Auslandschweizer sind die besseren Schweizer
Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi hofft, dass im Herbst die erste Auslandschweizerin oder der erste Auslandschweizer den Sprung unter die Bundeshauskuppel schafft.
Für die höchste Schweizerin hat die Fünfte Schweiz Vorbildcharakter, denn sie verkörpere einerseits die traditionellen Werte, sei andererseits aber auch enorm offen Neuem gegenüber.
Die Gemeinde der Auslandschweizer liegt Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi im Wahljahr besonders am Herzen. Denn von den knapp 650’000 Personen zählenden Fünften Schweiz sind über 110’000 in ihren Heimatkantonen als Stimmbürger eingetragen.
Das zunehmende politische Bewusstsein der Fünften Schweiz beobachtet die freisinnige Politikerin aus dem Kanton Aargau zwar mit grosser Freude. Im Gespräch mit swissinfo ortet sie aber noch einigen Bedarf, den Landsleuten in der Diaspora die Teilnahme am politischen Leben in der Heimat zu erleichtern.
swissinfo: Ihre Beziehung zur Fünften Schweiz?
Christine Egerszegi: Ich habe vielfältige und ausserordentlich gute Beziehungen: Mein Bruder lebt seit 40 Jahren in Südafrika, meine Tochter seit fünf Jahren mit ihrer Familie in England.
Sie wollte eigentlich nach dem Nachdiplomstudium in die Schweiz zurückkehren, blieb aber in London, weil ihre Tochter dort schon mit vier Jahren die Schule besuchen konnte. In der Schweiz dagegen hätte sie noch drei Jahre warten müssen.
swissinfo: Wie wichtig sind Ihnen als höchster Schweizerin die Auslandschweizer?
Ch.E.: Die Fünfte Schweiz ist uns sehr wichtig, weil sie einerseits viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zählt. Andererseits sind die Auslandschweizer die Visitenkarte der Schweiz, über die wir auch Kontakte knüpfen können.
Manchmal habe ich gar das Gefühl, dass sie die besseren Schweizer sind als wir «Daheimgebliebenen». Die Auslandschweizer repräsentieren für mich die Schweiz mit ihren traditionellen Werten, verfügen aber gleichzeitig über eine enorme Weltoffenheit Neuerungen gegenüber. Dieser Grundsatz ist mir sehr wichtig: Bewährtes erhalten und pflegen, aber Neues mit viel Einsatz anpacken.
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Nationalrats-Präsidentin
swissinfo: Haben Sie im Wahljahr 2007 eine besondere Botschaft an die Auslandschweizer?
Ch.E.: Ich würde mich freuen, wenn sie sich zahlreich an den Wahlen beteiligen. Ich werde bemüht sein, dass sie die Unterlagen rechtzeitig erhalten und sich so eine Meinung bilden können. Ich werde mich auch dafür einsetzen, dass das entsprechende Budget nicht allzu sehr gekürzt wird.
swissinfo: Macht die Schweiz für ihre Bürger im Ausland genug oder gibt es noch Handlungsbedarf?
Ch.E.: Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir elektronisch abstimmen könnten, wie das in anderen Ländern auch möglich ist. Das würde es den Auslandschweizerinnen und –schweizern erheblich erleichtern, am politischen Leben der Schweiz teilzunehmen.
Ich würde mich auch freuen, wenn es uns gelänge, dass wir im Oktober nach den Wahlen den ersten Auslandschweizer oder die erste Auslandschweizerin im Parlament begrüssen könnten.
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Fünfte Schweiz
swissinfo: Die fünfte Schweiz repräsentiert das Stimmenpotenzial eines mittleren Kantons, dennoch versickert es, weil sich die Wähler auf die kantonalen Register verteilen. Was sagen Sie zu Quoten, beispielsweise zwei Sitze im Ständerat, fünf bis zehn Sit
Ch.E.: Ich habe mir noch nie überlegt, Stände- oder Nationalrat so aufzustocken. Als liberale Politikerin habe ich mich aber immer gegen Quoten irgendwelcher Art gewehrt.
Ich kann mich aber an einen Fall erinnern, wo Auslandschweizer im jetzigen System das Zünglein an der Waage spielten: Im Kanton Aargau wurde das Nein zur Genschutz-Initiative durch die Stimmen unserer Auslandschweizer besiegelt, und das just in meiner Wohngemeinde Mellingen!
Ich hatte mich damals persönlich stark gegen die Initiative engagiert, weil sie jede Art von Gentechnologie in der Schweiz verhindert hätte.
swissinfo: Zur Mobilisierung: Sollten die Parteien zu den Wählern ins Ausland gehen, wie dies etwa der Politologe Wolf Linder vorschlägt?
Ch.E.: Ich finde das eine sehr gute Idee. Auf jeder offiziellen Auslandreise praktiziere ich das immer, indem ich der Botschaft den Auftrag gebe, einen Schweizer Abend zu veranstalten. Ich lade Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmer zu einem Nachtessen oder Apéro ein.
So habe ich Gelegenheit, Sorgen zu erfahren und Wünsche und Anliegen mitzunehmen, was ich für ganz wichtig halte. Die Freude, die herrscht, wenn sich eine Amtsträgerin für sie einsetzt, ist jeweils riesig.
swissinfo, Renat Künzi
Die Zahl der eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler nimmt stetig zu.
1992: 15’000
2006: 110’000
Das sind 22,5% der im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer im stimmfähigen Alter.
Gesamtschweizerischer Anteil der Auslandstimmberechtigten: gut 2% aller Stimmberechtigten.
Ende 2006 lebten 645’010 Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland, 10’794 (1,7%) mehr als im Vorjahr.
Die Mehrheit der Auslandschweizer (390’182) lebt in der Europäischen Union (EU). Die grösste Gemeinschaft befindet sich in Frankreich (171’732). Es folgen Deutschland (72’384) und Italien (47’012).
Ausserhalb Europas gibt es am meisten Schweizer in den USA (71’984), Kanada (36’374), Australien (21’291), Argentinien (15’061), Brasilien (13’956), Israel (12’011) und Südafrika (8821).
Seit 1992 gibt es die volle Gleichstellung der im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer beim Bund.
Sie haben ein briefliches Stimm- und Wahlrecht am ehemaligen Wohn- oder Bürgerort.
In einzelnen Kantonen und Gemeinden gibt es ein zusätzliches Stimm- und Wahlrecht.
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