Fussball macht jungen Kamerunerinnen Hoffnung auf selbstbestimmtes Leben
Kamerun ist nach wie vor patriarchalisch geprägt. Und im Sport ist der Männerfussball König. Doch die wachsende Medienpräsenz von Frauenfussball ermutigt immer mehr junge Frauen, Vorurteilen zu trotzen und diesen Sport sogar zu ihrem Beruf zu machen – trotz gesellschaftlichen Widerständen. Ein Augenschein.
Warum wir diesen Artikel publizieren
Diese Reportage wurde im Rahmen von En Quête d’AilleursExterner Link, einem Austauschprogramm für Journalist:innen aus der Schweiz und Ländern in Afrika, Osteuropa, Asien und Lateinamerika realisiert.
Das Schwerpunktthema 2024 des Austauschprogramms stand unter dem Titel Herausforderungen des SportsExterner Link (les enjeux du sport).
An diesem letzten Dienstag im September geht ein heftiger Regenguss über der Halle des Stade Omnisports in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé nieder.
Das Geräusch des prasselnden Regens auf dem Wellblechdach ist dermassen ohrenbetäubend, dass es sogar das Aufprallen der Fussbälle und das Quietschen der Sportschuhe in der Sporthalle übertönt.
Die einfachen Tribünen aus Beton präsentieren sich in den Nationalfarben Kameruns. Christian Onana beobachtet von dort aus, wie «seine Mädchen» spielen. Er ist seit fünf Jahren Präsident des Frauenfussball-Vereins Éclair football filles de Sa’aExterner Link.
«Der Frauenfussball ist eine aufstrebende Sportart – das Interesse daran steigt», sagt er. Doch er weist im gleichen Moment auch auf die vielen Schwierigkeiten hin.
«In Kamerun ist die Ansicht nach wie vor vorherrschend, dass die Rolle einer jungen Frau einzig darin besteht, zur Schule zu gehen und sich danach um die Hausarbeit zu kümmern.»
Der Frauenverein aus der Hauptstadt spielt mit elf anderen Teams in der ersten Liga, der Elite des kamerunischen Frauenfussballs. Um das Niveau der ersten Liga zu erreichen, mussten die Sportlerinnen – das gilt für alle Vereine – viele Opfer bringen und mehrere gesellschaftliche Tabus brechen.
Doch unter den jungen Fussballerinnen des Vereins Éclair football filles de Sa’a gibt es mittlerweile einige, die es in die Nationalmannschaft geschafft haben.
Der Frauenfussball in Kamerun war Gegenstand eines «r4d-Projekts»Externer Link (research for development), eines Forschungsprogramms zu globalen Entwicklungsfragen. Es wird gemeinsam vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) finanziert.
«Ich habe mich in der Forschung immer mit Fragen der Geschlechterungleichheit beschäftigt und damit, wie junge Frauen ihren Platz in der Gesellschaft ausserhalb der klassischen Strukturen einfordern», sagt Dominique Malatesta, Leiterin des Projekts Kick it like a girlExterner Link, das an der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne (HETSL) gestartet wurde. Für die Wissenschaftlerin sind «Sportvereine ein sehr guter Forschungsbereich, um dieses Thema zu vertiefen».
So haben zwischen 2018 und 2023 mehrere Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz und Kamerun «das Engagement junger Frauen in Fussballmannschaften in Kamerun unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme am politischen und sozialen Leben sowie ihrem Zugehörigkeitsgefühl als Bürgerin einer staatlichen Gemeinschaft erforscht.»
Widerstand im Elternhaus
In der Familie Priso sind die Zwillinge Pauline Marcelle und Rose Michelle Profifussballerinnen geworden. Die beiden sind 24 Jahre alt.
Ihr Vater, Manfred II M. Priso, sitzt zu Hause in einem mächtigen graublauen Polstersessel und sagt: «Das Ziel der Eltern ist es, ihre Kinder grosszuziehen, sie in die Schule zu schicken und ihnen eine Ausbildung zu geben. Danach müssen sie ins Berufsleben einsteigen.»
Die überwiegende Mehrheit der Familien sieht jedoch eine Karriere im Fussball nicht als zukunftsträchtigen Beruf für ihre Töchter. Die jungen Frauen leben ihren Sport häufig sogar gegen den Willen der eigenen Eltern aus.
Manchmal hängt die Erlaubnis zur Teilnahme am Fussball auch vom Erreichen der Matura ab. So war es in der Familie von Manfred II M. Priso.
Durch ihre Beharrlichkeit und dank der Unterstützung durch ihre Mutter erreichten die Priso-Schwestern ihr Ziel und konnten sich ganz auf ihre sportliche Karriere konzentrieren, seit sie die letzte Klasse des Gymnasiums erreichten.
Sportfunktionäre unter Druck
Im Stade Omnisports von Yaoundé verliert der Regen an Intensität. Während die jungen Frauen von Éclair football filles de Sa’a ihr Training mit einem Spiel fortsetzen, erzählt Sportdirektor Ricky Siani von den Schwierigkeiten der Vereine, Spielerinnen zu rekrutieren: «Ich wurde schon von Eltern mit Wassereimern verjagt.»
Wenn es zu keiner Einigung kommt, brechen die Familien häufig sogar den Kontakt zu einer Tochter ab, die ihren Fussballtraum um jeden Preis verfolgen will.
Die Betreuer des Clubs müssen dann einspringen, um das Mädchen so gut wie möglich zu unterstützen.
