Die Schweiz in den Fängen der russischen Propagandamaschine
Trotz ihrer Neutralität ist die Schweiz zur Zielscheibe von Fake News und Propaganda aus Moskau geworden. Wie konnte es so weit kommen? Einige Hintergründe.
Seit wann und warum steht die Schweiz im Fokus russischer Desinformation und Propaganda?
Eine Reihe von Daten zeigt auf, dass die russische Propaganda in der Schweiz und über die Schweiz stark zugenommen hat – seit der russischen Invasion in die Ukraine vor fast drei Jahren.
Russland hat die Schweiz offiziell dafür verurteilt, dass sie in der Ukraine humanitäre Hilfe leistet und im eigenen Land ukrainische Flüchtlinge aufnimmt. Zudem wurde der Schweiz vorgeworfen, ihre Neutralität aufgegeben zu haben.
Auch wurde kritisiert, dass sie im Juni 2024 einen Ukraine-Friedensgipfel ausgerichtet hat, zu dem Russland nicht eingeladen war. Im Vorfeld dieser Konferenz verzeichnete die Schweizer Regierung eine Zunahme von Cyberangriffen und ausländischen Desinformationskampagnen gegen das Land.
Eine Erhebung der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) hat ergeben, dass die russische Nachrichtenplattform RT – lange bekannt als Russia Today – ihre Berichterstattung über die Schweiz seit Anfang 2024 verzehnfacht hat. RT wird von der russischen Regierung finanziert.
Auf der deutschsprachigen Webseite von RT gibt es eine eigene Rubrik, die der Schweiz gewidmet ist. Dort finden sich Titel wie: «Schweiz im ‘militärischen Schengen’ – Ende der Neutralität?» oder «Doppelmoral in der Schweiz: Böse Russen als Uhren-Käufer sehr willkommen».
Die englischsprachige RT-Webseite wurde zwischen Juni 2023 und Mai 2024 gemäss Insightnews fast zehn Millionen Mal aus der Schweiz aufgerufenExterner Link; die deutschsprachige Version des staatlichen russischen Medienunternehmens erhielt 2,7 Millionen Besuche; die französischsprachige Version noch 656’000. Die Zahlen beruhen auf Erhebungen von «SimilarWeb»Externer Link.
«RT ist das beste Beispiel, um aufzuzeigen, wie Desinformation funktioniert», sagt Ilya Yablokov, Dozent für digitalen Journalismus und DesinformationExterner Link an der Universität Sheffield in England.
Yablokov führt aus, dass die Einzigartigkeit von RT auf dem Selbstverständnis beruhe, die Informationssphäre der westlichen Demokratien mit Desinformation, Verschwörungstheorien sowie einem allgemeineren Angebot an Sport, Politik und Kultur zu infiltrieren.
Ziel dieser Propaganda sei es, das Vertrauen in die traditionelle Neutralität der Schweiz zu untergraben, das Land als Vermittlerin in internationalen Konflikten zu diskreditieren sowie die öffentliche Meinung zugunsten der russischen Sichtweise zu beeinflussen.
Wie gelangt Desinformation in die Schweiz?
Russische Propaganda und Desinformation gelangen über verschiedene Kanäle in die Schweiz.
Darunter finden sich Online-Plattformen wie Youtube, Tiktok, X, Proxy-Medien (Videos in geringerer Auflösung als die Originale) sowie das so genannte Doppelgänger-Modell (gefälschte Websites, die Original-Websites imitieren). Auch der Messaging-Kanal Telegram ist eine Quelle.
«Ketten-E-Mails waren früher ebenfalls ein Instrument der Desinformation, aber diese Methode scheint an Bedeutung zu verlieren», sagt Vasily Gatov, Medienanalyst und ForscherExterner Link am USC Center on Communication Leadership and Policy in Los Angeles.
Ein Bericht von InsightnewsExterner Link hat mehrere pro-russische Informationsportale in der Schweiz ausfindig gemacht. Dazu gehören unter anderem Weltwoche.ch, Uncutnews.ch und Transition-News.org.
Insgesamt haben diese Webseiten eine sehr geringe Reichweite: Sie machen zusammen nur 1,4% des Internetverkehrs aller Schweizer Medien aus.
Der erwähnte Artikel weist auch darauf hin, dass ebenfalls Propaganda über Frankreich und Deutschland in die Schweiz gelangt, und zwar über Webseiten wie Anti-Spiegel und Réseau International. Diese werden häufig von pro-russischen Schweizer Webseiten zitiert.
Weitere Methoden der Beeinflussung sind die Einrichtung von «Troll-Farmen»Externer Link oder «Troll-Armeen», die sich in Russland befinden oder von dort aus organisiert werden.
