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Die Ukraine-Konferenz am Tag danach: Kein Frieden in Sicht, aber die Schweiz hat erreicht, was sie wollte

Viola Amherd und Ignazio Cassis kommen auf dem Bürgenstock an
Bundespräsidentin Viola Amherd und der Aussenminister Ignazio Cassis (zweiter von links) am Tag vor der Eröffnung der Ukraine-Friedenskonferenz. Cc 3.0 By-Nc-Sa

Was bleibt vom Gipfel auf dem Bürgenstock? Wenig, wenn man auf den Frieden schaut. Warum die Schweiz und die Ukraine dennoch einen Sieg verbuchen.

Friedensgespräche ohne Russland – ist das möglich? Im Vorfeld der «Hochrangigen Konferenz zum Frieden in der Ukraine», wie der Gipfel auf dem Bürgenstock in der Schweiz offiziell hiess, wurde die Absenz des Aggressors und seines wichtigsten Verbündeten China als grösste Schwachstelle identifiziert.

Nun ist die Politprominenz abgereist, die Bilder sind um die Welt gegangen und ein gemeinsames Joint CommuniquéExterner Link ist unterschrieben, von 84 der 100 Delegationen.

Und Medien weltweit arbeiten sich an der Frage ab: ist diese Friedenskonferenz ohne Russland nun ein Erfolg oder Misserfolg? Es ist die falsche Frage – die richtige lautet: für wen?

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Wie profitiert die Schweiz von der Konferenz?

Im Medienzentrum des Gipfels, wo sich die akkreditierten 500 Medienleute aus 40 Ländern versammelten, liess sich am Sonntagnachmittag die Stimmung folgendermassen zusammenfassen: Es sei ein kleiner Schritt vorwärts. Das Lob hat man in der Regierung sicherlich gerne gehört, denn in den letzten Jahren sah sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die schweizerische Neutralität blosser Opportunismus sei.

Die Organisation der Konferenz auf Wunsch der Ukraine hatte zumindest teilweise das Ziel, die Schweiz wieder als neutrale und zuverlässige Mediatorin zu etablieren. Und das ist nach Ansicht vieler Teilnehmenden gelungen.

«Neutralität heisst nicht Äquidistanz zwischen Täter und Opfer – das ist den meisten bewusst», sagt Gakushi Fujiwara von der zweitgrössten japanischen Tageszeitung The Asahi Shimbun. Höre man «Neutralität», denke man in Japan automatisch an die Schweiz, so der Journalist. Das habe sich trotz aller Vorwürfe und Kritik nicht geändert. Die Schweiz habe zudem unterstrichen, dass Russland künftig eingebunden werden müsse. «Man kann festhalten, dass die Schweizer Regierung versucht hat, neutral zu sein.»

Durch ihre Gipfeldiplomatie kann die Schweiz der Kritik etwas Wind aus den Segeln nehmen. Die Schweiz liefert keine Waffen an die Ukraine und auch die finanzielle Unterstützung ist vergleichsweise bescheiden. Aber die diplomatische Unterstützung ist weitreichend: In Lugano stiess sie 2022 mit der Ukraine Recovery Conference ein Format an, dass nun bereits zum dritten MalExterner Link stattgefunden hat. Der Bürgenstock-Gipfel war die Weiterführung von regelmässigen Gesprächen auf technischer Ebene. Und im Oktober findet in LausanneExterner Link die Ukraine Mine Action Conference statt – die humanitäre Minenräumung ist eine offizielle PrioritätExterner Link der Schweiz.

Innenpolitisch gab es im Vorfeld Kritik an der Durchführung, vor allem aus dem rechten Lager. Daran änderte sich nichts: Für SVP-Nationalrat Franz Grüter ist der Gipfel ein Misserfolg, weil Russland nicht eingeladen war und weil am Ende Schlüsselländer wie Indien, Südafrika oder Brasilien nicht einmal das Schlusscommuniqué mitgetragen hätten. «Dadurch hat sich die Schweiz in eine Rolle hineinmanövriert, die in der Position eines möglichen neutralen Vermittlers nicht weiterhilft.»

