Gegen das Artensterben: Wie sich die Schweiz für die Biodiversität weltweit einsetzt
Die Biodiversität ist gefährdet. Die grösste Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren befindet sich in Ländern des globalen Südens. Was leistet die Schweiz dort für den Erhalt der Vielfalt?
Die biologische Vielfalt ist entscheidend für das Gleichgewicht der Ökosysteme. Lebensräume von Tieren und Pflanzen hängen von ihr ab, und damit auch der Mensch. Die Prognosen zu ihrem Zustand sind jedoch alarmierend: Bis zu drei Millionen Arten könnten noch in diesem Jahrhundert aussterben. Zu diesem Schluss kommt eine internationale StudieExterner Link von 2022, die erstmals deutlich mehr Expert:innen des globalen Südens in die Befragung einbezog.
Die Gründe sind bekannt: Die intensive Land- und Meernutzung, Verschmutzung der Umwelt oder die Folgen des Klimawandels tragen etwa dazu bei, dass Böden auslaugen oder wichtige Bestäuber aussterben.
Trotzdem war der Verlust der Artenvielfalt und die 1992 am Umweltgipfel in Rio de Janeiro verabschiedete Biodiversitätskonvention lange im Schatten der Bekämpfung der Klimaerwärmung.
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD, Biodiversitätskonvention) wurde anlässlich der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 verabschiedet. Bis heute sind 196 Vertragsstaaten der Konvention beigetreten, darunter auch die Schweiz. Die USA haben die Konvention zwar unterschrieben, aber nie ratifiziert; sie sind lediglich als Beobachter dabei.
Die CBD ist das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz der Biodiversität. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die biologische Vielfalt in ihren Ländern zu schützen, den Zugang zu genetischen Ressourcen und deren Nutzung gerecht zu regeln und Massnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität zu ergreifen.
Zu Unrecht, wie Entwicklungsexpert:innen sagen. «Für die nachhaltige Entwicklung und die Sicherung der Lebensgrundlage ist eine intakte Umwelt zentral», sagt André Wehrli, Berater für Klima, Katastrophenvorsorge und Umwelt bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA).
Schweizer Einsatz für globale Artenvielfalt
So hängen die meisten der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen direkt von einem funktionierenden Ökosystem ab – geht der Verlust der Biodiversität hingegen weiter, verschärft dies Armut und Ungleichheit.
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Der Verlust der Biodiversität in der Schweiz ‒ in sechs Grafiken
In der Schweiz selbst wird das Engagement zum Schutz der biologischen Vielfalt von Umweltverbänden wie Birdlife oder WWF stark kritisiert. Die bisherigen Massnahmen und die dafür vorgesehenen Finanzmittel stufen sie als massiv ungenügend ein. Etwas besser sieht es in der internationalen Zusammenarbeit (IZA) aus. «Vieles geht in eine gute Richtung», sagt Simon Degelo vom Hilfswerk Swissaid.
Die Biodiversität werde in verschiedenen Programmen berücksichtigt: Etwa mit dem Projekt CROPS4HD, das von Swissaid in vier Ländern umgesetzt wird. Es hat zum Ziel, die Nutzung und den Erhalt von traditionellen Saatgutsorten zu fördern, um die Lebensgrundlage der Bevölkerung zu verbessern.
Ein anderes Beispiel ist die Initiative EOA-I,Externer Link die sich unter anderem für Subventionen für die ökologische Landwirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent einsetzt.
Der Ansatz der Agrarökologie
Besonders fortschrittlich beurteilt Degelo das Engagement der DEZA für die Agrarökologie. Ein landwirtschaftliches Konzept, das auch Swissaid in ihren Entwicklungsprojekten vorantreibt und das Antworten auf gleich mehrere Probleme verspricht: die Ernährungskrise, den Verlust der Biodiversität und den Klimawandel. Etwa, indem es auf eine schonende Nutzung natürlicher Ressourcen abzielt, mit wenig Inputs von aussen auskommt und regionale Lieferketten stärkt.
Dass der Ansatz der Agrarökologie die Ernährungssicherheit fördern kann, zeigt der neueste Ernährungsbericht Externer Linkder Allianz Sufosec. Der Zusammenschluss aus sechs Schweizer NGOs, zu der auch Swissaid gehört, setzt sich weltweit gegen, Hunger und Mangelernährung ein. Die Wirksamkeit der Allianz Sufosec-Projekte überprüft das Centre for Development and Environment der Universität Bern wissenschaftlich.
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In einer Studie werden seit 2021 jährlich über 10’000 kleinbäuerliche Haushalte in 19 Ländern zu ihrer Ernährungssituation und zum Einsatz von agrarökologischen Praktiken befragt. Die Resultate zeigen: Haushalte, die mehrere agrarökologische Praktiken kombinieren, haben im Schnitt ein um 34% geringeres Risiko, an Hunger zu leiden.
