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Wie Rolex dank Diskretion zur Branchenkönigin wurde

Rolex Gebäude in Biel
Der Rolex-Produktionsstandort in Biel. KEYSTONE

Wie konnte Rolex die Welt erobern? Ein neues Buch erzählt von einer schwierigen Recherche und geschicktem Marketing. Es beschreibt auch ein düsteres Kapitel.

1977, mitten in der Uhrenkrise, kauft Rolex für 15 Millionen Dollar ein Gebäude im Zentrum von New York. Während Konkurrentinnen wie Longines und Omega zusammenbrechen, glaubt Rolex fest an die Zukunft.

Und tatsächlich geht die Marke fast unbeschadet aus der Krise hervor. Ihre Rettung verdankt sie der “Oyster”, dem legendären Automatikmodell, auf dem die Rolex-Saga gebaut ist. Der Zeitmesser erweist sich als Rettungsanker in stürmischer Zeit. Für andere Hersteller beginnt der Untergang, weil ihre Kollektionen nicht für die Massenproduktion geeignet sind.

Rolex schafft es zudem äusserst geschickt, Werbung zu lancieren, die auf den persönlichen Erfolg fokussiert. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, des Wirtschaftsaufschwungs dieser Jahre und von beliebten “Vom Tellerwäscher zum Millionär”-Geschichten, treffen diese Werte auf fruchtbaren Boden. Hier beginnt der Siegeszug der gekrönten Marke.

Auf sekundäre Quellen angewiesen

Pierre-Yves Donzé
Forsche Pierre-Yves Donzé: “Aus Hans Wilsdorf hat man nachträglich einen Steve Jobs gemacht.” zvg

Das Phänomen der Uhrenfirma weckte die Neugier des Schweizer Historikers Pierre-Yves Donzé. Er wollte erkunden, warum es gerade dieses Unternehmen geschafft hat, die Konkurrenz dermassen in den Schatten zu stellen. Der Autor ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Osaka in Japan. Sein Spezialgebiet ist die Uhrenindustrie.

Das Problem im Vorfeld des Buchprojektes war die Verschwiegenheit von Rolex: Das Unternehmen hält seine Archive auch für Fachleute unter Verschluss. Der Hersteller ist nicht an der Börse kotiert. Über seine Geschichte wird nicht kommuniziert. Es gibt weder ein eigenes Museum noch Bücher zur Firmengeschichte. Nicht einmal Jubiläen werden gefeiert.

Deshalb schreibt der Historiker in seinem Werk “La fabrique de l’excellence”: “Rolex hat keine Geschichte, denn die Marke ist nicht der Zeit unterworfen. Sie bewegt sich ausserhalb dieser Dimension und existiert als Mythos mit geradezu religiösem Nimbus.”

Pierre-Yves Donzé begann 2019 mit seinen Recherchen. Vonseiten Rolex durfte er Einsicht in die Geschichte nicht erwarten, aber das tat seiner Wissbegier keinen Abbruch. Im Gegenteil, der Forscher vergleicht sein Vorgehen mit der Erkundung des Mittelalters: “Dort stehen manchmal auch nur ein oder zwei Pergamente zur Verfügung.”

Unter diesen Umständen bringt Donzé sogenannte sekundäre Quellen ins Spiel. Dazu gehören alte Firmenregister und Unterlagen von Gewerkschaften oder Berufsverbänden der Uhrenbranche. Dafür musste der Forscher tief in die Archive von Unternehmen, Kantonen und Bund steigen. Die Erschliessung dieser Zeitdokumente war mit hohem Zeitaufwand und zahlreichen Reisen verbunden. Pierre-Yves Donzé erkennt in der mühseligen Kleinarbeit aber Vorteile: “Der Prozess lässt die Dinge reifen.”

Rolex-Geschichte fusst auf einem Mythos

Die Geschichte von Rolex, wie sie vom Marketing erzählt und von Sammlern in Artikeln und Blogs verbreitet wird, beruht auf einem Gründungsmythos: Am Anfang standen das Genie eines Unternehmers und seine aussergewöhnlichen Erfindungen. Firmengründer Hans Wilsdorf (1881–1960) wurde mit zwölf Jahren Vollwaise und verkaufte als junger Mann Uhren in England. Er träumte davon, ein wasserdichtes Modell zu bauen.

Hans Wilsdorf
Markengründer Hans Wilsdorf.

Die Zwischenkriegszeit wird zur entscheidenden Epoche für die Verbreitung der Armbanduhr. Im Gegensatz zur bewährten Taschenuhr sind die neuen Zeitmesser vermehrt mechanischen Belastungen, Feuchtigkeit und Staub ausgesetzt.