Diese verbreiten Desinformation und Propaganda im Internet, indem sie Menschen beschäftigen, die Millionen von provokativen oder beleidigenden Beiträgen verfassen, um Konflikte zu schüren oder die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Auch Hackerangriffe gehören zu Russlands Taktik. Ende Januar 2025 führte die pro-russische Hackergruppe «NoName05716»Externer Link Cyberattacken auf mehrere Schweizer Websites durch, darunter die offiziellen Internetauftritte der Stadt Genf, von Vevey sowie der Waadtländer Kantonalbank.
Diese Angriffe überlasten die Server mit Anfragen, so dass die Portale nicht mehr zugänglich sind, ohne dass es zu Datenverletzungen kommt. Ähnliche Angriffe wurden auf Webseiten lokaler Banken in den Kantonen Waadt und Zürich gemeldet.
Warum für Russland die Informationskontrolle so wichtig ist?
Russland verfügt über eine gut funktionierende Propagandamaschinerie, die während des Kalten Kriegs von der Kommunistischen Partei zusammen mit dem Geheimdienst KGB und dem Militär aufgebaut wurde. Das Ziel war es, innerhalb und ausserhalb der Landesgrenzen ein neues Bild Russlands zu vermitteln.
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Ein Grossteil der russischen Propaganda zielt nach wie vor darauf ab, die westlichen Demokratien zu destabilisieren. Dabei agiert Moskau oft im Einklang mit Verbündeten wie China oder dem Iran.
«Russland braucht diese Art der Propaganda, um einen potenziellen Gegner ständig zu schwächen, Angst und Zweifel unter seinen politischen und militärischen Akteuren zu verbreiten und Analysten zu verwirren», sagt Gatov. Die Sowjetunion sei im Jahr 1991 auseinandergefallen, doch das Militär sei weiterhin für die Verbreitung von Propaganda zuständig geblieben, erklärt er.
Seit dem Überfall auf die Ukraine konzentriert sich die Desinformation auf die Verbreitung falscher Behauptungen über den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski.
Das Hauptziel besteht darin, die Unterstützung für die Ukraine in der internationalen Gemeinschaft zu schwächen, indem der ukrainische Präsident als eine Person dargestellt wird, die angeblich westliche Hilfe zum persönlichen Vorteil missbraucht.
Ein Beispiel für koordinierte Desinformation war der Terroranschlag auf das Konzerthaus Crocus City Hall bei Moskau im März 2024.
Ursprünglich berichtete der Untersuchungsausschuss, dass mindestens über 60 Menschen getötet wurden. Später wurde bekannt, dass mindestens 145 Menschen gestorben waren.
Es war einer der tödlichsten Anschläge in Russland seit Jahrzehnten. Die islamistische Terrororganisation IS bekannte sich zum Anschlag.
Während führende Politikerinnen und Politiker der Welt den Anschlag verurteilten, strahlte der russische Fernsehsender NTV ein gefälschtes Video aus, in dem der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine angeblich «die Beteiligung des Kiewer Regimes» an dem Anschlag bestätigte.
«Russische, iranische und chinesische Staatsmedien verbreiteten allesamt falsche Behauptungen, die dem Westen die Schuld an dem Anschlag gaben», sagt Chine Labbe, Chefredaktorin und Vizepräsidentin von «NewsGuard»Externer Link, einem Unternehmen, das gegen Desinformation kämpft.
Welche Art von Fake News verbreiten sich in der Schweiz?
«NewsGuard» hat weltweit mindestens zehn falsche Behauptungen dokumentiert, die den Eindruck erwecken, dass Selenski und seine Familie westliche Hilfsgelder missbrauchen, um Luxusvillen, Resorts und Schmuck zu kaufen.
Viele dieser Behauptungen gingen viral, verbreiteten sich schnell über Social-Media-Plattformen und wurden in kurzer Zeit von Tausenden oder sogar Millionen von Nutzer:innen geteilt.
«Jede Behauptung trug dazu bei, die nächste glaubwürdiger zu machen, wodurch das Narrativ langsam, aber sicher weiter vorangetrieben wurde und zur Erosion der internationalen Unterstützung für die Ukraine beitrug», so Labbe.
Zu den Gütern, die Selenski und seine Familie gekauft haben sollen, gehörten Stings italienisches Weingut in der Toskana, die deutsche Villa des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels und ein Luxus-Skiort in den französischen Alpen.
Russland positioniert sich mit seinem Narrativ auch in einem ideologischen Krieg gegen den Westen und gegen westliche Werte.
