Umstrittene IV-Revision im Parlament
Der Nationalrat beginnt am Montag mit den Beratungen zur 5. Revision der Invaliden-Versicherung. Ziel ist es, die Sozialversicherung finanziell zu sanieren.
Bei der Gesetzes-Revision handelt es sich um ein komplexes Projekt. Die Ratslinke und die Rechte werden sich in den Debatten nichts schenken.
Die finanziellen Schwierigkeiten der Invalidenversicherung (IV) haben zu Beginn der 1990er-Jahre begonnen. Seither vergrössert sich das Defizit von Jahr zu Jahr.
Im Jahr 2005 belief sich der Verlust auf 1,738 Mrd. Franken. Das kumulierte Defizit beträgt per Ende 2005 7,774 Mrd. Franken.
Das Defizit erklärt sich durch die Tatsache, dass es in der Schweiz immer mehr IV-Rentnerinnen und –Rentner gibt. Das härtere Klima in der Arbeitswelt hat vor allem die Zahl der aus psychischen Gründen von der IV abhängigen Menschen ansteigen lassen.
Höhere Lohnabzüge
Angesichts dieser Situation hat die Landesregierung reagiert. Mit der 5. IV-Revision soll die Versicherung saniert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, will der Bundesrat die Zahl der Neubezüger im Vergleich zu 2003 um 20% senken. Der Schwerpunkt liegt dabei auf strengeren Vorsorgeuntersuchungen und auf der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt.
Im Weitern soll der so genannte «negative Ansporn» ausgemerzt werden. Das heisst: Das Beziehen einer Rente soll in keinem Fall mehr lukrativer sein als arbeiten.
Neben Einsparungen sieht die Revision auch eine Erhöhung der Einnahmen vor. So sollen die Lohnabzüge von derzeit 1,4% auf 1,5% angehoben werden. Damit würden jährlich rund 303 Mio. Franken mehr in die Kassen der IV fliessen.
Opposition garantiert
Der Bundesrat plant überdies eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,8 Prozentpunkte. Das würde im Jahr 2008 Mehreinnahmen von 1,7 Mrd. und im Jahr 2025 solche von 2,7 Mrd. Franken bringen.
Das Parlament wird sich allerdings erst dann mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer befassen, wenn die 5. IV-Revision abgeschlossen ist.
Linke und Gewerkschaften, aber auch die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) haben angekündet, dass sie mit der bundesrätlichen Vorlage nicht einverstanden sind.
So wollen die Gewerkschaften die Arbeitgeber in die Pflicht nehmen. Eine gesetzlich festgelegte Quote soll dafür sorgen, dass mindestens 1% der Belegschaft Menschen mit einer Behinderung sind. In der Bundesverwaltung soll die Quote 4% betragen.
Rechte gegen Quoten
Die Revision erhöhe den Druck auf die Versicherten massiv, bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt aktiv mitzuwirken, sagte Colette Nova, geschäftsführende Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
Bei den Arbeitgebern werde dagegen auf Freiwilligkeit gesetzt. Dies sei nicht nur politisch unausgewogen und psychologisch ungeschickt. Es sei auch unlogisch und widerspreche jeder Erfahrung. Die Arbeitgeber hätten eine immer tiefere Bereitschaft, Menschen mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit zu beschäftigen.
Die politische Rechte hält in der Regel nichts von Quoten. Deshalb sind lange und bewegte Debatten absehbar. Dazu kommt, dass auch die SVP, welche seit langem den «Missbrauch» der IV anprangert, Abänderungsanträge einbringen wird.
So will sie die Kinderrenten halbieren, sämtliche, also auch bereits bewilligte Renten überprüfen, ein Fahrverbot bei unklarem IV-Grund und die Reduktion des garantierten Taggelds für Junge.
swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)
Die Invalidenversicherung ist Teil des schweizerischen Sozialversicherungssystems und wurde 1959 beschlossen.
Sie ist für alle in der Schweiz wohnhaften Personen obligatorisch.
Sie wird mit Lohnabzügen von 1,4% finanziert und vom Bund zusätzlich finanziert.
Seit Anfang der 1990er-Jahre steckt sie wegen der stark angestiegenen Zahl an IV-Bezügern in den roten Zahlen.
Die Landeregierung wollte die IV mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt sanieren. Das Stimmvolk hat das Begehren am 14. Mai 2006 abgelehnt.
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