Anders sehen es die Parteien in der Mitte und im linken Lager. Fabian Molina, sozialdemokratischer Nationalrat, bilanziert: «Noch vor einem halben Jahr hat man unserem Land vorgeworfen, zu wenig für die Ukraine zu tun. Diese Stimmen sind verstummt. Weltweit wird der Schweiz zugebilligt, dass wir in der Lage sind, ganz unterschiedliche Akteure für den Frieden zusammenzubringen. Und das nimmt auch Druck von unserem Land.»

Wie profitiert die Ukraine von der Konferenz?

Für die Ukraine war die Konferenz ein Erfolg: Das Land hat viel internationale Aufmerksamkeit erhalten und auch Unterstützung zugesichert bekommen. Diese Bilanz zogen zahlreiche Medien weltweit.

Und so sieht das etwa auch der Korrespondent des regierungsnahen türkischen Senders TRT World, Hasan Abdullah. Für ihn ist klar: «Solche komplexen Konflikte können nicht an einem einmaligen Treffen gelöst werden.» Es sei nur logisch, dass noch mehr Schritte nötig sein werden. Und die wurden angekündigt: So soll es auf technischer und ministerieller Ebene Folgetreffen geben. Es gebe auch Interessenten für eine Folgekonferenz, sagte Selenski an der abschliessenden Pressekonferenz.

Der Schweiz gebühre zweifellos Dank, dass sie einen so grossen diplomatischen Effort für den Frieden leiste, so Abdullah. Auch hinsichtlich Gaza, dessen Schatten auf die Konferenz fiel. Dass in einem derart breiten Format dieser Konflikt ebenfalls thematisiert wurde, sieht er als positiv: Vielleicht würden sich aus den Gesprächen auf dem Bürgenstock auch Wege für eine Konfliktlösung im israelisch-palästinensischen Krieg ergeben.

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Und was ist mit dem Frieden?

Als die Schweizer Bundespräsidentin den Gipfel ankündigte, sprach sie von einer «Friedenskonferenz», was sich als ein kommunikativer Fehler erwies – es war von Anfang an klar, dass beim Treffen kein Frieden vereinbart würde. Damit hatten Kritiker:innen auch eine gute Vorlage, um gegen den Gipfel zu schiessen.

Später wurde das Gipfeltreffen neu etikettiert: als Vorbereitung für einen möglichen Frieden. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis sagte, dass es durchaus denkbar sei, später die verschiedenen Ansätze zusammenzubringen – insbesondere die von China und Brasilien angekündigte Friedensinitiative.

Auch nach dem Bürgenstock scheint ein Konsens der Kriegsparteien jedoch in weiter Ferne. Dabei gibt es ein grundlegendes Problem: Frieden werde am Verhandlungstisch geschlossen, heisst es oft. Der Weg zum Tisch führt aber durchs Schlachtfeld – dort wird entschieden, wie verhandelt wird. Militärisch hat sich nach zweieinhalb Jahren Krieg eine Patt-Situation eingestellt, beide Seiten graben sich ein, Vorstösse gelingen seltener.

Dazu kommt: Kriege enden nicht immer. Manchmal kühlen sie ab und frieren ein. Die Kriegshandlungen mögen beendet sein, aber der Kriegszustand – oder der Nicht-Frieden – kann mitunter während Jahrzehnten weiter bestehen. Für die Ukraine fehlt eine klare militärische Prognose.

Kurz vor dem Gipfel hatte der russische Präsident Wladimir Putin seine Forderungen formuliert, um auf Friedensgespräche einzugehen: Die Abtretung der Ostukraine und die Bestimmung der ukrainischen Politik durch Moskau – also nichts weniger als die faktische Kapitulation der Ukraine. Einen solchen Diktatfrieden hat Kiew stets ausgeschlossen. Diese Ausgangslage ist nach dem Gipfel auf dem Schweizer Bürgenstock unverändert.

Editiert von Marc Leutenegger

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