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Artenvielfalt von Bedeutung für Zukunft der Erde

Traditionelle Bewirtschaftung: Eine Weide oberhalb Cormoret im Berner Jura. Keystone

Die Artenvielfalt kommt immer mehr unter Druck. Und mit der Umsetzung internationaler Grundsätze zum Erhalt der Biodiversität hapert es.

Bisher unauffällige Arten könnten nach Umweltveränderungen grosse Bedeutung erlangen, sagt der Zürcher Biologieprofessor Bernhard Schmid.*

swissinfo: Das Überleben der menschlichen Art hänge von der biologischen Vielfalt ab, sagte Klaus Töpfer, Direktor des UNO-Umweltprogrammes an der Biodiversitäts-Konferenz in Kuala Lumpur. Ist das nicht allzu dramatisch dargestellt?

Bernhard Schmid: Bis Anfang der 1990er Jahre bewegte das Thema Biodiversität vor allem im Zusammenhang mit dem Artenverlust in den schrumpfenden Regenwäldern. Seither wird das Thema umfassender angeschaut.

Die Bedeutung der Artenvielfalt für die Ökosysteme ist heute eine zentrale Frage der modernen Biologie. Denn es geht um unsere Lebensgrundlage. In diesem Sinne hat Töpfer Recht.

swissinfo: Konkret heisst das?

B.S.: Artenreiche Ökosysteme sind «Naturfabriken», in denen unsere Umwelt fortlaufend reproduziert wird. Die Arten sind dabei der «Motor». Die pflanzliche und tierische Vielfalt sorgt dafür, dass Licht in Energie und letztlich in Nahrung umgewandelt wird.

Wir haben zum Beispiel untersucht, was in einer Wiese passiert, wenn Arten verschwinden. Wir waren von den Ergebnissen überrascht. Mit jeder Halbierung der Anzahl Pflanzenarten nahm die oberirdische Pflanzentrockenmasse, sprich das Heu, um 80 Gramm pro Quadratmeter und Jahr ab.

Dies zeigt, dass die unterschiedlichen Eigenschaften der Arten grosse Bedeutung haben; manche Pflanzen holen sich ihre Nährstoffe ziemlich tief im Boden, andere bleiben näher an der Oberfläche. Zusammen können sie mehr Nährstoffe aufnehmen als artenarme Wiesen, die künstlich stark gedüngt werden müssen, um hohe Erträge zu erzielen.

swissinfo: Aber dafür brauchen wir doch nicht jeden Käfer, jede Flechte, jeden Pilz zu schützen?

B.S.: Uns macht das Verschwinden unauffälliger Arten Sorgen. Sie spielen vielleicht für die Wechselbeziehungen zwischen Ökosystemen eine bisher nicht erkannte Rolle. Es ist denkbar, dass Arten je nach Umweltveränderung plötzlich ungeahnte Bedeutung gewinnen. Darum sollte man Lebensräume auch ohne direkten Nutzen schützen, um Krisen vorzubeugen.

Wir kennen Tausende Reis- und Kartoffelsorten, brauchen aber zur Ernährung nur wenige.

Biologische Systeme brauchen sehr viel Redundanz, um für Eventualitäten gewappnet zu sein. Pilze oder Schädlinge können sich zum Beispiel in einem Gebiet verbreiten und die Varietäten schwächen. Solche Fälle konnten bis jetzt pariert werden, weil man andere Varietäten oder Arten als Ersatz herangezüchtet hat.

swissinfo: Weshalb sollen Luchs und Wolf wieder bei uns leben?

B.S.: Der Luchs hat in der Nahrungspyramide durchaus eine Funktion. Solche Arten sind aber auch symbolisch wertvoll. Sie haben einen hohen emotionalen Wert für die Menschen.

Die Zerstörung der Natur scheint vor allem ein Problem des Südens zu sein, wo Wälder im grossen Stil gerodet und Grosstiere ausgerottet werden.