Ein Sport für Männer
Die Religion spielt in Kamerun eine wichtige Rolle. Fast 70% der Bevölkerung gehören dem christlichen Glauben an, mehr als die Hälfte davon ist katholisch. Diese Religionszugehörigkeit prägt das traditionelle Rollenbild der Frauen.
Die Generalsekretärin der kamerunischen Frauenfussballliga, Sidonie G. Tagne, sitzt mit geflochtenen Haaren und in eleganter Kleidung an einem grossen Schreibtisch aus dunklem Holz.
Sie sagt: «Wenn ich mir die alten Fotos ansehe, frage ich mich, wie ich es geschafft habe, heute wieder eine Frau zu sein. Wir hatten keine weiblichen Frisuren, wir hatten männliche Verhaltensweisen.» Tagne war selbst in den 1980er-Jahren eine bekannte Spielerin.
In der Tat: Junge Mädchen, die eine Karriere als Fussballerinnen anstreben, werden oft stigmatisiert und verunglimpft. Mit ihrer sportlichen Kleidung und ihren meist kurzen Haaren vermitteln sie nicht das Bild, das die kamerunische Gesellschaft von einer Frau erwartet.
Alexandra Mbitounou Nke, genannt Fortune, ist sehr zurückhaltend, wenn sie gefragt wird, ob sie Fussball spielt. Sie bestätigt dies erst, wenn ihr Gesprächspartner oder ihre Gesprächspartnerin insistiert.
«Ich denke, dass Fussballerinnen beschimpft werden, weil die Leute Vorurteile haben. Sie denken beispielsweise, dass die jungen Frauen unter sich bleiben.»
Weitgehend ein Tabuthema
Sie tönt damit das Thema der Homosexualität an. Das kamerunische Strafgesetzbuch stellt gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen unter Strafe. Es drohen Strafen bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Die Religion und die noch immer sehr traditionelle Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle bei der negativen Einstellung der Kamerunerinnen und Kameruner gegenüber der Homosexualität.
Viele Eltern lassen ihre Töchter nur ungern in einen Profiverein eintreten, weil sie glauben, «dass sie als Fussballspielerinnen in diese Geschichte hineingezogen werden könnten», sagt Vereinspräsident Onana.
Seit einigen Jahren verfolgt die Frauenfussballliga indes eine Kommunikationsstrategie, die darauf abzielt, die gängigen Vorurteile aufzubrechen.
In den Werbekampagnen werden nun Spielerinnen gezeigt, die dem traditionellen kamerunischen Weiblichkeitsstandard entsprechen, häufig auch verheiratet sind und Kinder haben.
Schritt zu finanzieller Unabhängigkeit
Der Frauenfussball hat eigentlich schon eine lange Tradition in Kamerun. Doch mangelnde öffentliche Subventionen sowie geringe Prämien und Gehälter bremsen eine stärkere Entwicklung, auch wenn in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt wurden.
Beim Verein Éclair football filles in Sa’a erhalten die Spielerinnen etwa 2000 CFA-Francs pro Training (knapp drei Schweizer Franken), wenn die Finanzen es zulassen.
Hinzu kommen Spielprämien, die bei einem Sieg bis zu 20’000 CFA-Francs (etwa 28 Schweizer Franken) erreichen können.
Und normalerweise erhalten sie vom einzigen Sponsor der Frauenmeisterschaft der ersten Liga, Guinness Kamerun, ein monatliches Gehalt von etwa 65’500 CFA-Francs (94 Schweizer Franken).
Laut dem nationalen Statistikinstitut KamerunsExterner Link lag das Durchschnittseinkommen in der «informellen Branche» im Jahr 2023 bei 83’409 CFA-Francs pro Monat.
Es handelt sich um Personen, die selbständig tätig sind. Die Frauenfussballliga zahlt den Vereinen Zuschüsse, die jedoch variieren.
Auch wenn es sich um geringe Einkommen handelt, können diese den jungen Frauen helfen, unabhängiger zu werden. Falls sie für die Nationalmannschaft ausgewählt werden, steigt ihr Einkommen zudem deutlich an.
Sportdirektor Siani sagt: «Das motiviert sie zusätzlich und bringt sie dazu, eine Karriere im Fussball als echten Beruf in Erwägung zu ziehen.» Sie seien dann nicht mehr von einem Ehemann abhängig.
Medienpräsenz zahlt sich aus
Dank der zunehmenden Medienpräsenz des Frauenfussballs findet in verschiedenen Gesellschaftsschichten ein langsamer Mentalitätswandel statt. Eltern stellen zunehmend fest, dass es möglich ist, Studium und Sportkarriere miteinander zu verbinden.
«Noch vor etwa zehn Jahren war das nicht selbstverständlich», sagt Tagne, die Generalsekretärin der Liga für Frauenfussball. «Heute sind die Leistungen dieser jungen Frauen ein Traum. Sie sind in Kamerun zu Vorbildern geworden.»
Nicht ganz so enthusiastisch gibt sich Vereinspräsident Onana. Doch er räumt ein, dass das wachsende Interesse am Frauenfussball «den Leuten klarmacht, dass Frauen heute einen eigenen Platz in der Gesellschaft haben».
Unterdessen ist es 17 Uhr im Stade Omnisport von Yaoundé. Die Spielerinnen von Éclair football filles de Sa’a beenden ihr Training. Die Sonne scheint wieder.
Editiert von Pauline Turuban und Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob
Mehr
Unser Newsletter zur Aussenpolitik
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch