Armut wächst weiter, trotz neuer Richtlinien
Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) will die stetige Zunahme von Sozialhilfe-Empfängern in der Schweiz stoppen: Wer arbeitet, erhält mehr Geld.
Die SKOS wertet die im letzten Jahr eingeführten Richtlinien zu mehr Integration als grossen Erfolg.
In der Schweiz sind rund eine halbe Million Menschen von der öffentlichen Fürsorge abhängig, bilanzierte Walter Schmid, Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), am Dienstag in Bern. Aus Sicht des Hilfswerks Caritas sind insgesamt gar eine Million Menschen oder ein Siebtel der Bevölkerung von Armut betroffen.
Die Armut in der Schweiz ist laut Schmid auch im vergangenen Jahr weiter gewachsen. Immerhin habe sich der Anstieg seit dem Sommer etwas verlangsamt.
Grundbetrag gesenkt
Diesen Trend zu immer mehr Fürsorgebezügern will die SKOS brechen. Die wichtigste Organisation in der nach wie vor vom Schweizer Kantönligeist geprägten Sozialpolitik hatte deshalb Ende 2004 neue Richtlinien verabschiedet. Oberstes Ziel ist die Förderung der Integration in die Arbeitswelt und die Gesellschaft, wie SKOS-Geschäftsführer Ueli Tecklenburg sagte.
Konkret bedeutet dies: Der Grundbetrag für Sozialhilfeempfänger wird gesenkt. Zeigen die Sozialhilfeempfänger aber Integrationsbemühungen, sprich, haben sie eine Arbeit gefunden, wird der Betrag aufgestockt. Sie erhalten neu einen Einkommensfreibetrag, haben also mehr Geld zur Verfügung, als wenn sie nicht arbeiten würden.
Die meisten Kantone ziehen mit
Von den Kantonen, in deren Zuständigkeit die Sozialhilfe fällt, haben die meisten diese neuen Vorgaben übernommen. Einige haben sie bereits im Verlauf des letzten Jahres eingeführt, ein gutes Dutzend folgte Anfang des neuen Jahres.
Die neuen Budgetberechnungen sind laut Tecklenburg in den letzten Monaten bereits bei Tausenden Sozialhilfe-Empfängern ins Haus geflattert. Die Umstellung sei ohne grössere Probleme verlaufen. Die SKOS werte die Einführung der einheitlichen Richtlinien als grossen Erfolg.
Differenzen
Allerdings operieren die Kantone innerhalb der Richtlinien mit unterschiedlichen Zulagen. Während etwa Bern, Zürich, Basel-Stadt oder Zug einen maximalen Einkommensfreibetrag von 600 Franken gewähren, bleiben einem Sozialhilfe beziehenden «Working Poor» in St. Gallen, Thurgau, Glarus oder Basel-Land höchstens 400 Franken.
Ganz auf die Anwendung der neuen Richtlinien verzichten nur wenige Kantone. Im Aargau und in Appenzell Innerrhoden bleiben bisherige Richtlinien in Kraft. Einkommensfreibeträge gibt es hier nicht – ebenso wie im Kanton Tessin, der eine eigene Anwendung der Richtlinien beschlossen hat.
Auch Behörden gefordert
Die neuen Richtlinien fordern laut SKOS nicht nur die Bezüger, sondern auch das Gemeinwesen. Integration verlange Investitionen, koste Geld und brauche Geduld, sagte Ruedi Meier, Sozialdirektor der Stadt Luzern und Präsident der Städteinitiative Sozialpolitik.
Die Sozialhilfestellen müssten beispielsweise dafür sorgen, dass viel mehr Beschäftigungsprojekte und Arbeitsplätze für Menschen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit zur Verfügung stünden. Denn ohne solche Plätze würden immer Menschen auf Unterstützung angewiesen sein. Dazu sei ein enges Beziehungsnetz zur Wirtschaft nötig.
SKOS-Präsident Schmid relativierte zudem die Bedeutung der neuen Richtlinien. Ein markanter Rückgang der Sozialhilfezahlen in den nächsten Jahren sei nicht zu erwarten, das zeigten die Erfahrungen der letzten 30 Jahre. Den grössten Einfluss auf die Sozialhilfe hätten die Konjunktur und der Arbeitsmarkt.
swissinfo und Agenturen
Gemäss Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) liegt in der Schweiz die offizielle Armutsgrenze bei 2480 Franken Monatseinkommen für einen Einpersonen-Haushalt.
Für ein Ehepaar mit zwei Kindern liegt sie bei 4600 Franken. Diese Zahlen betreffen das Netto-Einkommen nach Sozialabzügen und Steuern.
Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) betrug die Armutsquote 2004 12,5%, ca. eine auf acht Personen.
In den neuen SKOS-Richtlinien ist der Grundbeitrag für die Empfänger kleiner. Wenn sie arbeiten, erhalten sie aber dank eines Freibetrags mehr als bisher.
Damit will die SKOS die berufliche und gesellschaftliche Integration der Armen fördern.
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