Vergessen wir nicht, dass westliche Länder im Zuge der Industrialisierung viel Natur zerstört haben. Tropenländer mit starkem Bevölkerungswachstum haben ebenfalls ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung. Das muss man akzeptieren. Beim Schutz der Biodiversität und bei der Entwicklung des Südens trägt Europa deshalb eine grosse Mitverantwortung.

swissinfo: Die Zeit dafür ist nicht günstig. Umweltfragen sind zum Beispiel in der Schweiz in den Hintergrund gerückt.

B.S.: Das stimmt so nicht. Die Umweltwissenschaft beispielsweise ist heute ein selbstverständlicher Teil in der Lehre und Forschung geworden. Das Interesse an der Umwelt hat enorm zugenommen, wie etwa die Zahlen der Studierenden zeigen. Auch in der Bevölkerung hat Umweltschutz an Bedeutung gewonnen. Das zeigt die Bereitschaft, Altglas, Petflaschen und Altpapier für das Recycling zu sammeln.

Die Ökologisierung der Landwirtschaft in den letzten Jahren ist gelungen dank einem gestiegenen Umweltbewusstsein der Konsumenten. Ein aktuelles Beispiel ist die Avanti-Vorlage, die so wuchtig verworfen wurde, weil der Schutz der Alpen den Urnengängern ein Anliegen ist.

swissinfo: Trotzdem sind die Behörden heute schnell bereit, im Umweltschutz zu sparen.

B.S.: Da kann ich nur entgegnen: Das Naturkapital ist nach wie vor die Basis jeder Ökonomie. Fatalerweise werden die Ressourcen immer noch als unerschöpflich betrachtet.

swissinfo: Ist das ein Problem der Kommunikation?

B.S.: Es ist einfacher, vor den Gefahren hoher Ozonwerte zu warnen, weil sich direkte Konsequenzen für unsere Gesundheit nachweisen lassen. Das gilt für gefährdete Ökosysteme nicht. Einen Zusammenhang zwischen ihnen und bedrohter Lebensgrundlagen zu kommunizieren, ist schwierig. Es setzt eine tiefere Einsicht voraus, wie wir in der Natur eingebunden sind.

Nehmen wir alpine Ökosysteme wie die Bergwälder: Sie erbringen wichtige Dienstleistungen, schützen vor Rutschungen und Lawinen, regeln den Wasserhaushalt und sichern damit weltweit die Existenz Hunderter Millionen Menschen.

Die Stadt New York kaufte in ihrem Hinterland ein Hügelgebiet und stellte es unter Schutz zur Sicherung von Grundwasserreserven. Ohne diesen Schritt hätte man Kläranlagen für eine Milliarde Dollar bauen müssen.

swissinfo: Wie robust sind Ökosysteme?

B.S.: Die Wechselbeziehungen zwischen Organismen sind ausschlaggebend dafür, ob Ökosysteme funktionieren. Es verträgt schon ein paar «Löcher» und Maschen, die durch den Artenschwund entstehen, doch irgendwann fällt das Gefüge auseinander. Und diesen Punkt kennen wir nicht.

swissinfo-Interview: Stefan Hartmann

* Der Biologe Bernhard Schmid ist Direktor des Instituts für Umweltwissenschaften der Universität Zürich.

Die 7. Konferenz der Vertrags-Parteien der Biodiversitäts-Konvention fand vom 9. bis 20. Februar in Kuala Lumpur (Malaysia) statt.
Danach folgt gleichenorts vom 23. bis 27. Februar das erste Treffen der Vertrags-Partner des Protokolls von Cartagena über Biosicherheit.

Die Artenvielfalt ist für Ökosysteme weltweit von Bedeutung und beeinflusst das Leben auf dem Planeten.

Wissenschafter schätzen, dass es derzeit auf der Erde zwischen 10 und 100 Millionen Pflanzen- und Tierarten gibt.

Auch die Schweiz ist vom Verschwinden von Pflanzen- und Tierarten betroffen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Artenschutz stellen sich auch Fragen wie die Sicherstellung des Zugangs zu genetischen Ressourcen und der Verteilung des Nutzens dieser Ressourcen.

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