Wie Ernährung und Biodiversität zusammenhängen
«Unser globales Ernährungssystem ist ein Haupttreiber für den Biodiversitätsverlust», sagt Stéphanie Piers de Raveschoot, der bei der DEZA im Bereich Landwirtschaft und Ernährung arbeitet. So sind 33% der weltweiten oberen Bodenschichten heute verödet, was vor allem auf den exzessiven Gebrauch von Düngemitteln und Pestiziden zurückzuführen ist. Zudem findet 90% der globalen Waldrodung zugunsten von landwirtschaftlichem Nutzen statt.
Gleichzeitig ist eine ausreichende und gesunde Ernährung von der Vielfalt der Arten abhängig: Ein verödeter Boden ist nicht mehr fruchtbar, und das Aussterben von Bienen und Insekten würde unsere Ernten massiv beeinträchtigen.
Trotzdem kam es an der 16. Biodiversitätskonferenz COP16 im kolumbianischen Cali zu keiner Einigung, wenn es darum ging, wie Staaten schrittweise Subventionen an umweltschädliche Unternehmen abbauen und die freiwerdenden Mittel in ökologische und soziale Projekte investieren können.
An der 16. UN-Biodiversitätskonferenz (COP16) im kolumbianischen Cali verhandelten im Oktober 2024 Delegierte von fast 200 Länder darüber, wie sich das fortschreitende Artensterben verhindern lässt. Zu den zentralen Beschlüssen gehört der Cali-Fonds: Dort sollen Unternehmen, die von der Sequenzierung genetischer Ressourcen profitieren, einen Teil der Erlöse mit den Herkunftsländern der biologischen Vielfalt teilen.
Auch wurde ein Gremium für indigene Völker und lokale Gemeinschaften beschlossen, das deren Rechte überwachen und sie bei wichtigen Entscheiden der Vereinten Nationen an den Tisch holen soll. Zentrale Aspekte wie die Finanzierung von mehr Naturschutz und dessen Monitoring blieben jedoch ungeklärt.
«Es herrscht noch immer der Glaube vor, dass wirtschaftlicher Ertrag und Biodiversität im Widerspruch zueinander stehen», sagt Piers de Raveschoot. Dabei sei genau das Gegenteil der Fall. «Ich antworte gerne damit, dass über die Hälfte des weltweiten BIP von der Natur und gesunden Ökosystemen abhängt.»
Diese Abhängigkeit der wirtschaftlichen und nachhaltigen Entwicklung von der Biodiversität müsse in der internationalen Zusammenarbeit ankommen. Dafür wollen sich Stéphanie Piers de Raveschoot und André Wehrli auch intern in der DEZA einsetzen.
Wille der Schweiz zum Einsatz für globale Biodiversität besteht
«Der politische Rahmen ist vorhanden», sagt Wehrli. In einer Strategie für die kommenden drei Jahre ist der Schutz der weltweiten Biodiversität verankert. Um dieses Ziel zu erreichen, unterstützt die Schweiz unter anderem den WWF und die Weltnaturschutzunion mit KernbeiträgenExterner Link.
Weitere Mittel werden über eine gemeinsame Plattform vom Bundesamt für Umwelt, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und der DEZA in den Globalen Umweltfonds oder den Grünen Klimafond eingezahlt, knapp 50 Millionen Franken pro Jahr.
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Entwicklungshilfe im Umbruch
Doch die Zeit werde immer knapper. So sei das in der Entwicklungszusammenarbeit vielzitierte Konzept von «Do-No-Harm», also keinen Schaden in den Einsatzländern zu hinterlassen, laut den beiden DEZA-Vertreter:innen für den Schutz der Biodiversität nicht ambitioniert genug.
«Es geht jetzt darum, sich proaktiv für den Erhalt der biologischen Vielfalt einzusetzen und das Thema ganzheitlich anzugehen», sagt Wehrli.
Dafür müsste es als Priorität gehandelt werden. Dass das noch immer nicht geschieht, zeigt sich bei der Finanzierung: Schaut man sich die gesamte öffentliche EntwicklungshilfeExterner Link der Schweiz an, fliessen rund 16% davon in klimabezogene Projekte. Bei der Biodiversität sind es gerade einmal 3%. «Die eingesetzten Mittel reichen nicht aus, vor allem in Anbetracht des globalen Bedarfs», findet Simon Degelo von Swissaid.
Ob sich das in naher Zukunft ändert, bleibt fraglich. Aktuell hat das Schweizer Parlament Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit beschlossen. Noch ist unklar, wie stark Projekte, die die Artenvielfalt fördern, davon betroffen sind.
Editiert von Benjamin von Wyl
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