Diese fünf Ereignisse haben die schweizerisch-amerikanischen Beziehungen geprägt
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz haben in der Nachkriegszeit bemerkenswerte Höhen und schmerzhafte Tiefen erlebt. Vor allem ihre Streitigkeiten haben zentrale Schweizer Prinzipien wie die Neutralität auf die Probe gestellt.
In einer Rede anlässlich einer Feier zum Unabhängigkeitstag in Zürich im Jahr 2023 brachte der amerikanische Botschafter Scott Miller die Beziehungen zwischen der Schweiz und seinem Land auf den Punkt. «Es gibt kein Thema von globaler Bedeutung, bei dem unsere Nationen nicht gemeinsam vorangehen», sagte er, «oder bei dem wir nicht unsere gemeinsamen Werte teilen, um die Dinge zu verbessern».
Die jüngste Geschichte ist voll von Beispielen für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, die ein gemeinsames Interesse an einem stabilen, auf Regeln basierenden internationalen System haben.
Am 5. November entscheiden sich die US-Amerikaner:innen für einen neuen Präsidenten oder – erstmals – eine Präsidentin.
Die Wahl ist sowohl von Kamala Harris als auch von Donald Trump zur Schicksalswahl über die Zukunft des politischen Systems und der Demokratie erklärt worden.
Die Schweiz und die USA haben sich einst gegenseitig geprägt. In dieser Serie haben wir die gemeinsame Geschichte der Staaten aufgearbeitet und uns angeschaut, wie die geschwisterliche Vergangenheit in der Gegenwart nachwirkt.
Ein Höhepunkt war, als die neutrale Schweiz im Juni 2021 den roten Teppich ausrollte für Gespräche zwischen US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin – inmitten geopolitischer Spannungen.
Ein weiterer Höhepunkt war die Gründung des Fonds für das afghanische Volk im Jahr 2022 durch schweizerische und amerikanische Behörden, um einen Teil der in den USA eingefrorenen Reserven der afghanischen Zentralbank wieder in die afghanische Wirtschaft zu investieren.
Aber es gab auch grosse Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern. So haben die USA die Schweiz kritisiert, weil sie die Wiederausfuhr von in der Schweiz hergestellten Waffen in die Ukraine verweigert, eine Position, die die Schweizer Regierung aus Gründen der Neutralität beibehält.
Nachfolgend finden Sie eine Auswahl von Ereignissen, bei denen Schweizer Prinzipien wie die Neutralität auf die Probe gestellt wurden, die die Vorzüge der Zusammenarbeit aufzeigten – und die das Machtungleichgewicht in den bilateralen Beziehungen offenlegten.
Nazi-Gold und nachrichtenloses Vermögen belasten die Beziehungen
Die Schweiz nahm offiziell nicht am Zweiten Weltkrieg teil, aber ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Nazideutschland belasteten die Beziehungen zu den USA.
Während des Krieges gewährte Bern dem Dritten Reich einen Kredit für den Kauf von Kriegsmaterial und kaufte zusammen mit privaten Banken Gold von den Nazis, das zum Teil in den besetzten Ländern geplündert wurde. Eine aktuelle Schätzung beziffert den Wert des «Nazi-Goldes» in Schweizer Händen auf 1,7 Milliarden Franken.
Um sie zu zwingen, den Handel mit Deutschland einzustellen, froren die USA 1941 die Schweizer Goldreserven in New York ein. Die Schweiz erklärte sich jedoch für politisch und wirtschaftlich neutral, setzte den Handel mit Deutschland fort und beschränkte die Transaktionen erst gegen Ende des Krieges. 1946 erklärte sich die Schweiz bereitExterner Link, als Gegenleistung für ihre eingefrorenen Guthaben 250 Millionen Franken in einen alliierten Fonds für den Wiederaufbau in Europa einzuzahlen.
Die Affäre kam jedoch Jahrzehnte später wieder ans Tageslicht. 1995 reichte der Jüdische Weltkongress in New York eine Sammelklage ein, in der behauptet wurde, dass Holocaust-Opfern und ihren Erben der Zugang zu Bankkonten in der Schweiz verweigert wurde, die seit dem Krieg nicht mehr genutzt worden waren.
