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Umstrittene Frühpensionierung

Frühpensionierungen verstärken die Auswirkungen der demografischen Entwicklung. swissinfo.ch

Generalstreik am Dienstag in Österreich, kommende Woche in Frankreich. Der Kampf um die Altersvorsorge spitzt sich europaweit zu. Im Visier der Reformer: Die Frühpensionierung.

Ganz anders in der Schweiz: Nach dem Willen des Nationalrats sollen mehr Arbeitnehmer von der Frühpensionierung profitieren können.

Die Ausgangslage ist klar: Männer und Frauen sollen in einem gewissen Rahmen selbst entscheiden können, wann sie sich aus dem Arbeitsleben zurückziehen und in Rente gehen.

In der Schweiz ist diese Frühpensionierung mit finanziellen Einbussen verbunden. Damit sich auch die unteren und mittleren Einkommens-Schichten den frühzeitigen Ruhestand leisten können, sollen deren Renten weniger stark gekürzt werden als diejenige der besser Verdienenden. 400 Mio. Franken will der Nationalrat dafür bereitstellen.

Die kleine Kammer, bürgerliche Politiker und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen vermehrte Frühpensionierungen. Dies gefährde die langfristige Finanzierbarkeit der AHV. Deshalb sollten auch keine Anreize geschaffen werden, frühzeitig aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Wenn Flexibilisierung, dann nach oben in Richtung Erhöhung des Rentenalters.

Arbeitsame Schweizer

Mit dieser Debatte um die soziale Abfederung der Frühpensionierung steht die Schweiz etwas quer da in Europa. Denn fast überall kämpfen die Arbeitnehmerverbände um Besitzstandwahrung, und fast überall ist der frühzeitige Ruhestand weit aus häufiger als in der Schweiz.

Mit einer Erwerbsquote von rund 68% nimmt die Schweiz im europäischen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Über 75% der 50-64-Jährigen sind erwerbstätig. Nur in Schweden ist die Erwerbsbeteiligung noch höher.

In den Nachbarländern der Schweiz ist es meist nur noch eine Minderheit, die bis zum regulären Rentenalter arbeitet. Die Erwerbsquote der 50-64-Jährigen beträgt in Italien 41%, in Österreich 46%, in Frankreich 53% und in Deutschland 56%.

Die Schere öffnet sich

Das Ausmass an Frühpensionierungen belastet die Altersvorsorge vieler Länder. Denn das durch die demographische Entwicklung bereits ungünstige Verhältnis zwischen Rentenbezügern und Beitragszahlern wird zusätzlich verschlechtert. In Italien mit einer Geburtenrate von 1,2 pro Frau wird es 2030 weit mehr ältere Menschen als junge Beitragszahler geben.

Im Dezember warnte die EU-Kommission vor einer Rentenkatastrophe, falls die Vorsorgesysteme der Mitgliedsländer nicht wirksam reformiert würden. An den EU-Gipfeln von Lissabon und Stockholm wurde beschlossen die Erwerbsquote auf 70% zu erhöhen.

Sorgen bereiten zudem die Auswirkungen der öffentlichen Vorsorge auf die Staatshaushalte. In Österreich fliesst bereits 15% des Bruttoinlandprodukts in das staatliche Rentensystem, in Italien sind es 14%, in Frankreich und Deutschland je 12%.

Abwehrschlacht

In Österreich sind nun drastische Reformen angesagt. Bis in zehn Jahren werden die Frühpensionierungen abgeschafft beziehungsweise mit Abzügen belastet. Denn wer bisher frühzeitig in Rente ging, musste kaum finanzielle Einbussen in Kauf nehmen. Neurentner sollen 13,5% weniger Rente bekommen.

Der Gewerkschaften haben mit einem «Abwehrstreik» auf das Reformvorhaben reagiert. Der grösste Streik seit 50 Jahren hat am Dienstag das öffentliche Leben praktisch lahmgelegt.

In Frankreich hat die Regierung die Rentenreform zu ihrem wichtigsten Projekt für 2003 erklärt. Im Visier der Reformer sind die Privilegien des öffentlichen Dienstes, der immerhin über 20% aller Arbeitnehmer beschäftigt.

Während Angestellte der privaten Betriebe nach 40 Jahren rund zwei Drittel ihres letzten Lohnes erhalten, bekommen Beamte nach 37,5 Jahren 75% ihres vorherigen Verdienstes. Beamte sollen nun den Privaten gleichgestellt und die Beitragsjahre bis 2020 auf 42 Jahre erhöht werden.

Die französischen Staatsangestellten geben ihren Besitzstand indes nicht kampflos preis: Am 13. Mai ist ein Generalstreik geplant.

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Wer sich in der Schweiz vor dem 65. Altersjahr pensionieren lässt, muss empfindliche Einbussen hinnehmen. Bei Männern wird pro Jahr ein Abschlag von 6,8% fällig. In Deutschland sind es 3,6%.

Das Vorsorgesystem der Schweiz beruht auf dem Drei-Säulen-Prinzip:

Der Grundrente (AHV), der obligatorischen beruflichen Versicherung und der individuellen Vorsorge.

Durch die Mischung der verschiedenen Elemente (Umlagesystem, individuelles Alterskapital) ist das Modell weniger anfällig.

Das Drei-Säulen-Modell gilt vielerorts als Vorbild.

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