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Der Schweizer Milliardär Hansjörg Wyss und die Elefantenkorridore in Kenia

Elefantenherde
Elefanten in offenen Savannen: Dieses Bild wird seltener. In Kenia zerschneiden immer mehr Infrastrukturprojekte und Siedlungen die Wanderrouten der Wildtiere. Arthur Nicholas Orchard / Hans Lucas

In Kenia investiert die mit 100 Millionen Franken ausgestattete Wyss Academy For Nature in Projekte zum Elefantenschutz und zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Die Ziele sind hoch gesteckt: Die Stiftung will die Entwicklungshilfe selbst neu denken.

Die Stele aus Zement soll mit aufs Foto. Aber der Schriftzug «Wildlife and Livestock Corridor» ist beinahe unkenntlich, da überall Stücke rausgebrochen sind. «Kinder und Ziegen haben vandaliert», sagt Benjamin Loloju lachend. Der Vermessungsingenieur stammt aus der Gegend. Er ist langjähriger Mitarbeiter bei der NGO Save The ElephantsExterner Link.

In der schwülen Mittagshitze an diesem Tag im April türmen sich bereits Wolken am Horizont. Es ist Regenzeit und die Savanne ungewöhnlich grün. Die letzten zusammenhängenden Savannenabschnitte Kenias liegen nördlich des Mount Kenya. Aber auch sie geraten durch gigantische Infrastrukturpläne – Transportkorridore und Retortenstädte – unter Druck.

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Die Ingenieure der Natur

Entlang der Schnellstrasse zwischen der Bezirkshauptstadt Isiolo und der äthiopischen Grenze wird immer mehr gebaut. Es fehlt eine geregelte Raumplanung. Die Ökosysteme des Hochlands um den Mount Kenia und die tiefer gelegenen Trockensavannen im Norden müssen aber verbunden bleiben, wenn die Elefanten überleben sollen.

«Elefanten sind die Ingenieure des Ökosystems», sagt Loloju. Die Dickhäuter legen auf ihren Wanderungen hunderte von Kilometer zurück. Durch ihre Ausscheidungen verbreiten sie diverse Pflanzenarten über ein grosses Gebiet. Es gilt die Faustregel: Wo Elefanten leben, geht es der Biodiversität nicht allzu schlecht. Und der Boden bleibt in einer gesunden Savanne kühler.

Benjamin Loloju schaut aus dem Fenster der Organisation Save the Elephants.
Wo die Elefanten sind, lebt die Savanne. Benjamin Loloju nennt sie die Ingenieure der Natur. Valerie Thurner

Save The Elephants besitzt insgesamt acht Landzungen mit einem Durchmesser von rund 300 Metern. Es sind Korridore, durch die Elefanten und andere Wildtiere weiterhin ungestört durchwandern können, Flächen, auf denen keine Häuser gebaut werden.

Das Geld dafür kommt auch aus der Schweiz. Die Wyss Academy For NatureExterner Link kofinanziert das Programm und ist ein Partner im Schutz der letzten noch offenen Wanderrouten der Elefanten in Ostafrika.

Nichts geringeres als eine «neue Beziehung mit der Natur» schreibt sich die Wyss Academy For Nature auf die Fahne. Das Forschungszentrum an der Schnittstelle von Klima, Landschaftsnutzung und Biodiversitätsschutz hat der Schweizer Unternehmer Hansjörg Wyss vor vier Jahren zusammen mit der Universität Bern gegründet.

Das Joint Venture ist an vier Standorten weltweit tätig mit dem Ziel, lokale Strategien zum Schutz von Natur und Mensch zu fördern. Dabei soll in partizipativen Forschungsansätzen lokales und akademisches Wissen verbunden werden. Ziel ist eine ergebnisoffene Suche nach Lösungen, die weniger vom reichen Norden bestimmt werden.

Der heute 88-jährige Wyss, der heute in den USA lebt, ist in Bern aufgewachsen. Er arbeitete für verschiedene Unternehmen wie Chrysler und Monsanto, bevor er sich an der US-Tochterfirma des Knochenimplantate-Herstellers Synthes beteiligte. Er sanierte die Firma und verkaufte seine Anteile 2011 für einen Milliardenbetrag an Johnson & Johnson.

