Das Drohnen-Dilemma der Schweiz
Die Schweiz rühmt sich gerne als
«Silicon Valley der Robotik». Viel öffentliches Geld fliesst in eine hochmoderne Forschungs- und Start-up-Szene. Im Zeitalter der Drohnenkriege ist die Militärindustrie ein lukrativer Markt für Schweizer Innovationen. Doch dieses Engagement gerät in Konflikt mit der Schweizer Neutralität.
Die Ukraine und Russland liefern sich einen Wettlauf um den Ausbau ihrer Drohnenflotten. Dabei kann die ukrainische Armee auf die Technologie eines Unternehmens aus der Schweiz zählen. Die Rede ist von AuterionExterner Link, einem Unternehmen, das 2017 von Lorenz Meier mitbegründet wurde, um einen Open-Source-Drohnen-Autopiloten zu vermarkten, den er als Student an der ETH Zürich entwickelt hatte. Auterion ist somit ein Spin-Off einer der wichtigsten technischen Hochschulen der Schweiz.
Im Juni 2024 gab Auterion in einer MedienmitteilungExterner Link bekannt, dass die Firma «eine revolutionäre Drohnentechnologie für den kinetischen Militäreinsatz implementiert hat, um die Unterstützung für Demokratien zu erhöhen, die sich gegen Aggressoren verteidigen wollen». Kurz zuvor hatte das Unternehmen seinen Hauptsitz von Zürich nach Arlington verlegt, einem wichtigen Standort der US-Militärindustrie im Bundesstaat Virginia.
Später erklärte Lorenz Meier als CEO von Auterion gegenüber breakingdefense.comExterner Link, sein Unternehmen habe «in aller Stille» einen neuen KI-Computer und eine Flugsteuerung für Kamikaze-Drohnen entwickelt. Und auf linkedin.comExterner Link bestätigte er, dass sich dieses Gerät bereits «im Kampf bewährt hat».
Die wichtigste Neuerung des so genannten Skynode S-Systems besteht darin, dass es Drohnen in die Lage versetzt, selbst dann zu fliegen und Ziele zu treffen, wenn sie elektronischen Kriegsführungsmethoden wie GPS-Störungen ausgesetzt sind.
Für die Schweiz ist ein solch beherztes militärisches Engagement eines Unternehmens, das nach wie vor ein Forschungs- und Entwicklungsbüro in Zürich unterhält, problematisch. Grund: Seit 1910 ist die Schweiz durch die Haager NeutralitätskonventionExterner Link verpflichtet, unparteiisch alle Konfliktparteien gleich zu behandelnExterner Link. Die Schweiz hat diese Verpflichtung stets eng ausgelegt, indem auch Waffenexporte an kriegsführende LänderExterner Link verboten sind.
Schweizer Technologie auf Schlachtfeldern
Auterion ist nicht das einzige Unternehmen der Schweizer Drohnenwelt, dessen Technologie das Schlachtfeld erreicht hat – sei dies absichtlich oder unabsichtlich. SenseFly, ein Spin-off der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), das ursprünglich im Agrarsektor tätig war, wurde vom US-Unternehmen AgEagleExterner Link übernommen und hat eindeutig militärische Ambitionen, wie die Tageszeitung «BlickExterner Link» schon im Juni 2022 publik mache.
Es liefert seine taktische Kartierungsdrohne eBeeExterner Link, die mittlerweile mit einer Tarnhülle aufgerüstet wurde, etwa an das US-Militär, das diese bereits im Krieg in AfghanistanExterner Link einsetzte.
Mikrochips der Schweizerischen Firma U-BloxExterner Link die in den 1990er Jahren als Spin-off der ETH entstand, wurden in russischen Orlan-10-DrohnenExterner Link gefunden, die in der Ukraine zum Einsatz kamen. Ein an der Universität Zürich entwickelter Algorithmus zur Steuerung von Drohnen in Umgebungen ohne GPS ähnelt erstaunlicherweise einer Anwendung, die vom israelischen Rüstungsunternehmen Elbit gefördert wird.