Bald folgten negative Medienberichte über die Alpennation, als US-Präsident Bill Clinton eine Untersuchung über das von den Nazis in den besetzten Ländern geraubte Gold forderte.
In Bern richtete die Regierung eine Taskforce ein, während das Parlament eine unabhängige Kommission unter der Leitung des Historikers Jean-François Bergier einsetzte, um die Handlungen des Landes während des Krieges zu untersuchen. Ein Bericht des US-Aussenministeriums von 1997 behauptete sogar, die Schweiz sei die «Bank der Nazis» gewesen.
«Die Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen hat die Beziehungen zwischen den USA und der Schweiz während mehrerer Jahre getrübt», schreibt das Historische Lexikon der Schweiz.
1998 einigten sich die Banken mit den Holocaust-Opfern und deren Erben auf 1,25 Milliarden Dollar. Obwohl die beiden Länder die Angelegenheit hinter sich gebracht haben, gingen ihre Auffassungen über den Streit auseinander, sagt Sacha Zala, Direktor des Dodis-Forschungszentrums zur Geschichte der Schweizer Aussenpolitik.
«Für die USA ging es darum, ein Geschäft abzuschliessen, aber für die Schweizer war es traumatisch für ihr Selbstverständnis [als neutrales Land]», sagt er.
Partei ergreifen im Kalten Krieg
Schon in den ersten Tagen des Kalten Krieges stand die Schweiz unter starkem Druck, ihre Neutralität aufzugeben und die amerikanische Position in der westlichen Rivalität mit dem Sowjetregime zu akzeptieren.
Eine denkwürdige Episode ereignete sich, nachdem die USA 1951 ein Exportembargo gegen den Ostblock verhängt hatten. «Die amerikanische Regierung setzte alle Mittel ein, um die Teilnahme der Schweiz zu erreichen», schreibt das Historische Lexikon.
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Washington drohte mit Wirtschaftssanktionen, sodass Bern keine andere Wahl hatte, als das informelle Hotz-Linder-Abkommen zur Einschränkung des Handels mit strategischen Gütern mit kommunistischen Staaten zu akzeptieren.
Damals habe die Schweiz einen formellen Vertrag umgangen, um ihre Neutralität auf dem Papier zu wahren, sagt Zala. Doch mit der Zustimmung zu den Exportkontrollen habe das Land effektiv eine Position im Kalten Krieg eingenommen und sich auf die Seite des Westens gestellt. Das Abkommen, so Zala, zeige die unverhältnismässige Macht, die die USA in ihren bilateralen Beziehungen ausübten.
Krisenentschärfung als Schutzmacht
Ein Abkommen aus dem Jahr 1961, in dem die Schweiz die Interessen der USA im kommunistischen Kuba vertrat, markierte laut Dodis einen Höhepunkt der bilateralen Beziehungen. Dieses Schutzmachtmandat, das 54 Jahre dauerte, ermöglichte es der kleinen Schweiz, eine überragende RolleExterner Link bei der Entschärfung der Spannungen im Kalten Krieg zu spielen, einschliesslich der Kubakrise 1962.
Heute ist das einzige verbliebene Mandat der Schweiz für die USA dasjenige für den Iran, das seit dem Abbruch der Beziehungen der USA zur Islamischen Republik im Jahr 1980 besteht. Auch hier hat die Schweiz bei grossen Krisen eine wichtige Vermittlerrolle gespielt.
Während der 444-tägigen Geiselnahme, die im November 1979 in der US-Botschaft in Teheran begann, halfen Schweizer Diplomat:innen bei der Evakuierung der freigelassenen Geiseln und sorgten für das Wohlergehen der Verbliebenen. Sie hielten auch die Kommunikationskanäle offen und halfen bei der Aushandlung eines Abkommens.
In jüngster Zeit hat die Schweiz den Austausch von Gefangenen zwischen den USA und dem Iran erleichtert und es den beiden Ländern ermöglicht, in kritischen Momenten miteinander zu kommunizieren, unter anderem als Teheran im April 2024 einen grossen Drohnen- und Raketenangriff auf Israel startete.
