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Die Schweiz inmitten des Streits zwischen Mexiko und Ecuador

Die ecuadorianische Botschafterin in Bern, Verónica Bustamante, und der Schweizer Aussenminister, Ignacio Cassis, unterzeichnen das Abkommen am 24. Juni 2024. - Source: Ministerium für auswärtige Angelegenheiten Ecuadors
Die ecuadorianische Botschafterin in Bern, Verónica Bustamante, und der Schweizer Aussenminister, Ignacio Cassis, unterzeichnen das Abkommen am 24. Juni 2024. Ministerium für auswärtige Angelegenheiten Ecuadors

Die Schweiz ist neu Schutzmacht für Mexiko in Ecuador und umgekehrt. Die beiden Staaten liegen seit einer Polizeiaktion in der mexikanischen Botschaft in Quito im Streit, eine rasche Versöhnung ist nicht in Sicht.

Am 5. April 2024 hat Mexiko die Beziehungen zu Ecuador abgebrochen. Zwei Monate später ertönte aus den Schweizer Alpen eine Ankündigung: Mexiko hat am 15. Juni ein Schutzmachtmandat mit der Schweiz unterzeichnet, die Schweiz soll Mexiko auf ecuadorianischem Boden konsularisch vertreten.

Unter dem Druck der Medien erklärte Ecuador einen Tag später, dass es ein «Spiegelabkommen» mit der Schweiz auch ausgehandelt habe. Die Schweiz solle «als diplomatischer Kanal» zu Mexiko fungieren und die konsularischen Dienste unterstützen.

Voraussetzung für das Inkrafttreten eines Schutzmachtmandates ist allerdings, dass der Staat, in dem es ausgeübt wird, seine formelle Zustimmung gibt. Laut einer MitteilungExterner Link des Schweizer Aussendepartements hat nach Mexiko nun am 24. Juni auch Ecuador «entsprechende Vereinbarungen» unterzeichnet.

Der Bundesrat hatte bereits an seiner Sitzung vom 7. Juni grünes Licht für die Unterzeichnung der Mandate gegeben.

Die Rolle der Schweiz

Die Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, ein Minimum an gegenseitigen Kontakten zwischen den beiden Staaten zu gewährleisten, die keine diplomatischen Beziehungen mehr zueinander unterhalten.

Dazu gehört die Übernahme von diplomatischen und konsularischen Aufgaben. So etwa die Übermittlung von Nachrichten, der Schutz des Eigentums des vertretenen Landes sowie die Ausstellung von Pässen und Visa.

In der Praxis werden die konsularischen Aufgaben meist von eigenen Teams der vertretenen Staaten wahrgenommen, das aber unter dem Schutz der Schweiz. So auch beim Mandat mit Mexiko und Ecuador: Die beiden Staaten nehmen die administrativen, technischen und konsularischen Geschäfte vor Ort mit eigenem Personal wahr. Die Interessensektionen stehen jedoch unter dem Schutz der Schweiz.

Die mexikanische Aussenministerin Alicia Bárcena und ihr Schweizer Amtskollege Ignazio Cassis
Die mexikanische Aussenministerin Alicia Bárcena und ihr Schweizer Amtskollege Ignazio Cassis unterzeichneten das Vertretungsabkommen am Rande des Gipfels für den Frieden in der Ukraine, der am 15./16. Juni auf dem Bürgenstock stattfand. Sekretariat für Aussenbeziehungen von Mexiko

«Wir nehmen diese Aufgabe mit grosser Zuverlässigkeit und Diskretion wahr. Im Falle eines diplomatischen Konflikts zwischen Staaten ist die Aufrechterhaltung der Kommunikationskanäle und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger des anderen Staates eine wichtige Unterstützung, sowohl für die betroffenen Staaten als auch für die Bevölkerungen. In diesem Sinne ist die Schweiz tatsächlich eine Schutzmacht», sagt Nationalrat Fabian Molina, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Schweizer Parlaments.

Die Schweiz vertritt derzeit die Interessen des Irans in Ägypten und Kanada, der USA im Iran sowie Russlands in Georgien und umgekehrt. Zu diesen Mandaten kommen nun die neue hinzu: Mexikos in Ecuador und Ecuadors in Mexiko.

Seit 1979 vertritt sie die Interessen des Irans in Ägypten (einschliesslich konsularischer Dienste).

Seit 1980 vertritt sie die Interessen der USA im Iran (einschliesslich konsularischer Angelegenheiten wie Passanträge oder konsularischer Schutz von US-Bürgern).

Seit 2009 vertritt sie die Interessen Russlands in Georgien und die Interessen Georgiens in Russland: Konsularische Angelegenheiten werden direkt mit dem diplomatischen Personal des jeweiligen Landes abgewickelt, jedoch unter dem Schutz der Schweiz.

Seit 2019 vertritt die Schweiz die Interessen des Irans in Kanada. Dieses Mandat beinhaltet keine konsularischen Dienstleistungen.

Seit Juni 2024 ist die Schweiz Schutzmacht für Mexiko in Ecuador und für Ecuador in Mexiko. Die beiden Staaten nehmen die administrativen, technischen und konsularischen Geschäfte vor Ort mit eigenem Personal wahr. Die Interessensektionen stehen jedoch unter dem Schutz der Schweiz.

