Die Schweiz und ihre Schutzmachtmandate: ein Kanal zwischen zerstrittenen Staaten
Gute Dienste spielen in der Friedenspolitik der Schweiz eine wichtige Rolle, gerade in Zeiten wieder aufflammender Konflikte auf globaler Ebene. Mit Schutzmachtmandaten vertritt die Schweiz zerstrittene Staaten.
Die Schweiz unterhält mit praktisch allen Ländern der Welt diplomatische Beziehungen. Neutralität und Gute Dienste sind zwei Pfeiler der Schweizer Aussenpolitik. Dies hat sie im Laufe der Geschichte zur Ausübung von Schutzmachtmandaten geführt.
Momentan übernimmt die Schweiz acht Schutzmachtmandate. Unter anderem vertritt sie die Interessen der USA im Iran. «Ein Schutzmachtmandat ist keine Vermittlungsmission», erklärte der ehemalige Schweizer Botschafter Tim Guldimann vor einigen Jahren gegenüber SWI swissinfo.ch. Als Schweizer Botschafter im Iran diente er von 1999 bis 2004 als Kommunikationskanal zwischen Washington und Teheran. In dieser Rolle sei er eher ein Bote gewesen. “Und die Übermittlung von Informationen im Rahmen dieses Mandats erfolgt auf sehr diskrete Weise», so der ehemalige Diplomat Guldimann.
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Je diskreter, desto besser
Das Schutzmachtmandat garantiert Staaten nach Abbruch ihrer diplomatischen oder konsularischen Beziehungen ein Minimum an gegenseitigen Kontakten.
Als Schutzmacht übernimmt die Schweiz stellvertretend für ein anderes Land diplomatische und konsularische Aufgaben. Sie übermittelt Nachrichten zwischen den zerstrittenen Ländern, garantiert den Schutz des Eigentums des vertretenen Landes und stellt die Ausstellung von Pässen und Visa sicher.
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Die Schweiz ist eines von wenigen Länder, das Schutzmachtmandate bis heute als Pfeiler von friedensfördernden Aktivitäten übernimmt. Aber sie ist nicht das einzige: Schweden verfügt über zahlreiche Mandate für und in Nordkorea.
Das sind die aktuellen Schweizer Schutzmachtmandate:
- Ecuador in Venezuela: Seit Dezember 2024 vertritt die Schweiz die diplomatischen Interessen Ecuadors in Venezuela. Die konsularischen Tätigkeiten für Ecuadorianer:innen in Venezuela übernimmt weiterhin ecuadorianisches Personal.
- Mexiko in Ecuador/Ecuador in Mexiko: Seit Juni 2024 ist die Schweiz die Schutzmacht Mexikos in Ecuador und Ecuadors in Mexiko. Beide Staaten führen die konsularischen Angelegenheiten vor Ort mit eigenem Personal durch.
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- Iran in Kanada: Die Schweiz vertritt bereits seit 2019 die Interessen des Irans in Kanada. Dieses Mandat umfasst keine konsularischen Dienstleistungen.
- Russland in Georgien/Georgien in Russland: Die Schweiz hat seit 2009 ein Schutzmachtmandat für die georgischen Interessen in Russland und für Russland in Georgien. Die Schweiz übernahm diese Schutzmachtmandate nach dem Krieg der beiden Staaten im Jahr 2008. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Region ist die Zukunft dieser Mandate offen.
- USA in Iran: Schon seit der Zeit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran 1980 vertritt die Schweiz die Interessen der USA in Iran. Dazu gehören auch Angelegenheiten wie der konsularische Schutz von Personen mit US-Staatsbürgerschaft.
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- Iran in Ägypten: Dieses Schutzmachtmandat reicht ins Jahr 1979 zurück und ist das älteste der aktuellen Mandate der Schweiz.
Japan und Kuba: Vom Zweiten Weltkrieg bis heute
Bis 2023 vertrat die Schweiz auch für einige Jahre Saudi-Arabien in Iran und Iran in Saudi-Arabien. Diese ist nur das jüngste aufgehobene Schutzmachtmandat in einer langen Liste von Ländern, die ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen haben.
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Die Schweiz verliert zwei Schutzmachtmandate
Die meisten Schutzmachtmandate übernahm die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs. Mit zeitweise hunderten Mandaten vertrat die neutrale Schweiz die Interessen von dutzenden Staaten anderswo. Einige Tage kamen die Schweizer Guten Dienste auch ins weltpolitische Rampenlicht: Es sind Schweizer Beamte in Bern und WashingtonExterner Link, die die Nachrichten zwischen Japan und den USA übermittelten. Verschlüsselt schickt ein Beamter am 14. August 1945 die Nachricht über die japanische Kapitulation an die Schweizer Vertretung in Washington, bevor US-Präsident Harry S. Truman den Zweiten Weltkrieg für beendet erklärt.
Auch im Kalten Krieg blieben die Guten Dienste der Schweiz gefragt. Nur einen Tag, nachdem die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit Kuba abgebrochen hatte, bat sie die Schweiz 1961, ihre Interessen in Kuba zu vertreten. In der brenzligen Phase während der Kubakrise war es Aufgabe des Schweizer Botschafters, «Fehlwahrnehmungen auf beiden Seiten zu korrigieren», wie es ein Schweizer Diplomat einmal formuliert hat.
Nach Ende des Kalten Krieges vertrat die Schweiz zusätzlich Kubas Interessen in den USA. Die Phase der Schweizer Vertretung endete, nachdem die beiden Länder 2015 ihre Botschaften wiedereröffneten.
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Auf der Suche nach neuen Schutzmachtmandaten
Die Schweiz möchte neue Mandate erlangen und ist bemüht, aktiv ihre Guten Dienste anzubieten. Doch die Krux bei der Übernahme von Schutzmachtmandaten ist, dass beide Länder der Vertretung zustimmen müssen. Das gelingt nicht immer.
So hat Venezuela 2019 ein Mandat abgelehnt, mit dem die Schweiz die US-Interessen in Venezuela vertreten hätte. Ebenfalls hat Russland im August 2022 ein Schutzmachtmandat abgelehnt, mit dem die Schweiz die Interessen der angegriffenen Ukraine in Russland vertreten hätte. Die Ablehnung begründete Russland mit Verweis auf die von der Schweiz mitgetragenen Sanktionen.
Editiert von Benjamin von Wyl
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