Für ein kleines Land kann die Schweiz mit ihren Guten Diensten «Türen in Washington öffnen, aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt», sagt Zala, der darauf hinweist, dass die Schweiz auch mit diesem privilegierten Zugang nicht alle ihre Differenzen mit den USA lösen kann.
Kein Handelsabkommen zwischen der Schweiz und den USA – aber ein florierender Handel
Ein Freihandelsabkommen mit den USA steht schon lange auf der Wunschliste der Schweiz. Martin Naville, der ehemalige Leiter der Amerikanisch-Schweizerischen Handelskammer, vergleicht ein Abkommen mit einer Lebensversicherung für den Fall, dass die USA und die Europäische Union ein eigenes Freihandelsabkommen unterzeichnen.
Die USA und die Schweiz haben 2006 ernsthaft mit der Möglichkeit eines Handelsabkommens geliebäugelt. Doch die Sondierungsgespräche scheiterten, als klar wurde, dass die beiden Länder keine Kompromisse in Bezug auf den Protektionismus in der Landwirtschaft und gentechnisch veränderte Organismen (GVO) eingehen würden, sagte NavilleExterner Link, der an den Gesprächen beteiligt war.
Die Schweiz versuchte es erneut, konnte aber unter Präsident Trump kein neues Interesse an einem Abkommen wecken.
Da Bidens Regierung Freihandelsabkommen als Relikt des 20. Jahrhunderts bezeichnet, verhandelt die Schweiz stattdessen sektorale und technische Abkommen mit den USA, um Handelsschranken abzubauen.
Als das erste derartige Abkommen 2023 unterzeichnet wurde – über die gegenseitige Anerkennung von Inspektionen in pharmazeutischen Produktionsstätten –, verriet die oberste Schweizer Wirtschaftsbürokratin Helene Budliger ArtiedaExterner Link, dass die Schweizer Regierung nach wie vor ein Freihandelsabkommen mit den USA anstrebe.
Ob mit oder ohne Abkommen, der bilaterale Handel boomt. Heute sind die USA nach Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner der Schweiz. Die USA sind auch der grösste ausländische Investor der Schweiz.
US-Steuerhinterziehungsklagen verwässern Schweizer Bankgeheimnis
Nach der Wirtschaftskrise 2008 beschuldigten die US-Behörden die grösste Schweizer Bank, die UBS, wohlhabenden amerikanischen Kund:innen dabei zu helfen, in ihrer Heimat Steuern zu hinterziehen. Dies führte zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen den beiden Ländern.
Um eine strafrechtliche Verfolgung in den USA zu vermeiden, musste die UBS die Identität von rund 250 amerikanischen Kund:innen preisgeben, in den USA eine Busse von 780 Millionen Dollar bezahlen und die volle Verantwortung für die Unterstützung der Kunden bei der Steuerhinterziehung übernehmen.
Die Affäre führte zu einer erheblichen Aufweichung des Schweizer Bankgeheimnisses – heute sind die Banken nur noch innerhalb der Schweiz zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Sie veranlasste die USA auch, gegen andere Schweizer Banken vorzugehen: Mehr als 100 von ihnen haben seitdem über 7,5 Milliarden Dollar an US-Strafen gezahlt; zwei Banken sind zusammengebrochen.
Das Ergebnis, so Zala, zeigt, welchen Einfluss die grösste Volkswirtschaft der Welt auf die Schweiz hat, die selbst eine starke Wirtschaftsleistung erbringt.
«In den internationalen Beziehungen gibt es eine Dimension der Macht, die mit Handel und kommerziellen Interessen verbunden ist», sagt er. «Diese Macht ist im Falle der USA absolut gigantisch. Wenn man sich nicht an sie hält, kann man keine Geschäfte mit ihnen machen».
Editiert von Virginie Mangin, Übertragung aus dem Englischen: Janine Gloor
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Einst Geschwister: Die Schweiz und die USA
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