(Quelle: EDAExterner Link 24.06.2024)

Der Streit geht weiter

Mexiko hat deutlich gemacht, dass das Abkommen mit der Schweiz in keiner Weise den Beginn eines Dialogs zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Ecuador bedeutet.

Diese wurden abgebrochen, nachdem die ecuadorianischen Polizei im April gewaltsam in die mexikanische Botschaft in Quito eingedrungen war, um den ehemaligen ecuadorianischen Vizepräsidenten Jorge Glas zu verhaften, dem Mexiko Asyl gewährt hatte. Glas wird von Ecuador Korruption vorgeworfen.

Mexiko fordert von der Regierung von Präsident Daniel Noboa eine öffentliche Entschuldigung für den Übergriff sowie die Auslieferung von Jorge Glas.

Eine Annäherung ist vorderhand nicht in Sicht: Die designierte mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum hat bereits erklärt, dass sie bei ihrem Amtsantritt im Oktober die gleiche Haltung wie die scheidende mexikanische Regierung vertreten wird. Das könnte bedeuten, dass die Krise in den sechs Jahren ihrer Amtszeit andauert.

Spezialeinheiten der ecuadorianischen Polizei betreten am 5. April 2024 die mexikanische Botschaft in Quito, um den ehemaligen Vizepräsidenten Ecuadors, Jorge Glas, zu verhaften.
Spezialeinheiten der ecuadorianischen Polizei stürmen am 5. April 2024 die mexikanische Botschaft in Quito, um den ehemaligen Vizepräsidenten Ecuadors, Jorge Glas, zu verhaften. Afp Or Licensors

Zurzeit wartet Mexiko auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs. Das Land hat in Den Haag Klage gegen Ecuador wegen Verletzung des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen eingereicht. Darin sind die Unverletzlichkeit von Botschaften und das Recht auf Asyl verankert.

Ecuador hat eine Gegenklage eingereicht. Es beschuldigt Mexiko der Einmischung in inneren Angelegenheiten.

Obwohl die Urteile des Gerichtshofs im nächsten Jahr verkündet werden könnten, wird dies «den Streit nicht lösen, in dem sich eher Persönlichkeiten als Institutionen gegenüberstehen», sagt Esteban Ramiro Santos López, Spezialist für internationale Streitbeilegung am Genfer Graduate Institute und Professor für Politikwissenschaften in Quito.

«Der Präsident Mexikos, Manuel López Obrador, und der Präsident Ecuadors, Daniel Noboa, liefern sich seit Monaten ein gehässiges Duell mit Anschuldigungen, die nichts mit einer würdevollen diplomatischen Beziehung zu tun haben. Ein Disput zu einem sehr hohen Preis für die Demokratie und die Bürger ihrer Länder», fügt Santos López hinzu.

Laut Santos López kann niemand ernsthaft bezweifeln, dass Ecuador gegen Artikel 22 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen von 1961 verstossen hat, demzufolge Botschaften als Teil des Territoriums des Landes, das sie vertreten, zu betrachten sind. «Aber als Experte für internationales Recht kann ich sagen, dass weder Ecuador noch Mexiko schuldlos für den Abbruch ihrer Beziehungen sind», so Santos López.

Denn das 1954 von der Organisation Amerikanischer Staaten in Caracas verabschiedete Übereinkommen über diplomatisches Asyl, das beide Länder unterzeichnet haben, besagt in seinem dritten Artikel, dass es nicht zulässig ist, Personen Asyl zu gewähren, die zum Zeitpunkt der Antragstellung vor den zuständigen ordentlichen Gerichten wegen gewöhnlicher Verbrechen angeklagt oder verfolgt werden.

Und der ehemalige Vizepräsident Glas wurde zweimal wegen Korruption verurteilt. In Artikel vier heisst es jedoch, dass es Sache des asylgewährenden Staates sei zu bestimmen, unter welchen Gründen jemand als politisch verfolgt gelte und damit Anrecht auf Asyl habe.  

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«Dass die Schweiz vermittelt, ist lächerlich»

In der Kritik steht auch die Tatsache, dass ein europäisches Land wie die Schweiz die Schutzmacht der Konfliktparteien ist. «Diese Krise zeigt die Schwäche der multilateralen Organisationen in der Region», sagt Pedro Brieger, Analyst und Direktor von Noticias de América Latina y el Caribe.

«Noch vor fünfzehn Jahren hätten die Union Südamerikanischer Nationen und die Rio-Gruppe, ein ständiger Konsultationsmechanismus für Lateinamerika und die Karibik, bei Konflikten wie diesem in der Region eingegriffen», so Brieger.

«Heute gibt es solche Mechanismen praktisch nicht mehr. Die rechtsgerichteten Regierungen haben es geschafft, die regionale Integration zu zerstören. Deshalb wird ein europäisches Land ausgewählt, um zwischen zwei lateinamerikanischen Ländern zu vermitteln. Das ist absolut lächerlich und zeigt auch das Unvermögen der regionalen Regierungen, diese Gremien wieder zu reaktivieren.»

Editiert von Marc Leutenegger

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