«Verbesserung der Lebensqualität»
Universitäten und Agenturen für Innovationsförderung wie die ETH oder Innosuisse haben Spitzenforschung und Technologietransferinitiativen in der DrohnenindustrieExterner Link gefördert. So sind führende Forschungseinrichtungen und mehr als hundert Start-ups entstanden. Dabei wurde stets betont, dass diese auf eine nicht-militärische Nutzung wie industrielle Inspektionen, Frachtdienste oder Rettungseinsätze ausgerichtet sind.
Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) in RobotikExterner Link, eine strategische Initiative des Schweizerischen Nationalfonds, war mit einem Budget von 85 Millionen Franken für einen Zeitraum vom zwölf Jahren ausgestattet. In der Zielsetzung von NFS RobotikExterner Link heisst es: «In naher Zukunft werden intelligente Roboter eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Lebensqualität spielen.»
Das Nachfolgeprogramm, das von der nationalen Innovationsagentur Innosuisse finanzierte Innovation Booster RoboticsExterner Link zielt auf die Förderung des Wissenstransfers entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Robotik ab. Laut der Leiterin des Programms, Professorin Aude Billard, werden aber keine militärischen Anwendungen gefördert.
Verschwommene Grenzen
«Die ETH Zürich forscht für den zivilen Bereich», betont Vanessa Wood, ETH-Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen, gegenüber SWI swissinfo.ch auf die Frage nach dem Wandel der Auterion-SoftwareExterner Link von ziviler zu militärischer Nutzung.
Und weiter: «Wir prüfen im Vorfeld sorgfältig, ob ein Projekt und die daraus resultierenden Erkenntnisse auch für militärische Zwecke genutzt werden könnten und somit der Exportkontrolle unterliegen würden.» Doch in Zeiten, in denen Drohnen in Kriegen als billige, taktische und effiziente Waffen eingesetzt werden, klingen solche Behauptungen zunehmend wie leere Versprechen.
Andrew W. Reddie, Leiter des Berkeley Risk and Security LabExterner Link an der Universität von Kalifornien, ist der Auffassung, dass sich Drohnentechnologie nicht an und für sich in eine zivile oder militärische Kategorie splitten lässt. «Letztlich sind diese Technologien per Definition Dual-Use-Technologien, so dass die Gefahr besteht, dass Regierungen eine Kerntechnologie unterstützen, die dann militärisch zum Einsatz kommt», erklärt er gegenüber SWI swissinfo.ch.
Exportkontrollen liessen sich bei Software nur schwer durchsetzen, so Reddie. Wenn eine bestimmte Technologie erst einmal existiere, könne sie sich weiterverbreiten. «Wir sehen viele Beispiele, bei denen Unternehmen bei der Produktentwicklung bis an die Grenze der Exportkontrollvorschriften gehen und dann ihre Fabrikate auf dem ausländischen Markt verkaufen.»
Im Allgemeinen kann Software, die als zivil oder dual verwendbar eingestuft wird, ausserhalb der Schweiz leicht für militärischen Nutzen weiterentwickelt werden. Die Ausfuhr von Material, das eindeutig als militärisch gekennzeichnet ist, etwa Granaten, oder von Dual-Use-Hardware wie echten Drohnen, ist viel leichter zu kontrollieren.
Zivile Drohnenanwendungen haben Mühe
In der Schweiz kämpften Drohnenunternehmen mit fehlenden Finanzen für spätere Entwicklungsstufen, schreibt der Verband der Schweizerischen Drohnenindustrie DIAS in seinem Branchenbericht Swiss Drone Industry Report 2024Externer Link.
Viele europäische Drohnenanbieter profitierten zwar nicht von US-Staatshilfen, aber sehr wohl von militärischen Aufträgen aus der Ukraine, erklärte Nathanael Apter, Chef der Firma UASolutions und Verwaltungsrat der Branchenvereinigung Drone Industry Association Switzerland gegenüber der NZZExterner Link: «Relativ junge Firmen wie Quantum-Systems in Deutschland oder Delair in Frankreich erhalten so unverhofft Rückenwind, den Schweizer Hersteller aufgrund der Neutralitätsbestimmungen nicht haben.»