In den letzten Jahren ist Wyss als Mäzen in Erscheinung getreten, aber auch durch den Kauf des Londoner Spitzenfussballvereins Chelsea.

Die «Mamas» der Elefanten

Christine Lekiluai, Evaline Lesuuper und Esther Lenakwawi sind routiniert im Umgang mit Medien. Sie willigen in den Pressetermin ein, zum Tarif von je acht Franken. Auf der kurzen Autofahrt vom Treffpunkt an der Schnellstrasse durch das buschige Hinterland legen sie mit wenigen Handgriffen ihren traditionellen Halsschmuck aus Glasperlen an.

Die drei Frauen gehören zu den Samburu, ein nilotisches Volk im Norden Kenias. Im Auftrag von Save The Elephants arbeiten sie als «Mama Tembos». Tembo heisst in der Landessprache Suaheli Elefant.

Insgesamt sechzehn Frauen dokumentieren in den acht Korridoren zwischen Schutzgebieten nördlich des Mount Kenia die Bewegungen von Nutz- und Wildtieren, sowie Zwischenfälle zwischen Mensch und Tier. Dazu verwenden sie eine Mobiltelefon-App.

Portrait der beiden Frauen, die traditionellen Schmuck tragen.
Christine Lekiluai (links) und Evaline Lesuuper haben im Elefantenschutz Arbeit gefunden, als «Mama Tembos». Valerie Thurner

«Wir patrouillieren viermal die Woche und verbreiten die Artenschutz-Botschaft in unserer Community», erzählt Evaline Lesuuper im Schatten einer Akazie. Während der letzten Dürre sei beispielsweise ein Jungelefant zu nah an die Siedlung gekommen und die Kinder hätten begonnen, das Tier zu provozieren. «Wir beriefen eine Versammlung ein, um den Müttern zu erklären, dass die Kinder damit aufhören sollen.»

In den letzten Jahren haben die Mama Tembos die Community sensibilisiert, auch mit dem Argument, dass die Wildtiere für ihr Leben etwas Gutes seien, weil sie dank den Tieren ein Einkommen hätten. «Ich liebe diese Arbeit, und ich liebe Elefanten, genauso wie unsere Nutztiere, sie sind genauso wichtig», sagt Christine Lekiluai.

Ein geteilter Lebensraum

Das Entwicklungsdilemma im globalen Süden läuft auf die Frage hinaus, wer den Preis für den wirtschaftlichen Aufschwung bezahlt. Vom Klimawandel betroffen sind oft ausgerechnet jene, die durch ihren Lebensstil am wenigsten zum Treibhauseffekt und Artensterben beigetragen haben, die indigenen Völker in den letzten Urwäldern Südamerikas und Südostasiens oder eben: die halbnomadischen Völker Ostafrikas.

Es bleibt eine Ironie unserer Zeit, dass man den Samburu, die traditionell in Koexistenz mit den Tieren in den Savannen leben, und die Elefanten spirituell auf Augenhöhe mit den Menschen sehen, die Bedeutung des Elefantenschutzes erklärt.

Savannen sind entgegen dem Klischee der unberührten Natur Kulturlandschaften. 70% der Wildtiere Kenias leben ausserhalb der geschützten Gebiete und haben sich das Terrain mit den Menschen geteilt.

Ein paar Hütten in der Savanne.
Meist friedliche Ko-Existenz: Eine Siedlung in einem Elefantenkorridor im Norden des Mount Kenya. Valerie Thurner

Der Lebensstil der Hirtenvölker Nordkenias ist seit Jahrhunderten an die Landschaft, die Wildtiere und Pflanzen angepasst. Im Rhythmus der wechselnden Trocken- und Regenzeiten folgen sie den Wasserläufen, Quellen und Weideflächen.

Erst mit der Föderalisierung Kenias seit 2010 begann die Erschliessung des weitläufigen Nordens an Fahrt aufzunehmen. Transportrouten zwischen den Ölvorkommen bis an die Küsten des Indischen Ozeans und die damit einhergehende Urbanisierung zerschneiden die weiten Ebenen, und damit den Lebensraum des Grosswilds und das Weideland.

Inzwischen sind auch die tiefer gelegenen Trockensavannen nördlich des Mount Kenia unter Druck. Nur eine gesetzlich verankerte Raumplanung und Regulierung der Landnutzung können die Wanderrouten der Elefanten und die Kultur der Hirt:innen retten.