Prompt entwickelt Wilsdorf 1926 die “Oyster”. Eine bemerkenswerte Geschichte, die in ihrer Kürze fast zu schön klingt, um wahr zu sein. Das sagt auch Pierre-Yves Donzé. Er weist nach, dass die Idee der wasserdichten Uhr bereits Jahrzehnte im Raum gestanden hat. Zudem ist die “Oyster” anfangs nur ein Modell unter vielen, denn Rolex hat sich noch nicht für ein Produkt entschieden. “Aus Hans Wilsdorf hat man nachträglich einen Steve Jobs gemacht”, sagt Donzé. Der spätere Uhrenpatron werde als geniale Figur überhöht, die eines Tages aufstand und befand: “Ich baue eine wasserdichte Automatikuhr.”

In Wirklichkeit seien technische Meilensteine stets die Frucht kollektiven Bemühens, sagt der Historiker. Er erinnert an die Familien Aegler und Borer, die an der Entwicklung der Rolex-Uhren in der Bieler Fabrik beteiligt waren, auch wenn diese Persönlichkeiten heute nicht mehr im Licht der Öffentlichkeit stehen.

Die gekrönte Marke beschäftigt in der Pionierzeit viele Zulieferer. Etliche Patente für wasserdichte Uhrengehäuse kauft Rolex gleich selbst im Schweizer Jurabogen ein. Schon zu Anfang spielt die Werbung eine wichtige Rolle. “Der Aufstieg der Marke Rolex zeigt beispielhaft, wie sich Innovation in einem günstigen industriellen Umfeld mit unternehmerischen Chancen entwickeln kann. Vom Genie, das aus dem Nichts auftaucht, kann keine Rede sein”, unterstreicht Pierre-Yves Donzé.

Werbung Rolex Oyster
Frühe Werbung für die 1926 entwickelte, wasserdichte Rolex Oyster. zvg

Tatsächlich ist Rolex bis in die 50er-Jahre ein mittelgrosses Unternehmen, das den Strategien seiner Konkurrenten folgt, um seinen Platz in der Schweizer Uhrenindustrie zu behaupten. Die Firma setzt in erster Linie auf Qualität und Präzision. Die Uhrwerke werden in Biel hergestellt, während Montage und Vertrieb in Genf angesiedelt sind.

Rolex-Saga nimmt legendäre Dimensionen an

Die Rolex-Saga nimmt in den 60er-Jahren unter André Heiniger, dem Nachfolger von Hans Wilsdorf, geradezu legendäre Dimensionen an. Dabei wird er von der amerikanischen Werbeagentur J. Walter Thompson (JWT) unterstützt. “Eine denkwürdige Konstellation zwischen Genf und New York”, so Pierre-Yves Donzé.

Zweifellos stellt Rolex seit jeher hervorragende Uhren her. Aber das reicht noch nicht für das Prädikat der Exzellenz. Genau wie Omega, Longines oder Zenith nimmt Rolex an Chronometrie-Wettbewerben teil.

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Alle stehen im Wettstreit um die präziseste Armbanduhr. Aber diese Auszeichnung begründet alleine noch keinen Mythos. Erst die meisterhaft orchestrierte Kommunikation der Agentur JWT begleitet den Namen Rolex auf dem Weg zur Ikone.

Seit den 50er-Jahren stützt sich die Identität der Schweizer Luxusmarke auf eine Botschaft mit drei Säulen: aussergewöhnliche Uhren, erfunden von einem aussergewöhnlichen Mann für aussergewöhnliche Menschen.

Rolex prangt fortan am Handgelenk von prominenten Politikern, Sportlern und Geschäftsleuten, kurzum den Helden ihrer Zeit. “Die Marke verkörpert im Wesentlichen männliche Werte. Sie widerspiegelt das Selbstverständnis des weissen Mannes der oberen Mittelschicht in den Jahren des Wirtschaftswachstums”, heisst es in Pierre-Yves Donzés “La fabrique de l’excellence”.

Rolex beherrscht Kundschaft und Konkurrenz

Rolex hat die Zauberformel des Erfolgs gefunden. Die Marke braucht nicht mehr innovativ zu sein. Wozu auch? Sie pflegt bestehende Kollektionen und erhebt sie zu ikonischen Produkten.

Roger Federer wirbt für Rolex.
Roger Federer wirbt für Rolex.

Rolex beherrscht Kundschaft und Konkurrenz gleichermassen. Der Platz an der Sonne ist ihr für lange Zeit gewiss. Einstweilen kämpfen Hersteller um einen Anteil am Kuchen. Sie setzen auf Massenproduktion von Quarzuhren. Die Swatch trifft den Zeitgeist und macht das Rennen.

Andere erwecken verblichene Prestigemarken erfolgreich zu neuem Leben. Nur die Rolex zieht unangefochten ihre Bahn als Nummer eins. “Zu sagen, man brauche keine Innovation mehr, weil man den Stein des Weisen gefunden zu haben glaubt, kommt nicht ohne eine Portion Unverfrorenheit daher”, kommentiert der Historiker.