Laut dem Brancheninsider Romeo Durscher, der zwischen 2021 und 2023 im US-Management-Team von Auterion tätig war, hat diese Marktlogik den Wandel von Auterion vom zivilen Hersteller zum militärischen Zulieferer gefördert: «Zu den Anfangszeiten war es schwierig, mit Auterion im Bereich der öffentlichen Sicherheit Fuss zu fassen – etwa bei der Brandbekämpfung oder anderen Schutzfunktionen.»
Um Investoren anzuziehen, brauchte das Unternehmen Absatzmöglichkeiten, die über rein friedliche Anwendungen wie die Bekämpfung von Waldbränden in Kalifornien hinausgingen. «Um eine Finanzierung zu erhalten, muss man in einen Markt eindringen, in dem es um Millionen und Abermillionen von Dollar geht», so Durscher. «Es war fast unausweichlich, dass Auterion irgendwann in Osteuropa an die Front kommen würde.»
Der Geist ist aus der Flasche
Die ethischen RichtlinienExterner Link des Unternehmens wurde an die neue Rolle als Waffentechnologieanbieter angepasst. Darin heisst es, dass Auterion nur mit Regierungen zusammenarbeite, die demokratisch gewählt seien und eine freie Presse zuliessen. «Es ist für uns eine moralische Verpflichtung, unsere Produkte an liberale Demokratien zu liefern, damit sie sich selbst verteidigen können», sagt Firmenchef Meier auf Anfrage. Welche Länder ausser der Ukraine und den Vereinigten Staaten noch in Frage kämen, wollte er nicht präzisieren.
Es ist jedoch fast unmöglich, dass solche Technologien nicht in die Hände autoritärer Staaten oder gar terroristischer Gruppen fallen. «Sobald eine Technologie existiert, besteht das Risiko einer unkontrollierten Verbreitung», sagt Berkeley-Professor Reddie gegenüber swissinfo.ch.
«Der Geist ist leider aus der Flasche: Das ist die Realität», meint seinerseits Romeo Durscher, der ehemalige Geschäftsführer von Auterion. «Vor fünf Jahren hiess es stets, wir würden Technologie für friedliche Zwecke einsetzen. Heute setzten wir Technologie ein, um die Demokratie zu schützen», doppelt er nach. Doch bei dieser Aussage zur Demokratie handelt es sich seiner Meinung nach um ein Wohlfühl-Statement mit wenig Aussagekraft.
Schweizer Behörden reichen Verantwortung weiter
Die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung (InnosuisseExterner Link) bestätigt, «dass Güter, die ursprünglich für rein zivile Zwecke entstanden sind, im Laufe der Zeit gewollt oder ungewollt zu militärischen Produkten weiterentwickelt werden können». Laut der Innosuisse-Medienstelle müssen die Unternehmen in der Verantwortung genommen werden und sich an die Gesetze halten. Es sei Aufgabe des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), die Exportkontrollen zu verstärken.
Die Angestellten von Auterion an der Zürcher Forschungs- und Entwicklungs- Niederlassung seien ausschliesslich im zivilen Bereich tätig, erklärte das Unternehmen auf Anfrage gegenüber swissinfo.ch. Rechtlich gesehen unterliege jede Entwicklung in der Schweiz den schweizerischen Exportkontrollvorschriften, auch wenn sich der Hauptsitz eines Unternehmens im Ausland befindet, bestätigt das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung.
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Das SECO kommentiert keine Fragen zu einzelnen Firmen, sei sich aber der Problematik bewusst, erklärt ein Departements-Sprecher in einer schriftlichen Stellungnahme. Inwieweit ein Spin-off-Unternehmen der ETH über Exportkontroll- und Sanktionsbestimmungen hinaus an Vorschriften gebunden sei, entscheide die ETH, so der Sprecher weiter.
Auch wenn Auterion an der ETH Zürich gegründet wurde, «handelt es sich um eine private Firma», sagt ETH-Vizepräsidentin Vanessa Wood. Und ergänzt: «Die ETH Zürich hat keinen Einfluss auf deren Geschäftsentscheidungen.»
Während sich Behörden und Hochschulen gegenseitig die sprichwörtliche heisse Kartoffel zuspielen, sind sich die politischen Parteien nicht einig, wie sie die Neutralität des Landes definieren sollen, wenn es um das Drohnen-Dilemma der Schweiz geht.
Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob/jg
*Diese Recherche wurde von JournaFONDS unterstützt
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