Die Klimakrise mit längeren Trockenperioden, gefolgt von Starkregen, verstärken die Degradation der zum Teil bereits intensiv beweideten Flächen. Die Erosion nimmt zu, die Wasserknappheit ebenfalls.

Es ist ein Teufelskreis. Aus der Luft lässt sich die Verödung der Landschaft in Nordkenia von blossem Auge erkennen. So auch im Gebiet des Naibunga Community Schutzgebiets.

“Unsere Klimamodelle prognostizieren, dass der Hitzestress so stark zunehmen wird, dass Gebiete in Nordkenia quasi unbewohnbar werden” sagt Heinimann.

Schutzgebiete sind keine Lösung

Die Wanderrouten der Wildtiere um den Mount Kenia wurden bereits im Zuge der Kolonialisierung vor über hundert Jahren von Viehfarmen der englischen Siedler:innen unterbrochen. Inzwischen haben sich viele der Farmen in Schutzgebiete für bedrohte Tierarten gewandelt. Sie sind eingezäunt, das Weideland für die Hirt:innen ist damit beschränkt.

Die Koexistenz von Hirt:innen und Wildtieren ist zentral für die Zukunft der Landschaft, Artenschutzgebiete abzugrenzen reicht alleine nicht. Davon ist Andreas Heinimann überzeugt.

Der Wissenschaftler der Wyss Academy und der Universität Bern erforscht Landsysteme und Biodiversität und koordiniert den Aufbau der drei Standorte der Wyss Academy For Nature im globalen Süden.

Es brauche beide Formen, sagt Heinimann. “Was wir in unserer Forschung in den letzten Jahren aufzeigen wollten: Die Summe aller ökologischen Dienstleistung ist häufig höher in multifunktionalen kleinräumig strukturierten Landschaften als bei einem ‘Landsparing’, wo Schutzgebiete von grossen Monokultur-Agrarflächen getrennt sind, da auch gewisse ökologische Dienstleistungen limitiert transportierbar sind, beispielsweise die Bestäubung.”

Die Bedingung des Milliardärs

Integrative Ansätze sind essenziell für den Schutz von Menschen und Biodiversität, so sieht es auch die Wyss Academy. 100 Millionen Schweizer Franken hat Hansjörg Wyss dem Kompetenzzentrum für die Arbeit in den drei Hubs in Peru, Laos und Ostafrika zur Verfügung gestellt, über eine Zeitspanne von zehn Jahren. Bedingung war, dass der Kanton und die Universität Bern im selben Zeitraum ebenfalls je 50 Millionen bereitstellen, aber um spezifische Projekte im Kanton Bern zu verfolgen.

Bild des 88-Jährigen, die Lampen im Hintergrund liegen im Bild wie ein Heiligenschein über seinem Kopf.
Hansjörg Wyss bei seiner Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Bern im Mai dieses Jahres. Keystone / Anthony Anex

Die Wyss Academy hat eine ehrgeizige Mission: Die Dezentralisierung der angewandten Forschung. Die Institution sieht sich als Vermittlerin zwischen Bürgerinitiativen und NGOs. Sie will ein Katalysator sein für Veränderungen zum Guten, wie den Erhalt von bedrohten Lebensräumen und den sozialen Aufschwung im globalen Süden.

Für den Kanton Bern handelt es sich um ein Prestigeprojekt, um die Universität als international renommiertes Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Forschung zu positionieren. Oder wie es Heinimann sagt: «Die Universität Bern konnte den Philanthropen überzeugen, dass die Forschung einen wesentlichen Beitrag leisten kann, damit Mensch und Umwelt in gleicher Weise profitieren.»

Vom Weideland zur Wüste

Etwas weiter südlich des Elefantenkorridors im Dorf Kimanjo sucht der Unternehmer Emanuel Miliko nach Wegen für den sozialen Aufschwung, welcher der Maasai-Bevölkerung im Naibunga Schutzgebiet zugutekommen soll. Es liegt am nördlichen Rand des Laikipia Plateaus, drei Autostunden von der Provinzhauptstadt Nanyuki entfernt, am Fusse des Mount Kenya.

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Während der Regenzeit ist die Naturstrasse in desolatem Zustand. Die schlimmsten Erosionen werden behelfsmässig mit Büschen und Sandsäcken gestopft, damit die Strassen befahrbar bleiben.