«Ich habe in diesem Zusammenhang zwei stets wiederkehrende Leitmotive beobachtet: Russland bewahrt und rettet durch den Krieg mit der Ukraine traditionelle Werte, während normale westliche Familien in Russland Zuflucht vor LGBT-Aktivistinnen und Aktivisten und der woken Ideologie des Westens suchen», sagt Gatov.
Ein weiterer Dauerbrenner sei die These, «dass Europa sich den USA unterordnet und Washington die Fäden zieht».
Ein typisches Beispiel dafür, was in der Schweiz zu beobachten ist, ist der Tiktok-Kanal von Iris Aschenbrenner. Die ehemalige Schauspielerin arbeitete 2022, zu Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, für RT Deutschland.
In einem Video zeigt sie das Interview mit einer älteren Frau bei einer Strassenumfrage in Deutschland, welche erzählt, Selenski habe sich in Paris für 4,4 Millionen Euro einen Bugatti gekauft und seine Ehefrau für 1,1 Millionen Ohrringe bei Tiffany. Ausserdem besitze er eine Yacht in Mexiko.
Wie erfolgreich sind diese Kampagnen?
«Est ist sehr schwierig, den tatsächlichen Einfluss solcher Desinformationskampagnen auf die öffentliche Meinung und das politische Klima zu messen», sagt Labbe.
Es gehe am Ende immer darum, das öffentliche Vertrauen zu untergraben: «Das ist oft das eigentliche Ziel von Desinformation: Die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge zu verwischen, Misstrauen zu säen und das Vertrauen allmählich zu untergraben.»
Seit dem Krieg in der Ukraine hat sich Russlands Narrativ in rechtskonservativen Kreisen in Europa und den USA durchgesetzt.
2023 konnten verschiedene deutsche Medien nachweisen, dass die rechtsextreme deutsche Partei AfD Verbindungen zu Russland unterhält und die Annexion der Krim im Jahr 2014 unterstützte.
«Es ist bereits ein Sieg für die russische Diplomatie, wenn es rechten politischen Kräften wie in Österreich und Deutschland gelingt, in den Mainstream einzudringen. Denn diese politischen Parteien fahren keinen Konfrontationskurs mit Russland, sondern vertreten weitgehend russische Ansichten», sagt Yablokov.
In der Schweiz hegen einige Personen aus der rechtsbürgerlichen und EU-skeptischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Letztes Jahr wurde der Verein Russisch-Schweizerische FreundschaftExterner Link gegründet, deren Mitglieder zum Teil enge Verbindungen zur SVP unterhalten.
Eine von der Schweizer Mediengruppe Tamedia und der Zeitung 20 Minuten zu Beginn des Ukrainekriegs durchgeführte UmfrageExterner Link ergab, dass 40% der SVP-Anhänger:innen «den Krieg zwar verurteilen, aber Putins Motive verstehen (können)». Bei anderen politischen Parteien lag dieser Wert bei 20%.
Wie lässt sich gegen Desinformation tun?
Eine der effizientesten Möglichkeiten, die Verbreitung von Desinformation zu verhindern, besteht laut Fachleuten darin, sie von vornherein zu unterbinden. Die Menschen sollten aufgeklärt werden um diese Informationen als solche zu erkennen.
Laut Yablokov wäre der beste Weg bei der Bekämpfung von Desinformation, die Produktion teurer zu machen. Heute sind soziale Netzwerke und Bots praktisch kostenlos.
Gemäss aktuellem Trend werden soziale Medien zudem immer weniger moderiert (und damit inhaltmässig kontrolliert), was die Produktionskosten für solche Desinformation weiter senke.
Am 7. Januar 2025 kündigte Meta-Boss Mark Zuckerberg an, er werde die Überprüfung von Behauptungen, das so genannte «Fact-Checking», auf Facebook, Instagram und Threads einstellen.
Alle diese Netzwerke haben etliche Millionen von Nutzer:innen. X (vormals Twitter) hatte die Überprüfung von Fakten zurückgefahren, als Elon Musk das Unternehmen kaufte.
«Wir können uns am besten vor Fake News und Propaganda schützen, indem wir auf Bildung und Medienkompetenz setzen», sagt Nicolas Zahn, Geschäftsführer der in Genf ansässigen Swiss Digital InitiativeExterner Link.
«Jede Person in einem Land muss eine eigene Art von Geheimdienstler sein – sie muss kritisch sein, wenn es darum geht, die Quelle einer Information zu bewerten, ausreichend gebildet sein, um zu verstehen, wann möglicherweise eine Fälschung vorliegen könnte, und mehrere Quellen zur Bestätigung einer Behauptung konsultieren», sagt Zahn.
Editiert von Virginie Mangin / dos, Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob
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