Rolex, die Undurchschaubare, hat sich nicht immer bedeckt gehalten, so Donzé. Vor 50 Jahren interessierte sich aber schlicht niemand für Firmengeschichten. Erst in den 80er- und 90er-Jahren begannen Unternehmen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. In der Folge entstanden die ersten Sammlungen und Markenmuseen – ausser bei Rolex.

Wenn Forschung entzaubert

Pierre-Yves Donzé weiss nur zu gut, wie geschichtliche Forschung den Nimbus einer Erzählung entzaubern kann. Das gilt auch für das Rolex-Imperium: “Wer eine Erfolgsgeschichte untersucht, fördert Prozesse zutage, die einen Mythos entzaubern können”, erklärt der Historiker in seinem Buch.

Seine vierjährige Forschungsarbeit hat seinen Blick auf Rolex verändert: “Jetzt verstehe ich besser, was für Aussenstehende wie ein undurchdringliches Gebilde daherkommt.” Donzé bezeichnet das Traditionsunternehmen als “ergiebiges Fallbeispiel für ein betriebswirtschaftliches Seminar”.

Er zeigt sich beeindruckt, wie die verantwortlichen Geschäftsführer stets im Schatten der Marke wirken, getreu der Losung: “Die Heldin heisst immer Rolex.” Bisherige Bücher über das Unternehmen erinnern eher an Uhrenkataloge. Die Menschen und das Geschehen hinter den Kulissen fänden wenig Raum, erklärt Donzé.

Rolex Werbung
Die Heldin heisst immer Rolex: Schaufenster eines Uhrenladens in Zermatt. KEYSTONE / Christian Beutler

Gerne würde Pierre-Yves Donzé den Schleier weiter lüften, denn Rolex sei “nicht nur ein Industrie-, sondern auch ein Finanzimperium”. Diese Dimension bleibe unzugänglich. Dabei werden dem Unternehmen eindrückliche Immobilien-, Bank- und Finanzinvestitionen nachgesagt. “Möglicherweise haben diese Bereiche zeitweise mehr Geld erwirtschaftet als die Uhren selbst”, vermutet Donzé. Wenn es die Quellen erlauben, will er diesem Aspekt in einer künftigen Publikation besondere Aufmerksamkeit widmen.

Das düstere Kapitel von Rolex

Im Buch von Pierre-Yves Donzé findet sich auch eine Abhandlung über düstere Zeiten: 1941 verdächtigten die britischen Behörden Rolex-Gründer Hans Wilsdorf der Kollaboration mit den Nationalsozialisten. Eine Untersuchung der Kriminalpolizei des Kantons Genf kam zu dem Schluss, dass Wilsdorf ein “glühender Verehrer des Hitler-Regimes” sei. “Diese Entdeckung kam für mich überraschend”, sagt der Historiker.

Er hätte gerne mehr darüber erfahren. Aber in den Originalarchiven der Genfer Polizei fand er keine Dokumente für diesen Zeitraum. Ausgerechnet diese Akten wurden nicht aufbewahrt. Womöglich gab es in Genf zu viele Persönlichkeiten, die belastende Kontakte zum deutschen Nazi-Regime und der französischen Vichy-Regierung pflegten.

Das Markenimage von Rolex blieb trotz Wilsdorfs Gesinnung unbeschadet. Dennoch gab es für den Unternehmer wirtschaftliche Konsequenzen: Die britischen Behörden verweigerten den Export seiner Uhren nach Grossbritannien.

Was bei Rolex geschieht, bleibt bei Rolex

Rund 3000 Menschen arbeiten heute in der Rolex-Fabrik in Biel. So wortkarg Rolex kommuniziert, so verschwiegen sind auch die Mitarbeitenden. “Die Firma bietet hervorragende Arbeitsbedingungen. Da wäre es töricht, ein Betriebsgeheimnis mit einer unbedachten Äusserung preiszugeben”, sagt Pierre-Yves Donzé.

Wer bei Rolex als Mitarbeiter einsteigt, bleibt häufig bis zur Pensionierung. Die Mitarbeitenden sind stolz, dort zu arbeiten. Aus Gewerkschaftsquellen geht hervor, dass es in der Firmengeschichte nur zweimal zu Konflikten zwischen der Belegschaft und der Geschäftsleitung kam: zwischen 1916 und 1922 und in den 30er-Jahren.

Dieser Artikel erschien zuerst im Bieler TagblattExterner Link und wird hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Samuel Jaberg

Bringen Sie Schweizer Uhren noch zum träumen oder sind sie zu einem unbezahlbaren Luxusartikel geworden?

Zum Artikel Wie ich in einem Tag eine Schweizer Uhr zusammenbaute und unser Fokus:  Zum Artikel Überleben Schweizer Uhrenhersteller ein weiteres turbulentes Jahrhundert?

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