, um unsere Konkurrenten zu entmutigen.
Bisher hat jedenfalls noch niemand Sistem51 nachgeahmt. Im Übrigen gibt es selbst bei den traditionellen Uhrwerken nur sehr wenige Schweizer Uhrenfirmen, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben.
Können Sie die Investitionen beziffern, die für die Einrichtung des Sistem51 einschliesslich der Produktions- und Montageanlage erforderlich waren?
Wir kommunizieren diese Zahlen nicht, aber es handelt sich um einen zweistelligen Millionenbetrag, wie Sie sich gut vorstellen können.
Könnte man die Sistem51-Uhrwerke auch in hochwertigeren Uhren verwenden?
Das Sistem51-Uhrwerk wurde speziell für die Marke Swatch entwickelt. Es ist nicht vorstellbar, es für hochwertige Uhren zu verwenden. Dennoch haben wir bei der Industrialisierung des Sistem51 viel gelernt, das anderen Unternehmen in unserem Konzern zugutekommt.
Beispielsweise können wir dank des Sistem51 nun Gangreserven von 90 Stunden erreichen, die Chronometrie per Laser einstellen (mit einer Genauigkeit von -5 bis +15 Sekunden pro Tag) oder die Stabilität der Genauigkeit im Laufe der Zeit gewährleisten.
Wäre es denkbar, dass ETA automatische Produktions- und Montagedienstleistungen für andere Branchen erbringt?
Auch wenn wir regelmässig Anfragen von anderen Unternehmen erhalten, konzentrieren wir uns auf das, was wir am besten können, nämlich Uhren.
Wer sind die Hauptkonkurrenten der Swatch-Uhren?
In ihrem Segment der Swiss-Made-Uhren hat Swatch keine Konkurrenz und ist allein an der Spitze, unter anderem dank der einzigartigen technologischen Innovationen und Leistungen. Wer Swatch sagt, meint damit auch grosse Flexibilität und Kreativität in Bezug auf Dekors und Volumen.
In Bezug auf den letzten Punkt kann ich Ihnen auch versichern, dass alle unsere Fabriken auf Hochtouren laufen, nicht nur die, die an der Herstellung der MoonSwatch-Uhren beteiligt sind.
Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger
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