Emanuel Miliko leitet eine Gruppe von jungen Männern und Frauen, genannt Green Earth Warriors. Sie sind die treibende Kraft hinter einem gross angelegten Landregenerationsprojekt, das durch die Dürren der letzten drei Jahre angestossen wurde.

Emanuel Miliko auf einer Wiese.
Emanuel Miliko sucht nach wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten für die Maasai-Bevölkerung im Naibunga Schutzgebiet. Valerie Thurner

Die lokalen Entwicklungen haben weltweite Folgen: Rund ein Drittel der globalen Speicherkapazität von CO2 geht auf Weideland zurück.

Gemäss einem Bericht der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung sind die Hälfte des globalen Weidelandes wie Steppen und Savannen in desolatem Zustand. Es wachsen nur noch wenige Gräser, invasive Buschgewächse breiten sich aus. Der Boden trocknet aus, das Land verödet, bis es zur Wüste wird.

Eine einfache Lösung

Die Expert:innenkommission der UNO rät, das Hirtentum zu bewahren und zu fördern, um Weideland zu schützen.

In Kenia allerdings wurde das Vertrauen der Bevölkerung in Behörden und private Organisationen durch eine systematische Marginalisierung sowie viele leerer Versprechen über die Jahrzehnte systematisch zerstört.

Solche Fehler will die Wyss Academy vermeiden. Hier spricht man gerne vom Co-Design. Es geht um die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, mit Hochschulen, mit anderen NGO. Etwa der NGO «JustdiggitExterner Link, die als Vorreiterin für partizipative Landrestauration in Westafrika gilt.

Justdiggit nutzt altbewährte Techniken und macht global Kampagnenarbeit für Landrestauration durch naturbasierte Methoden. Sichelförmige Erdhaufen, sogenannte Bunds werden erstellt, in die Savannengräser und Bäume gepflanzt werden. Das Wasser dringt dank der Löcher durch den vertrockneten Boden in tiefere Schichten, die es speichern können.

Dieses Video der NGO erläutert die Löcher-Methode (auf Englisch):

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Das klang für Miliko von den Green Earth Warriors zunächst wie ein Märchen. «Ich wunderte mich, wie wir hier in dieser Landschaft mit Schaufeln graben sollten. Der Boden ist nach den drei Jahren Dürre hart wie Beton.»

Aber die Methode ist im Sahel seit Jahrhunderten bewährt. Justdiggit hat Partnerschaften in Tansania und Kenia, eine breite Spendenbasis. Millionen von Bunds sollen in den letzten zehn Jahren entstanden sein.

Über den Ostafrika Hub der Wyss Acadamy fand die Idee den Weg zu den Green Earth Warrios. Und so wurden innert zwei Jahren 5000 Halbmonde geschaufelt.

Speisepilze und Elefantenkot

Eindimensionale Lösungen helfen langfristig allerdings nicht, weil mehr Weideflächen auch mehr Vieh anziehen. Dann beginnt der Teufelskreis von vorne. Es braucht also Alternativen zur Nutztierhaltung.

In Pilotprojekten fördert die Wyss Akademie in Kenia darum bereits die ökologische Produktion von Gummi Arabicum. Sowie von Speisepilzen, die auf einem Extrakt von Elefantendung gedeihen, eine neue Methode, die von Wissenschaftler:innen des Kenia National Museum mitkonzipiert wurde.

Miliko und seine Green Earth Warriors versprechen sich viel von den Pilzen. Sie haben aber weniger Geduld als die Stiftung. «Ich bekomme ständig Anrufe von Leuten in Naibunga, die das auch machen wollen, aber bis jetzt habe ich kein Geld, um zu expandieren», so Miliko.

Die Wyss Academy ist sich der Dringlichkeit bewusst, doch heisst es, das Projekt sei noch in einer Testphase. Viele Fragen seien noch ungelöst, etwa in Bezug auf die Marktakzeptanz oder wie die Pilze mit weniger Ressourcen produziert werden können. “Es braucht Zeit, wenn man das Richtige tun will”, ist Heinimann überzeugt.

In Kenia hört man oft: «Die Europäer haben Geld, wir haben Zeit.» Doch auch die Zeit wird in Nordkenia knapp.

Editiert von Marc Leutenegger

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